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Gladbecker GeiseldramaWas die NRW-Polizei aus den Fehlern von 1988 gelernt hat

Lesezeit 4 Minuten
Gladbeck Geiselnahme

Köln: Der Wagen mit den Geiselnehmern wird am 18.08.1988 in Köln von Journalisten umringt.

Düsseldorf – Der interne Vermerk des NRW-Innenministeriums ist zwölf Seiten lang. Das Papier trägt die Überschrift: „Veränderungen in der Polizei NRW in den letzten 30 Jahren – Was hat die Gladbecker Geiselnahme von 1988 in der Polizei bewirkt?“. Das Dokument, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, räumt schwere Polizeifehler im Umgang mit der Geiselnahme ein. So habe es „kein durchgängige Führungsverantwortung“ gegeben, „weder im eigenen Land, noch über die Landesgrenzen hinweg“. Das taktische Vorgehen sei „schlecht beziehungsweise unzureichend“ gewesen. Gleich mehrere Möglichkeiten für einen Zugriff seien ausgelassen worden, heißt es.

„Gladbeck war ein Weckruf für die Polizei“

Damit distanziert sich das NRW-Innenministerium heute ausdrücklich von den Einschätzungen der Landesregierung im Jahr 1988. Der damalige NRW-Innenminister Herbert Schnoor (SPD) nahm die Polizeiführung in einem Untersuchungsausschuss ausdrücklich in Schutz. „Anders als die Verantwortlichen in der Politik haben die Verantwortlichen in der Polizei aus Gladbeck relativ schnell ihre Lehren gezogen“, erklärt NRW-Innenminister Herbert Reul. Anfang der 90er Jahre sei „so manches im Verborgenen verändert“ worden. „Heute kann man sagen: Gladbeck 1988 war für die NRW-Polizei ein ähnlicher Weckruf wie München 1972 für die Polizei im Bund“, so der CDU-Politiker. Was hat sich geändert? Ein Überblick.

Stäbe arbeiten professionell

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In Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster wurden „Ständige Stäbe“ eingerichtet. Sie übernehmen die Einsatzleitung zum Beispiel bei Geiselnahmen, Entführungen, Anschlägen und Amoktaten, koordinieren die Spezialeinheiten. Die Angehörigen der Stäbe beschäftigen sich hauptamtlich mit der Bewältigung besonderer Krisenlagen und werden von hochrangigen, speziell dafür ausgebildeten Polizisten geleitet. Der Polizeiführer trägt die Verantwortung für die Gesamtdauer des Einsatzes. 1988 war das Vorgehen noch wenig professionell: Der ranghöchste Beamte, der gerade greifbar war, wurde in schwierigen Situationen zum Einsatzleiter gemacht.

Ärzte sind einsatzbereit

Bei allen Spezialeinsätzen müssen mittlerweile Ärzte und Sanitäter im Hintergrund bereitstehen. 1988 war beim Einsatz an der Autobahnraststätte Grundbergsee kein Rettungsfahrzeug in der Nähe. Ein 14-jähriger Italiener konnte nach einer Schussverletzung nicht schnell genug versorgt werden und starb.

Täter werden abgeschirmt

Heute dürften Pressevertreter nicht mehr an ein Fluchtfahrzeug herantreten. Live-Interviews mit den Tätern wären so nicht mehr möglich. 1988 hatten Medienvertreter den Geiselnehmern geholfen und so die Arbeit der Polizei erschwert.

Zugriff soll schnell erfolgen

Bankräubern würde es heute nicht mehr erlaubt, den Tatort in Gladbeck zu verlassen. Es gilt der Grundsatz, die „Lage stationär zu halten“ beziehungsweise die Täter nicht „in Bewegung zu gehen zu lassen“. Der erste Kontakt zu den Geiselnehmern soll von qualifizierten Polizisten übernommen werden. Beim Verdacht einer Geiselnahme sollen die Beamten niemals vor das Objekt fahren, wie in Gladbeck geschehen. Eine „verdeckte Annäherung“ müsse gewährleistet werden, heißt es in dem Vermerk des Innenministeriums.

Gezieltes Training

Seit 1995 trainieren die Spezialeinheiten die Geiselbefreiung in Übungshäusern. Die Beamten wurden mit Präzisionswaffen ausgerüstet und können die Täter mit Videoanlagen und Abhöreinrichtungen in Observationsfahrzeugen überwachen.

SEK kommt aus der Luft

Sobald eine Geiselnahme erfolgt, werden automatisch die Spezialeinheiten alarmiert und ein Lufttransport vorbereitet. 1990 wurden Polizeihubschrauber vom Typ BK 177 B2 angeschafft, die bis zu elf Beamte transportieren können. Der zuvor verwendete Hubschraubertyp MBB BO 105 wurde sukzessive ausgemustert.

NRW-Ministerpräsident Laschet besucht Grab

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wird am Donnerstag des Grab der bei der Entführung getöteten Geisel Silke Bischoff im niedersächsischen Heiligenrode besuchen.

Auch der Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen, Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) und die Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Niedersachsen, Birgit Honé (SPD), nehmen an dem Gedenken teil. Laschet hatte sich im Vorfeld bereits für die Polizeifehler entschuldigt. Es sei die oberste Pflicht eines Staates, seine Bürger zu schützen. Dies sei bei der Bewältigung des Gladbecker Geiseldramas nicht gelungen, sagte Laschet.

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland startet am Donnerstag eine dreitägige, digitale Reportage, die in Echtzeit parallel zu den Ereignissen vor 30 Jahren verläuft und einen neuen Blick auf die Geschehnisse ermöglicht.

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