Gastbeitrag von Andreas RettigDer Sonderweg von RB Leipzig ist falsch und unfair

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Andreas Rettig

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  • Die Entscheidung sorgt für viele Diskussionen: Fußball-Bundesligist RB Leipzig darf für das Heimspiel zum Saisonauftakt gegen Mainz 05 mit 8.500 Zuschauern planen.
  • Keine gute Idee, meint Andreas Rettig, Ex-Manager des 1. FC Köln und von 2013 bis 2015 DFL-Geschäftsführer. Die Argumente für die Zulassung von Zuschauern überzeugen ihn überhaupt nicht.
  • Vielmehr werde, so Rettig, mit dieser Entscheidung die Chance verpasst, klare Kante zu zeigen.
  • Ein Gastbeitrag.

Nächste Woche beginnt die 58. Bundesliga-Saison, die erste vermutlich ganzjährige unter Corona-Bedingungen. Alle Branchen, die ihr Geld mit und durch Publikum verdienen, sind besonders stark betroffen und greifen nach jedem Strohhalm, der ihnen die Existenz sichert.

Kreative Formate sollen die Not vorübergehend lindern. Auch der Profifußball hat in der abgelaufenen Spielzeit durch ein beispielgebendes Hygienekonzept dem Zuschauersport Fußball zumindest die medialen Vermarktungserlöse gesichert, auch ohne Zuschauer in den Stadien. Nun hat Rasen Ball Leipzig von den örtlichen Behörden eine Genehmigung zur Austragung des ersten Ligaspiels gegen Mainz erhalten und darf 8500 Zuschauern im 43.000 Zuschauer fassenden Stadion den Eintritt gewähren. Ich halte den eingeschlagenen Weg, trotz Sympathie für den Föderalismus mit dezentralen individuellen Lösungen, hinsichtlich der im scharfen Wettbewerb miteinander stehenden Klubs, für falsch. In diesem auf Verdrängung ausgerichteten Wettstreit wird auf allen Ebenen mit harten Bandagen um jeden Vorteil für den eigenen Klub gerungen.

So sind auch die aktuellen Pro-domo-Einlassungen verschiedener Clubvertreter einzuordnen, je nach Clubbezogener Betroffenheit. Bundesligaspiele, so sagt es der Name bereits, sind Bundesspiele, in denen überall die gleichen Rahmenbedingungen herrschen sollten. Der Einwand, dass es doch bereits durch unterschiedliche Stadiongrößen nicht zu gleichen Bedingungen kommt, verfängt nicht, da jeder Klub ja die Möglichkeit hätte, ebenfalls das Stadion zu vergrößern. Das würde er auch tun, wenn seine Anziehungskraft das hergäbe. Tut es aber nicht bei vielen Klubs mit kleinen Stadien. Sich über eine behördliche Auflage hinweg zu setzen, liegt jedoch nicht in der Macht des einzelnen Klubs.

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Den Leipziger Weg als Blaupause für kulturelle Veranstaltungen bei einer möglichen erfolgreichen Umsetzung zu deklarieren, ist aufgrund nicht vergleichbarer Rahmenbedingungen (geschlossene Räume) wenig zielführend. Auch wenn alle Veranstaltungen den Gesundheitsschutz betonen, wird die angestrebte Rückkehr zur Normalität und Existenzsicherung hart. Im Fußball stehen die durchgeführten Spiele aber in einem direkten Zusammenhang. Daher ist bei der Abwägung im Hinblick auf die Zulassung der Zuschauer Fair Play und Integrität des Wettbewerbs als zusätzliche Entscheidungskomponente zu berücksichtigen. Man stelle sich am Ende der Saison ein Relegations-Hinspiel als Geisterspiel in NRW vor – und das Rückspiel in Sachsen vor ausverkauftem Haus. Der Aufschrei wäre zurecht groß. Hier kann sich die DFL, als spielleitende und gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffende Dachorganisation, nicht hinter den lokalen Behörden verstecken, die völlig zu Recht die alleinige Entscheidungskompetenz auf Basis des regionalen Infektionsgeschehens haben.

Dass hier noch nebenbei subtil Druck auf die Behörden entsteht nach dem Motto „Warum geht das, was in Sachsen geht, nicht in NRW?“, steht im Widerspruch zu der vor noch nicht allzu langer Zeit an den Tag gelegten Demut. Hier wäre Selbstbeschränkung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, also der Ausrichtung der zugelassenen Zuschauer am stärksten reglementierten Bundesland, als Beitrag zur Wettbewerbshygiene und auch als gutes Signal an die Politik zu verstehen gewesen.

Besonders Bundesgesundheitsminister Spahn, der erst durch seine Genehmigung den Weg für die Austragung der Geisterspiele ebnete, hatte seine Bedenken diesbezüglich bereits öffentlich kundgetan.

Keine überzeugenden Argumente

Warum die Liga nicht bis zum 31. Oktober abwarten kann, um das Ergebnis der von den Ministerpräsidenten eingesetzten Arbeitsgruppe nach einer bundeseinheitlichen Lösung abzuwarten, ist nicht verständlich. Bis dahin sind sechs Spieltage absolviert, wirtschaftliche Überlegungen dürften so eine nur untergeordnete Rolle spielen. Das Argument, hier als Wegbereiter für andere Standorte zu fungieren, überzeugt nicht. Denn die Gesundheitsämter in NRW werden sich nach den aktuellen Infektionszahlen und nicht an möglicherweise erfolgreich umgesetzten Hygienekonzepten anderer Klubs orientieren.

Die abgelaufene Saison liefert statistische Evidenz für den Wettbewerbsvorteil der von Zuschauern unterstützten Heimmannschaften: Gewannen im Schnitt 45 % der Heimmannschaften (vor Corona) ihre Spiele, ist die Quote bei Geisterspielen nur ca 32 %. Dass diese Wettbewerbsverzerrung mit dem Bielefelder Trainer Neuhaus und dem Ex-FC-Geschäftsführer Schmadtke zwei ehemalige Sportler thematisierten, spricht für sich. Abzuwarten bleibt, ob hier nicht Einspruchsgründe vorliegen, da die sportlichen Chancen nicht davon abhängig sein dürfen, ob ein Klub in der Nähe eines Fleisch produzierenden Betriebes oder in einem nicht so stark betroffenen Bundeslandes liegt.

Die DFL hat eine Chance verpasst, hier Kante zu zeigen. Und RB Leipzig versäumt eine gute Gelegenheit, ein besonderes Bekenntnis zur Solidargemeinschaft zu zeigen, indem sie auf die behördlich genehmigte Zuschauerunterstützung im Stadion freiwillig verzichten. Ich freue mich dennoch auf die Pokalspiele und jeden Zuschauer, der live dabei sein kann. Durch den Modus besteht auch keine Sorge um die die Integrität des Wettbewerbes. Der Pokal hat nicht nur hier seine eigenen Gesetze.

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