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Gastbeitrag der Grünen-Vorsitzenden Baerbock„Wir brauchen einen neuen Klimarealismus“

Lesezeit 4 Minuten
Verbranntes Waldgebiet in Potsdam

Brandenburg, Potsdam/Fichtenwalde: Blick in ein vom Feuer zerstörtes Waldgebiet.

Ich komme aus Schweden zurück, wo die Wälder in einem ungekannten Ausmaß brennen. Zurück nach Brandenburg, wo nahe von meinem Wohnort dutzende Hektar Wald in Flammen stehen. In Griechenland sind mehr als 80 Menschen gestorben, Karten zur Waldbrandgefahr zeigen halb Europa in Rot: höchste Gefahr. Die Trockenheit der letzten Wochen lässt Weizen, Gerste, Roggen verdorren, in Teilen Nord- und Ostdeutschlands rechnen Bauern sogar mit bis zu 70 Prozent Ernteeinbußen, Tiere werden vorzeitig geschlachtet, weil das Futter fehlt.

Die Vorboten der Klimakrise sind angekommen

Waldbrände und trockene Sommer gab es immer schon, neu aber ist die Dimension. Die Hitzerekorde stehen, das sagen übergreifend renommierte Wissenschaftler - in deutlichem Zusammenhang mit der globalen Erwärmung durch zu hohen CO2-Ausstoß. Sie beobachten eine um das Fünffache gestiegene Zunahme von Rekordmonaten und -jahren. Allein in den letzten drei Jahren waren die Temperaturen um mehr als 0,85 Grad Celsius höher als im Durchschnitt der vergangenen hundert Jahre.

Das zeigt: Die Vorboten der Klimakrise sind angekommen. Mitten in Europa. Nicht mehr abstrakt, nicht mehr irgendwann, sondern hier und konkret. Und wir sind dafür nicht genug gerüstet. Spätestens jetzt muss klar sein: Klimaschutz ist ein hartes Thema, auch bei uns, eine der größten Herausforderungen dieser Zeit für Wohlstand und Sicherheit.

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Um dieser Krise zu begegnen, brauchen wir einen neuen Klimarealismus. Das heißt: Wir müssen den Klimaschutz jetzt konkret umsetzen und nicht mehr nur behaupten - und wir müssen die Klimaanpassung verstärken.

Akteure für notwendige Transformation stehen in den Startlöchern

Wenn die Bundesregierung dieser Tage auf die Frage, wie sie noch erreichen will, dass das Klimaziel für das Jahr 2020 nicht allzu stark verfehlt wird, antwortet, dazu könne sie nichts sagen, weil sie nicht in der Kohlekommission säße, dann ist das Hohn für all diejenigen, deren Felder brennen. Wir brauchen ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz, einen CO2 Preis sowie den Abschied vom fossilen Verbrennungsmotor. Und vor allem die verordnete Abschaltung von alten Kohleblöcken. Die Akteure für diese Transformation, gerade auch die wirtschaftlichen, stehen dafür in den Startlöchern. Nicht nur im Strombereich.

So forscht etwa ein großes deutsches energieintensives Unternehmen mit Sitz in Salzgitter daran, Stahl weitestgehend klimaneutral zu produzieren. Der größte Industrieverband Deutschlands, der BDI, nicht unbedingt bekannt als Klimaschutz-Vorreiter, geht davon aus, dass die Industrie von ehrgeizigem Klimaschutz profitieren wird.

Klimarealismus heißt aber auch, dass wir uns verstärkt um die Klimaanpassung kümmern. Wir brauchen sektorübergreifende Maßnahmen zur Anpassung und einen finanziell fundiert ausgestatteten Klimaanpassungsfonds. Dabei bedarf es auch einer Entschädigungskomponente für diejenigen, die durch extreme Ereignisse besonders hart betroffen sind. Gespeist werden sollte der unter anderem aus einer vernünftigen CO2 Bepreisung im Sinne des Verursacherprinzips.

Deutschland ist nicht gut genug vorbereitet

Und Anpassung ist eben mehr als Deiche bauen. Die aktuellen Waldbrände machen die Lücken offenbar. Es gibt in ganz Deutschland nicht mal ein Löschflugzeug, weil offenbar diese Gefahr bislang unterschätzt wurde. Für den Fall großer Waldbrände braucht es bundesländerübergreifende Katastrophenpläne, ausreichende Spezialisten und eine gute Ausrüstung zum Beispiel mit Löschflugzeugen. Doch genauso wichtig ist Waldbrand-Prävention mit Schutzstreifen, Waldbrandriegeln und ein bundesweites Waldprogramm mit rund 200 Millionen Euro für den nachhaltigen Umbau der Wälder insbesondere nach Sturmschäden. Entschädigungen für Landwirte bei extremer Trockenheit oder Kälte sind bereits eingeführt, müssen jedoch systematisiert und um klimaresistente Anbauverfahren erweitert werden.

Mit Blick auf die mittlerweile alle zehn Jahre hereinbrechenden Jahrhunderthochwasser muss der ökologische Hochwasserschutz mit mindestens 500 Millionen Euro gestärkt werden. Auen entlang von Flüssen müssen renaturiert und Hochwasserkonzepte für Städte entwickelt werden, die aufgrund ihrer massiven Versiegelung nicht für extreme Niederschläge gerüstet sind. Der Hitzestress wird gerade in den Großstädten wie Köln, Stuttgart oder Berlin, wo die Temperaturen im Sommer jetzt schon teilweise zehn Grad über denen des Umlandes liegen, auch das Gesundheitssystem enorm belasten. Deshalb müssen Städte auch anders gebaut und geplant werden. Stadtbegrünung und Schattenflächen werden essentiell. Und wie schaffen wir Häuser und Wohnungen, die im heißen Sommer kühl genug sind, ohne ständig Klimaanlagen laufen zu lassen?

Das alles ist kein Hexenwerk, sondern machbar. Kreativität und Mut sind gefragt. Das ist der Aufruf zu einer Klimapolitik, die macht und nicht wartet, die die greifbaren Probleme ernst nimmt und angeht. Wenn wir jetzt nicht anfangen, massiv CO2 zu reduzieren, und uns zugleich auf die bereits erfolgten Auswirkungen der Erderwärmung einstellen und vorbeugen, dann sind wir in ein paar Jahren gezwungen, disruptive Schritte zu gehen – mit massiven gesamtgesellschaftlichen Kosten. Studien gehen davon aus, dass bis 2050 in Deutschland Klimaschäden in Höhe von 800 Milliarden Euro auf uns zukommen werden. Je später wir handeln, desto teurer wird’s.

Von Annalena Baerbock, Vorsitzende Bündnis 90/Die Grünen

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