Geflohene afghanische Bürgermeisterin„Die Taliban haben sich kein Stück verändert“

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Zarifa Ghafari, ehemalige Bürgermeisterin von Maidan Shahr

Düsseldorf – Es waren Bilder, die um die ganze Welt gingen: Vor etwas mehr als einem Jahr versank der Flughafen in Kabul im Chaos, als Tausende Afghanen versuchten, der von den Taliban eingenommenen Hauptstadt zu entkommen. Eine von ihnen war Zarifa Ghafari: Sie landete Ende August 2021 mit ihrer Familie am Flughafen Köln/Bonn. In Afghanistan zu bleiben, wäre fast einem Todesurteil gleichgekommen. Denn Ghafari (30) war seit 2018 Bürgermeisterin von Maidan Shar. Sie war das jüngste Stadtoberhaupt Afghanistans, eine von wenigen Frauen in dieser Position – und ein Feindbild für die Taliban.

Vor einem Jahr sprach Ghafari in dieser Zeitung über ihre Flucht, ihre Pläne, den Sieg der Taliban. Sie glaube nicht, dass diese die Rechte von Frauen auf Bildung und Arbeit schützen würden, sagte Ghafari damals – und behielt Recht.

Heute wirkt Zarifa Ghafari entspannt, fast fröhlich. Sie trägt eine Halskette mit der Flagge Afghanistans, schwarz, rot, grün. Sie sagt: „Ich habe im vergangenen Jahr vieles erreicht.“ Sie schrieb ein Buch, kooperierte mit Netflix für einen Dokumentationsfilm, gleichzeitig arbeitet sie immer noch für ein Bildungs- und Gesundheitszentrum für Frauen in Kabul - via Home Office. Doch privat sei das vergangene Jahr in ihrer neuen Düsseldorfer Wohnung schwierig gewesen. „Ich denke, ich glaube, ich fühle, ich lache hier. Aber ein großer Teil von mir ist in Afghanistan. Düsseldorf ist nicht mein Zuhause.“

Taliban versuchten dreimal, sie zu töten

Zarifa Ghafari strahlt eine scheinbar unzerstörbare Resilienz aus. Verlust und Erfolge beeinflussen ihren Ehrgeiz kaum, sagt sie, und wenn doch, dann verstärken sie eher ihren Drang, sich für die Rechte von Frauen in ihrem Heimatland einzusetzen. Dreimal versuchten die Taliban, Zarifa Ghafari zu töten. Dreimal scheiterten sie. Stattdessen erschossen sie ihren Vater, direkt vor dem Wohnhaus der Familie.

Trotzdem wollte Ghafari bleiben. Als die NATO Afghanistan verließ. Als die Taliban Maidan Shar einnahmen und Ghafari ins Verteidigungsministerium wechselte. Als Kabul fiel. „Afghanistan zu verlassen war keine Entscheidung, die ich für mich getroffen habe“, sagt Ghafari. „Aber es gibt dort kein Leben mehr für meine Familie. Sie könnte angegriffen werden – schon wieder.“

Vor 100 Jahren, sagt Ghafari, sei das Leben in Afghanistan gar nicht so anders gewesen wie in Europa. Frauen und Mädchen haben gearbeitet, durch das Land fuhren Züge. „Wir hatten so viele Dinge, ein modernes Leben. Dann war alles weg.“ Die Taliban sagten nach ihrer Machtübernahme, sie hätten sich geändert. Seien nicht mehr dieselben Taliban, die schon in den 90er Jahren die Macht an sich rissen, versprachen, Schulen für Mädchen offen zu halten. Am Anfang, erzählt Ghafari, als die Taliban eine Universität für Mädchen eröffneten, da sei sie ein ganz bisschen optimistisch gewesen. „Aber die Taliban beweisen gerade, wer sie wirklich sind. Sie haben sich kein Stück verändert.“

Ghafari kehrte nach Afghanistan zurück

Ende Februar, als die ganze Welt auf die Ukraine guckte, besuchte Ghafari mit einer NGO Afghanistan. Damit auch dieses Leid nicht vergessen werde. Wenn die Taliban mich erschießen, sagte Ghafari zu einem Bekannten, dann sterbe ich immerhin in meinem eigenen Land. „Ich wollte die Situation dort mit meinen eigenen Augen sehen – vor allem die Situation der Frauen.“

Schon vor der Machtübernahme der Islamisten sei Afghanistan ein armes Land gewesen. „Aber jetzt saßen vor einer Bäckerei in Kabul dutzende Frauen und bettelten um ein Stück Brot. Das hatten wir vorher noch nie.“ Einige Familien würden ihre minderjährigen Töchter verkaufen, weil sie ihre Kinder nicht mehr ernähren können. „Es gibt viele Länder, die genauso strikte islamische Gesetze haben und sogar noch strengere. Aber Afghanistan ist das einzige Land der Welt, in dem du dafür bestraft wirst, eine Frau zu sein.“

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In den kommenden Jahren will sich Ghafari weiter für die Bildung von Mädchen in Afghanistan einsetzen. „Um die Welt zu ändern, muss man das System ändern“, sagt sie. „Eine Systemänderung ist nur durch eine Veränderung in den Köpfen der Menschen möglich. Es ist harte Arbeit, diesen Menschen zu beweisen, dass ihre bisherige Ideologie falsch ist. Aber das ist es, was ich tue.“ 

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