Gastbeitrag von Grünen-PolitikernGeben Sie den Schwächsten mehr Gehör, Herr Laschet!

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Armin Laschet über Dokumenten

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU)

  • NRW-Grünen-Vorsitzender Felix Banaszak und Mehrdad Mostofizadeh stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Landtagsfraktion, schreiben einen Gastbeitrag für den „Kölner Stadt-Anzeiger“.
  • Ihre Position: Bei den Corona-Lockerungen kümmert sich die NRW-Regierung einseitig um die Interessen der Wirtschaft oder um Fußball-Millionäre.
  • Lesen Sie jetzt die ganze Sicht der Autoren auf die aktuelle Lage in Nordrhein-Westfalen.

Köln – Geschäfte, Shoppingmalls und sogar Möbelhäuser öffnen. Doch Kinder müssen weiter mit ihren Familien zu Hause bleiben, und in den Pflegeeinrichtungen grassieren Einsamkeit und Elend. Die Agenda der NRW-Landesregierung hat in den vergangenen Wochen eine dramatische Schieflage in Richtung gut organisierter Wirtschaftsinteressen sichtbar gemacht, die mit der sozialen Rhetorik von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) nur schwer zusammenpasst. Unter den Schwächsten der Gesellschaft – Alten, Behinderten, Pflegebedürftigen – geht derweil die Angst um: die Angst vor weiterer Abschottung und die Angst, als unwertes Leben zu gelten.

Am Dienstag nun hat Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) endlich erste Lockerungen bei der Abschottung der Heime bekannt gegeben. Wochenlang waren die Bewohner dort isoliert und eingesperrt – fraglich ist, ob jetzt Besuche sicher möglich sein werden. Und: Wer diese Menschen pflegt, wird weiterhin allein gelassen von der Regierung Laschet. Hier muss sich einiges ändern. In einem herzzerreißenden Brief berichtet die Tochter einer 97 Jahre alten Heimbewohnerin aus Münster in deren Auftrag: „Die anderen Heimbewohner und ich sitzen seit viereinhalb Wochen auf unseren Zimmern und haben bis auf das Pflegepersonal, das keine Zeit mehr für ein persönliches Gespräch findet, keinen Kontakt mehr untereinander. Das Schlimmste ist, dass wir nicht nach draußen dürfen. (…) Obwohl wir nicht offiziell unter Quarantäne stehen, werden wir seit viereinhalb Wochen isoliert.“

Isolation in Wohn- und Pflegeheimen ist mit der Verfassung nicht zu vereinbaren

Es war richtig, Heime in einem ersten Schritt abzuriegeln. Denn wenn sich dort das Virus verbreitet, trifft es auf engem Raum auf zahlreiche Menschen in Risikogruppen. Gut, dass sich dort jetzt erste Dinge ändern, denn es ist schlicht mit unserer Verfassung nicht zu vereinbaren, erwachsene Menschen gegen ihren Willen wochenlang einzusperren und von persönlichen Kontakten abzuschneiden. Wer gehofft hatte, dass Gesundheitsminister Laumann sich um Konzepte für sichere Besuche kümmert, sah sich wochenlang enttäuscht. Statt über Schutzkonzepte zu berichten, referierte Laumann lieber über die Bedeutung der NRW-Küchenindustrie.

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Zu den Autoren

Felix Banaszak, geboren 1989, ist seit 2018 Vorsitzender der Grünen in Nordrhein-Westfalen.

Mehrdad Mostofizadeh, geboren 1969, ist stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Landtagsfraktion und deren Sprecher für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Kommunalpolitik.

Nach Wochen liegt nun immerhin ein erster Schritt der Öffnung vor. Darüber hinaus brauchen wir Bewegungsfreiheit gerade für die besonders Gefährdeten, beispielsweise über exklusive Einkaufszeiten oder bevorzugte Termine in Behörden und spezielle Nutzungszeiten in öffentlichen Parks oder Kultureinrichtungen. So genannte Risikogruppen dauerhaft zu isolieren, darf niemals eine Option sein.

Wenn Heime zumindest teilweise geöffnet werden, geht es auch um die Pflegerinnen und Pfleger. Besuche sollen mit Mundschutz und Kittel stattfinden können – aber ob diese überhaupt für das Personal in ausreichender Zahl vorhanden sind, ist völlig unklar. Das ist ein Armutszeugnis. Für die Beschäftigten gilt: Gerade wer unter schwierigsten Bedingungen anderen Menschen hilft, hat nicht nur Applaus verdient, sondern auch eine dauerhaft bessere Bezahlung und vor allem: den bestmöglichen Schutz.

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Warum also wird in Heimen noch immer nicht flächendeckend, systematisch und in kurzen Abständen auf das Coronavirus getestet? Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts sind eindeutig: Die Testkapazitäten werden nicht einmal annähernd ausgeschöpft. Dabei könnten damit weitere Ausbruchs-Hotspots in Heimen vermieden werden. Dass gleichzeitig für kickende Bundesliga-Millionäre ausgefeilte Schutzkonzepte und reihenweise Tests geplant werden und auf der Agenda des Ministerpräsidenten weit oben stehen, muss für Pflegekräfte wie Hohn klingen. Welches Signal senden wir eigentlich, wenn Fußballspiele stattfinden dürfen, aber unsere Eltern und Großeltern einsam in den Heimen leben und sterben müssen?

Auf einen Schutz und bestmögliche Behandlung im Krankheitsfall müssen sich auch Menschen mit Behinderung verlassen können. Doch hier ist die Verunsicherung riesig, wie uns Betroffene berichten. Die Diskussion über eine mögliche Überlastung des Gesundheitssystems und mögliche Triage-Maßnahmen belastet sie massiv. Sie müssen befürchten, dass ihre Behinderung für eine Berechnung ihrer Überlebenswahrscheinlichkeit herangezogen wird. Es geht dabei unter anderem um Menschen, denen Ärzte aufgrund der Behinderung nur wenige Jahre des Überlebens prognostiziert haben. Inzwischen haben sie (und oft ihre Angehörigen) gegen die Wahrscheinlichkeiten angekämpft, haben medizinische Hilfe und eine echte Teilhabe erstritten, sind erwachsen – und müssen nun befürchten, im Zweifel nicht adäquat behandelt zu werden.

Es braucht einen Paradigmenwechsel. Wortstarke Wirtschaftsverbände sollten nicht länger allein die Lockerungs-Agenda der Landesregierung beherrschen. Es muss jetzt darum gehen, dass auch die Schwachen und Schwächsten stärker gehört und berücksichtigt werden.

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