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Geplante NRW-Meldestellen für RassismusFDP fürchtet „SED-ähnliches Blockwartsystem“

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Familienministerin Josefine Paul im Interview in der Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“

Düsseldorf – Der neue Amtstitel der Grünen-Politikerin Josefine Paul, 40, ist so lang wie der gegenwärtige Diskurs um ein bundesweit einzigartiges Projekt aus ihrem Hause. Die NRW-Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration will vier Meldestellen gegen Queerfeindlichkeit und Rassismus einrichten.

Geht es nach Paul sollen entsprechende Vereine und Interessenverbände Informationen über Diskriminierung von LSBTIQ (Lesben, Schwulen, Bi-, Trans-, Intersexuelle und Queers) aufnehmen. Überdies sind entsprechende Einrichtungen für Juden, Muslime, Sinti und Roma, Schwarze, Asiaten und andere Rassismus-Opfer geplant. Später sollen diese Stellen Jahresberichte veröffentlichen, um das Dunkelfeld der Diskriminierung von Minderheiten an Rhein und Ruhr aufzuhellen.

Pauls Pläne sorgten auch für Kritik. Arnd Diringer, Rechts-Professor an der Hochschule Ludwigsburg und Publizist, bezeichnete das Vorhaben in der Zeitung „Welt“ als „hochproblematisch“, da vor allem Meldungen über rassistische Ressentiments registriert werden, die nicht strafbar sind. Auch sei nicht geklärt, wie der Daten- und Personenschutz gewährleistet sei.  

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Verfassungsrechtler befürchtet Denunziantenstellen

Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ befürchtete der ehemalige Landesverfassungsrichter Michael Bertrams „Denunziantenstellen“ in privater Hand. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Thomas Sattelberger wetterte über ein „SED-ähnliches Blockwartsystem unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“. Der Liberale witterte gar „grünes Moralwächtertum“.

Sätze, die verwundern müssen. Stammt doch der Plan, ein Netzwerk von Meldestellen zu errichten, ursprünglich von Sattelbergers Parteifreund in NRW. Mitte Januar 2022 noch hatte der damalige FDP-Integrationsminister Joachim Stamp den Aufbau des Projekts verkündet. Zitat: „Nordrhein-Westfalen ist ein weltoffenes und vielfältiges Land. Rassismus, Queerfeindlichkeit, Hass und Ausgrenzung sind ein Angriff auf unsere Gesellschaft, dem wir entschieden entgegentreten. Mit der Errichtung wissenschaftlich arbeitender Meldestellen werden wir die Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene verbessern und gleichzeitig das öffentliche Bewusstsein sowie unsere Kenntnisse zur Prävention von Diskriminierung erweitern.“

Nun also will die neue Ministerin der Grünen genau jenes Melde-Netzwerk umsetzen, das ihr liberaler Vorgänger angestoßen hatte.

FDP stellt nun plötzlich Bedingungen wegen Rassismus-Meldestellen

Nach der Landtagswahl in die Opposition gerückt, mahnt die FDP nun insbesondere den Schutz der Persönlichkeitsrechte an. Innenexperte Marc Lürbke begrüßt zwar die Info-Stellen, stellt aber Bedingungen: „So muss sichergestellt werden, dass die Daten ausschließlich anonym erhoben und wissenschaftlich fundiert ausgewertet werden.“ In dem Zusammenhang gelte es, die Hinweise auf etwaige Diskriminierung bestmöglich zu überprüfen, um überhaupt belastbare Erkenntnisse gewinnen zu können.

„Bessere Einblicke zu Alltagsdiskriminierungen sind sinnvoll. Wir werden aber sehr genau beobachten, inwieweit die Meldestellen von den Grünen politisch instrumentalisiert werden sollen, um weitreichende Maßnahmen im geplanten Antidiskriminierungsgesetz zu begründen“, so der FDP-Parlamentarier."

Personenbezogene Daten sollen nicht erhoben werden

Ministerin Paul hat gleich mehrfach betont, dass man kein Denunziantentum fördern werde. Vielmehr orientiert sich das neue Projekt an der landesweiten Meldestelle für Antisemitismus RIAS NRW, die im Sommer 2021 ihre Arbeit aufnahm. „Es dürfen keine personenbezogenen Daten erhoben werden – deshalb geht es auch nicht um Denunziation“, betonte die Grünen-Politikerin unlängst gegenüber dieser Zeitung. „Personenbezogene Anzeigen können weiterhin ausschließlich an die Polizei gerichtet werden. Es geht uns vielmehr um die Möglichkeit, Vorfälle von Diskriminierung sichtbar machen zu können. Für uns steht im Vordergrund, dass wir die Betroffenen damit nicht alleine lassen wollen.“

Die Recherche- und Informationsstellen sollen demnach eine Datengrundlage schaffen. „Dadurch erhoffen wir uns Hinweise, wie und wo wir künftig durch Prävention, Sensibilisierung und Intervention die Lage für die Betroffenen verbessern können.“

140.000 Euro pro Institution

Im Sommer 2023 sollen die Meldestellen ihren Betrieb aufnehmen. Um antimuslimischen Rassismus kümmert sich der Trägerverbund der Vereine Interkultur e.V. und Coach e.V. Das Thema Antiziganismus (Sinti und Roma) betreut der Verein PlanB Ruhr, die Meldestation „anti-Schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen des Rassismus“ übernimmt der Verbund der sozial-kulturellen Migrantenvereine Dortmund. Den Info-Punkt „Queerfeindlichkeit“ organisiert das Queere Netzwerk NRW. Jede Institution erhält 140.000 Euro vom Land zum Aufbau dieser Einrichtungen. Rassistische Pöbeleien in Bus oder Bahn, sexistische Bemerkungen auf der Straße oder in der Schule, diskriminierende Witze oder Sprüche, herabwürdigende Posts oder Mails. Beleidigungen von Schwulen oder Lesben - dieses große Spektrum soll das Melde-Netzwerk abbilden. Angsträume werden so besser sichtbar, heißt es im Ministerium. Derzeit arbeitet man noch daran, rechtlich konforme Standards im Hinblick auf den Datenschutz zu entwickeln. So sollen einzig anonymisierte Sachverhalte in die Datenbanken Eingang finden.

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Beim Koalitionspartner CDU herrschen gemischte Gefühle. Offiziell stehen die Reihen um Ministerpräsident Hendrik Wüst hinter dem Projekt. Fraktionschef Thorsten Schick gab intern eine entsprechende Linie heraus. Darin heißt es: Die Zukunftskoalition von CDU und Grünen weite planmäßig das Engagement des Landes aus „und schafft weitere Meldestellen für rassistisch und queerfeindlich motivierte Vorfälle und Übergriffe.“ Mit dem erweiterten Angebot setze NRW „bundesweit Maßstäbe bei der Arbeit für Diskriminierungsfreiheit und eine offene Gesellschaft“.

In der Fraktion aber gibt es auch andere Stimmen. Vom Einstieg in den Schnüffelstaat ist da die Rede. „Da wird quasi willkürlich entschieden, was eine diskriminierende Äußerung ist“, moniert ein Kritiker. Zugleich stellen manche Parlamentarier die Frage, warum die Landesregierung nicht auch eine Diskriminierungsstelle für Christen einrichten will. Auf Anfrage antwortete das Ministerium, dass daran nicht gedacht sei.

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