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Flutkatastrophe in Rheinland-PfalzDer Druck auf Roger Lewentz wurde zu groß

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Flutnacht Ahr

Das Standbild aus einem Video der Polizeihubschrauberstaffel zeigt überschwemmte Häuser im Ahrtal. 

Mainz – Nun geht er also doch. In der Affäre um das desaströse Krisenmanagement der rheinland-pfälzischen Landesregierung in der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 ist Landesinnenminister Roger Lewentz zurückgetreten. Der Druck auf den SPD-Politiker wurde zu groß.

Nach und nach waren im parlamentarischen Untersuchungsausschuss brisante Beweise und Videos aufgetaucht, die den obersten Katastrophenschützer zunehmend infrage stellten. Entgegen den Beteuerungen des Innenministers, erst am Morgen nach der Katastrophe über ein belastbares Lagebild zu verfügen, legt eine vor zwei Tagen aufgetauchte Mail das Gegenteil nahe.

Warnung am Abend

In der Nachricht, die dem Kölner Stadt-Anzeiger vorliegt, warnte das Lagezentrum des Innenministeriums (IM) bereits um 23.42 Uhr am Abend des 14. Juli die Polizeipräsidien in Trier und Koblenz vor einer Katastrophe. Die Ortschaften Schuld, Ahrweiler, Adenau und Altenahr seien durch Hangrutsch an der Autobahn 61 gesperrt. Ebenso die Bundesstraße 9 zwischen Rolandseck und Remagen. „Personenschäden sind abzusehen, laut Zeugenangaben soll in Altenahr eine Person ertrunken sein, diese Angaben sind noch nicht gesichert….“ Sechs Häuser in Schuld seien weggeschwemmt worden, weitere 25 drohten einzustürzen. Viele Evakuierungen liefen, die Zahl der Vermissten sei nicht bekannt. Zusätzlich meldete das Lagezentrum Wassereinbrüche bei den Polizeiinspektionen Ahrweiler, Adenau und Remagen „teils mit Ausfall von PC, Telefon und Strom“.

Beim Punkt „Gefahren“-Prognose ließ der Report keinen Zweifel am Ernst der Lage: Dort gebe es „Überflutungen von Ortschaften und Straßen im gesamten nördlichen, linksrheinischen Bereich“ des Polizeibezirks Koblenz. Es  heißt: „Menschenleben in Gefahr, da Personen in Häusern und Autos eingeschlossen sind.“ Viele Notrufe gingen ein, wonach Menschen auf Dächern stünden „oder in Häusern/Pkw eingeschlossen sind“.

Dramatische Mail

Die Mail klang dramatisch, doch nichts geschah in jener Flutnacht. Bis heute beteuern die Mitarbeiter des IM-Lagezentrums und ihr nun zurückgetretener Hausherr Lewentz von der arg prekären Lage nichts gewusst zu haben. Deshalb übernahm das Land auch nicht die Einsatzleitung in jener Nacht. Geschweige denn, dass man eine Warnmeldung herausschickte. Was aber muss geschehen, dass Katastrophenschützer angesichts solch alarmierender Nachrichten eingreifen? Die Mail des Lagezentrums zumindest deutet daraufhin, dass die Verantwortlichen bei ihren Aussagen im parlamentarischen Flutuntersuchungsausschuss in Mainz nicht die ganze Wahrheit gesagt haben.

Unlängst erst tauchten durch Zufall Videos aus Polizeihubschraubern aus dem Flutabend über die desaströse Situation im Ahrtal auf, dann folgte ein kompromittierender Einsatzbericht eines Piloten auf, der kurz vor ein Uhr in der Nacht über die katastrophale Lage informierte. Und nun steht fest, dass zumindest das IM-Lagezentrum bereits eine Stunde zuvor die ersten Infos über mögliche Todesopfer erhielt, aber offenbar nicht weiter reagierte.

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So bekundete Innenminister Lewentz gegenüber der Staatsanwaltschaft Koblenz, die in dem Fall gegen den Ex-Landrat von Ahrweiler und seinen Krisenstabsleiter wegen unterlassener Warnungen ermittelt, sein komplettes Unwissen. Erst am nächsten Morgen, dem 15 Juli gegen 7.40 Uhr, will er zum ersten Mal von einigen Todesfällen erfahren haben. „Von Personenschäden im größeren Umfang wusste ich jedoch nichts.“ Die Mails nebst Videos und Fotos aus den Polizeihubschraubern am späten Abend zuvor lassen an dieser Aussage zweifeln.

Das Innenministerium behauptet indes steif und fest, dass ihr Chef in jener Nacht einzig ein paar Fotos aus dem Hubschrauber gesehen habe. Dies habe kein belastbares Lagebild ergeben. Von den drastischen Warnhinweisen per Mail will Lewentz nichts erfahren haben. Fragt sich nur, warum sein Lagezentrum ihn nicht frühzeitig alarmiert hat? Die meisten Menschen starben in der Nacht im mittleren und unteren Teil des Ahrtals. Eine Erklärung wird Lewentz wohl nicht mehr liefern. Das muss nun sein Nachfolger tun.

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