Gott geht onlineKann Social Media Kirchen wieder attraktiver machen?

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Gottes Wort auf dem Smartphone: In der „AndachtsApp“ gibt es täglich ein Gebet im Audio oder Videoformat.

Gottes Wort auf dem Smartphone: In der „AndachtsApp“ gibt es täglich ein Gebet im Audio oder Videoformat.

2017  haben die Kirchen in Deutschland 660 000  Mitglieder verloren. Mit Videoclips und  Facebook-Posts wollen sie den Glauben wieder modern machen.

  • [Lesedauer: rund 5 Minuten]

„Mein Haar liegt noch?“, fragt Jana. Hinter der Kamera nickt jemand. Jana, graues Shirt, silberne Kreuz-Ohrstecker, einen Jutebeutel mit Christusmonogramm neben sich, schaut sich kurz um. Ein Studio in einem Kölner Bürogebäude. Vielleicht zehn Quadratmeter. Gelbes Sofa, hellblauer Sessel, Laminat, Holzkommode – mehr passt nicht rein.

„Die Bibel steht da ein bisschen zu offensichtlich, oder?“ fragt Jana und zeigt auf die Regale hinter sich. Erneutes Nicken. Die Bibel also wird hingelegt. Dann Klappe, die Zweite. Gerade hatte sich Jana noch verhaspelt. Jetzt läuft’s. Sie spricht über den Wert der eigenen Meinung, über Kompromisse – und darüber, wie Christen in Diskussionen oft unfair behandelt werden. Ohne Stocken, sieben Minuten lang.

Kirchliche Influencerin

Jana Highholder, 20, Medizinstudentin aus Münster, ist das, was die evangelische Kirche jetzt braucht. Sie ist schön, sie ist klug, sie ist eloquent. Und gläubige Christin seit ihrer Kindheit, ihr Vater arbeitet bei der Landeskirche. Seit Februar ist Jana Highholder die erste kirchliche Influencerin Deutschlands – auch wenn sie sich selbst nicht gern so nennt. Auf Youtube, der größten Videoplattform der Welt, soll sie mit kurzen Clips die größte Institution der Welt zurück in den Alltag von jungen Erwachsenen bringen.

Jana Highholder dreht in Köln Youtube-Videos für die evangelische Kirche.

Jana Highholder dreht in Köln Youtube-Videos für die evangelische Kirche.

Ihr Kanal heißt „Jana glaubt“, die Videos „Disco, Sauna, Bikinifotos – was darf ich als Christ?“ oder „Gebet: Führe ich Selbstgespräche?“ Abschlusslächeln. Kamera aus. „War gut, oder?“ „Ja, war super“, sagt ein Kameramann. Noch ein Take. „Vielleicht wird’s ja noch besser.“

Mitglieder schwinden

Und es muss ja besser werden. Auf Menschen wie Jana lasten die Hoffnungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Denn sie hat ein Problem, das sie sich mit der katholischen Kirche teilt: Die Mitglieder schwinden. Jedes Jahr gehen Menschenmassen in der Bevölkerungszahl einer Großstadt verloren. Am Freitag gaben beide Kirchen die aktuellen Zahlen bekannt. Die Katholiken verloren im vergangenen Jahr knapp 270.000 Mitglieder, die Protestanten 390.000.

Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Die meisten verlorenen Mitglieder sind gestorben. Viele aber sind auch ausgetreten. Ein gutes halbes Prozent ihrer Mitglieder verliert die katholische Kirche jährlich durchschnittlich durch Kirchenaustritte. Bei der evangelischen Kirche sind es sogar ein bisschen mehr. Die Neu- und Wiedereintrittszahlen, bei beiden Kirchen jährlich im mittleren fünfstelligen Bereich, können den Trend nicht ausgleichen. Eine Bedrohung für zwei Institutionen, deren wichtigste Finanzierungsquelle die Kirchensteuer ist.

Innerhalb der Kirche kaum Kritiker

„Wir investieren hier auch in die Zukunft“, sagt Pfarrer Thomas Dörken-Kucharz. Er guckt auf einen riesigen Fernseher in einem Nebenraum des Mediakraft-Studios, der Agentur, die „Jana glaubt“ produziert. Dörken-Kucharz ist aus Frankfurt angereist, das macht er zu jedem Drehtermin. Der promovierte Theologe arbeitet beim Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, dort, wo alle medialen Formate verwaltet werden, die die EKD hat. Früher war er ARD-Beauftragter, seit einem Jahr managt er Produktionen, die etwas mit dem Internet zu tun haben.

Auch wenn „Jana glaubt“ viel Geld koste, es gebe innerhalb der Kirche nicht viele Kritiker des Formats, sagt Dörken-Kucharz. Wenn doch, dann forderten sie, man solle die Mittel lieber in karitative Arbeit stecken. „Wenn wir jetzt nicht in Projekte investieren, die bei jungen Leuten wieder eine emotionale Bindung zur Kirche herstellen, dann haben wir in 30 Jahren keine Menschen mehr, die mit ihren Steuern unsere karitativen Projekte finanzieren“, sagt er. Das sitzt.

Niemanden abschrecken

„Hardcore-Glauben“ würden sie hier machen. Soll bedeuten: Jana beschäftigt sich in ihren Videos mit grundsätzlichen Fragen. Bei wirklich kontroversen Themen wie Homosexualität oder Sex vor der Ehe hält sie sich aber noch zurück. Erst mal niemanden abschrecken, ist das Konzept.

Für zwei Jahre hat die EKD Mittel für das Youtube-Format zur Verfügung gestellt. Zwischenfazit nach gut einem halben Jahr: 1750 Abonnenten. Das am besten geklickte Video hat fast 20 000 Aufrufe. „Wir sind sehr zufrieden, das Wachstum läuft super“, sagt Dörken-Kucharz. Am besten funktioniere Jana bei Studenten.

500 Euro Verlust pro Austritt

Und damit bedient sie die richtige Zielgruppe. Eine der aktuellsten Studien zu Kirchenaustritten kommt aus der katholischen Kirche, genauer: aus Essen. Rund 4000 Menschen treten dort jedes Jahr aus. Die meisten von ihnen zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr. Mit mindestens 500 Euro Verlust rechnet man in Essen jährlich – pro Austritt.

„Das passiert oft mit dem ersten Gehalt“, sagt Regina Laudage-Kleeberg, Leiterin der Abteilung Kinder, Jugend und junge Erwachsene im Bischöflichen Generalvikariat Essen. „Das ist eine Kosten-Nutzen-Abwägung: Was bringt mir die Kirche – und was kostet sie mich?“ Laudage-Kleeberg und ihre Kollegen versuchen, kirchliche Arbeit jünger und digitaler zu machen. Es gibt Seiten des Bistums auf Facebook, Instagram und Twitter. Darauf: Zitate, Sprüche, Seelsorge per Messenger-Nachricht. Alles genau durchkonzipiert: Jugendgruppen bekommen Tipps zur Arbeit im Internet, Facebook-Clips werden mit Pfarrern aufwendig produziert.

Wenn Laudage-Kleeberg spricht, über Zielgruppen und die „Ästhetisierung von Inhalten“, dann klingt sie auch ein bisschen wie eine Angestellte einer Werbeagentur. „Wir mussten lernen, wie man die alte Botschaft der Kirche cool verpackt, ohne sich anzubiedern. Das war gar nicht so einfach.“ Auch ihr Bistum arbeitet mit teuren Agenturen zusammen, auch sie bekommt dafür Kritik. „Klar, wir erhöhen durch unsere digitale Arbeit nicht die Anwesenheit im Sonntagsgottesdienst. Aber der wirkt an manchen Stellen ohnehin befremdlich auf Menschen, die nicht so tief im kirchlichen Alltag sind.“

Leute müssen sich bewusst für Kirche entscheiden

Ziel sei, diejenigen zu erreichen, die die Kirche aus dem Blickfeld verloren haben. Das Sozialchristentum gebe es nicht mehr, man ist nicht mehr in der Kirche, weil man eben in der Kirche ist, sagt Laudage-Kleeberg. Vielmehr müssten sich Leute heute bewusst für die Kirche entscheiden. „Dafür reicht eine Wow-Erfahrung. Im echten Leben kann das eine tolle Hochzeitspredigt sein. Im Internet sind das eben Formate, die kreativ alltägliche Sinnfragen beantworten.“

Die Kirche und ihre Kommunikation mit ihren Mitgliedern verändert sich nicht zum ersten Mal radikal, ähnlich war es im 16. Jahrhundert nach der Erfindung des Buchdrucks und im 20. Jahrhundert mit Erfindung des Fernsehers. Mittlerweile twittert der Papst, es gibt Gottesdienste auf Instagram und Kollekten-Apps.

In Kooperation mit den Youtubern von „Rocket Beans TV“ und den öffentlich-rechtlichen Sendern schaffte es die evangelische Kirche sogar auf Platz eins der Youtube-Trends. Auch die katholische Kirche legte mit „Valerie und der Priester“ ein professionelles Format auf der Videoplattform hin. Dazu: Priester, die mit Konfirmanden und Firmlingen auf Whatsapp schreiben. Und auch zum Katholikentag in Münster gab es Mitte Mai eine eigene App.

Kirchen haben bei Angeboten im Internet zugelegt

Punktuelle Vorstöße oder schon Beginn der digitalen Wende? „Die Kirchen haben generell bei Angeboten im Internet stark zugelegt“, sagt Matthias Sellmann, Gründer und Leiter des Zentrums für angewandte Pastoralforschung an der Ruhr-Universität Bochum. „Das Ganze könnte aber mit mehr Offensive und Power passieren.“

Nach gut drei Stunden hat Jana ihr zweites Video abgedreht. Als Christin in ihrem Alter, erzählt sie, gelte man schnell als komisch: „Und genau aus dieser Angst heraus denke ich mir: In den sozialen Medien ist jede Meinung vertreten. Warum nicht auch das Christentum? Nur weil’s erst mal nicht so hip klingt?“ Jetzt erst mal Mittagspause, Pizza.

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