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Gastbeitrag von Ex-Verfassungsrichter Michael BertramsFolgenreiches Dinner mit Merkel

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Köln – Das höchste deutsche Gericht ist in die Schlagzeilen geraten. Von einer unangemessenen Nähe seiner Richterinnen und Richter zur Politik ist die Rede. Der Verdacht der Befangenheit steht im Raum. Anlass zu diesen massiven Vorwürfen bietet ein gemeinsames Dinner des Bundesverfassungsgerichts mit dem Bundeskabinett am 30. Juni 2021 auf Einladung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Während dieses abendlichen Treffens referierte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) über „Entscheidungen unter Unsicherheiten“ während der Pandemie. Darin warb sie um Verständnis für politische Entscheidungen in Sachen Corona.

Die Pandemie habe alle „Staatsgewalten vor schwierige, neue Herausforderungen“ gestellt. Bei allen Maßnahmen sei klar gewesen, dass das Wissen um das Virus höchst unsicher sei. Durch die „Befristung und in der ständigen Evaluation der getroffenen Maßnahmen“ komme dies zum Ausdruck. Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts erfülle „einen Kontroll- und keinen Gestaltungsauftrag“ für die Legislative.

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Ministerin erfreut über „Gelegenheit zum Austausch“

Es freue sie, so die Ministerin weiter, dass heute die Gelegenheit bestehe, sich mit dem Bundesverfassungsgericht über die jeweiligen Perspektiven im Umgang mit den rechtlichen Herausforderungen auszutauschen. Auch Susanne Baer, Richterin im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts und Berichterstatterin in zahlreichen Verfahren zur „Bundesnotbremse“, hielt eine Rede zum Thema.

Nach Bekanntwerden dieses Sachverhalts hat Rechtsanwalt Niko Härting, der die Abgeordneten der Partei „Freie Wähler“ bei ihrer Klage gegen die Bundesnotbremse in Karlsruhe vertritt, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzenden des Ersten Senats, Stephan Harbarth, sowie Richterin Baer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Gericht setzt sich zur Wehr

Gegen diesen Vorwurf wehrt sich Harbarth mit der Begründung, es sei beim Dinner auch um andere Themen gegangen. Alle hätten sich auf „abstrakte und zeitlose Fragestellungen“ ohne konkreten Bezug zu anhängigen Verfahren bezogen.

Ich halte das Ablehnungsgesuch gleichwohl für begründet. Der Status des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan ändert nichts daran, dass die Karlsruher Richterinnen und Richter die für ihren Aufgabenbereich maßgebliche Prozessordnung zu beachten haben. Und wie andere Prozessordnungen enthält auch das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Regelungen zu einer etwaigen Befangenheit.

„Böser Schein“ genügt

Demnach ist eine Besorgnis der Befangenheit zu bejahen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Maßgeblich dafür ist nicht, ob der Richter tatsächlich in seiner Neutralität beeinträchtigt ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Verfahrensbeteiligter die auf Tatsachen beruhende Besorgnis hat, der Richter werde die Sache nicht unvoreingenommen beurteilen.

Es genügt für die Ablehnung also allein der „böse Schein“ mangelnder Objektivität. Davon ist in diesem Fall meines Erachtens auszugehen: Bei dem Dinner mit der Kanzlerin und ihrem Kabinett sind die Corona-Regelungen ausgiebig zur Sprache gekommen. An diesen Gesprächen haben sich die mit der Bundesnotbremse befassten Verfassungsrichter beteiligt. All dies hat hinter verschlossenen Türen stattgefunden. Allein schon diese Umstände waren geeignet, bei den „Freien Wählern“ Misstrauen zu wecken und die Besorgnis zu begründen, dass die Gespräche doch nicht nur abstrakt, sondern auch mit Bezug auf ihre anhängigen Verfahren geführt worden sind.

Das weisen die Richter zwar zurück. Sie selbst haben jedoch durch ihre Teilnahme an den Corona-Gesprächen im Kanzleramt einen entsprechenden Verdacht genährt und den „bösen Schein“ begründet, sich Einflüsterungen der Bundesregierung ausgesetzt und darüber ihre Unvoreingenommenheit eingebüßt zu haben.

Hinter verschlossenen Türen

Die Begegnung und die Gespräche fanden hinter verschlossenen Türen statt. Angesichts dessen liegt für die „Freien Wähler“ der Verdacht nahe, dass die Gespräche nicht nur abstrakt, sondern auch mit Bezug auf ihre anhängigen Verfahren geführt worden sind.

Das weisen die Richter zwar zurück. Sie selbst haben jedoch einen entsprechenden Verdacht durch ihre Teilnahme an Merkels Dinner und den Corona-Gesprächen genährt und damit den „bösen Schein“ begründet, sich Einflüsterungen der Bundesregierung ausgesetzt zu haben. Der Vortrag von Justizministerin Lambrecht liest sich jedenfalls nach Auffassung des Staatsrechtlers Kyrill-Alexander Schwarz „wie eine Handlungsempfehlung der Exekutive an das Bundesverfassungsgericht“.

Erschreckender Mangel an Sensibilität

Auch unabhängig vom Aspekt der Befangenheit halte ich es überdies für äußerst problematisch, dass die mit der Bundesnotbremse befassten Verfassungsrichter vor einer Entscheidung über diese Verfahren der Dinner-Einladung der Kanzlerin gefolgt sind. Meines Erachtens spricht dieses Verhalten für einen erschreckenden Mangel an richterlicher Zurückhaltung und Sensibilität.

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Aber daran hat man sich inzwischen fast schon gewöhnen müssen. Ich erinnere nur daran, dass Karlsruhe ausgewählte Journalisten vorab über noch nicht verkündete Urteile informiert und sich damit eine Gestaltungsmacht angemaßt hat, die ihm weder die Verfassung noch der Gesetzgeber einräumt. Die Karlsruher Richterinnen und Richter nehmen sich Freiheiten heraus, die in anderen Gerichten undenkbar wären – ein, wie ich finde, höchst bedenklicher Befund.   

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