Abo

GrokoParteien übersehen bei Vergabe der Ministerposten eine wichtige Gruppe

Lesezeit 3 Minuten
SPD Minister

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (r) macht ein Selfie mit den designierten SPD Ministern in der Großen Koalition (vorne l-r): Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles, Katarina Barley und Svenja Schulze; (hinten l-r): Olaf Scholz, Hubertus Heil, Franziska Giffey, der Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth und Heiko Maas.

Berlin – Zahlreichen Ansprüchen hatte die SPD bei der Verteilung ihrer sechs Ministerposten in der großen Koalition gerecht werden wollen: Genauso viele Frauen wie Männer sollten vertreten sein, eine ostdeutsche Politikerin ebenso wie Vertreter der Landesverbände aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Auch die Parteilinke sollte wichtige Posten besetzen. Sämtliche Ziele wurden erreicht.

Eine große Bevölkerungsgruppe übersahen die Sozialdemokraten bei ihren Planspielen aber ebenso wie ihre Koalitionspartner CDU und CSU: Rund 18,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund lebten 2016 in Deutschland. Dass sie beinahe ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen, spiegelt die Postenvergabe jedoch nicht wieder.

Barley bleibt die Ausnahme

Einmal abgesehen von der ehemaligen Familien- und neuen Justizministerin Katarina Barley (SPD), Tochter eines Briten und einer Deutschen, stammt kein deutsches Regierungsmitglied aus einer Familie mit Einwanderungsgeschichte. Und auch auf der Liste der 35 künftigen Staatsminister und Parlamentarischen Staatssekretäre ist nicht ein Politiker mit Migrationsgeschichte vertreten.

Alles zum Thema Deutscher Bundestag

Den Posten der bisherigen Staatsministerin für Integration Aydan Özoguz (SPD), deren Eltern aus der Türkei stammen, übernimmt die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz (CDU).

„Das ist ein Demokratiedefizit“

„Es ist enttäuschend, kommt aber nicht überraschend“, kommentierte Gonca Türkeli-Dehnert, Geschäftsführerin der Deutschlandstiftung Integration, die Postenvergabe in der neuen Bundesregierung. Zwar sei der Anteil der Bundestagsabgeordneten mit Migrationshintergrund in dieser Legislaturperiode leicht gestiegen, aber mit knapp acht Prozent noch weit entfernt vom Anteil an der Gesamtbevölkerung. „Das ist ein Demokratiedefizit“, sagte Türkeli-Dehnert. Wer nicht mitmischen und mitentscheiden könne, fühle sich nicht zugehörig.

Unter den 709 im vergangenen September in den Bundestag gewählten Abgeordneten befinden sich dem Mediendienst Integration zufolge 58 Parlamentarier aus Einwandererfamilien. „Jetzt müssen die Parteien schnell nachsteuern, gezielte Nachwuchsförderung betreiben und mehr Politiker mit Migrationshintergrund in aussichtsreichen Wahlkreisen als Kandidaten berücksichtigen“, so Türkeli-Dehnert.

Viele sehen einen Rückschritt

Auch die Opposition kritisierte die Personalwahl der Koalitionsparteien. Filiz Polat, Sprecherin für Migrations- und Integrationspolitik in der Bundestagsfraktion der Grünen, sagte, SPD und Union unterwanderten damit das Bekenntnis zum Einwanderungsland Deutschland. Weder eine Ministerin noch einen Parlamentarischen Staatssekretär mit Migrationshintergrund zu benennen, sei „ein sehr bedauernswerter Rückschritt und wird unserer vielfältigen Gesellschaft nicht gerecht“.

Bernd Riexinger, Die Linke-Parteivorsitzender, sagte, zwischen der Lebenswelt der Menschen im Land und der großen Koalition klaffe eine Lücke. Die verfehlte Integrationspolitik spiegle sich in der Besetzung des Kabinetts wieder. „Angesichts einer Gesellschaft, in der jeder Vierte einen Migrationshintergrund hat, die Themen Flucht und Zuwanderung ganz oben auf der Tagesordnung stehen und eine rechtsextreme Partei im Bundestag den strukturellen Rassismus im Land befeuert ist diese Diskrepanz unangemessen“, sagte Riexinger.

Elizabeth Beloe, stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes Netzwerke von Migrantenorganisationen, sagte, es sei „mehr als bedauerlich, dass nicht nur im Deutschen Bundestag Menschen mit Migrationsgeschichte stark unterrepräsentiert sind“. Damit würden die Perspektiven von vielen in Deutschland lebenden Menschen nicht berücksichtigt. „In den nächsten zehn Jahren haben in Deutschland bereits 40 Prozent der 20- bis 40-Jährigen eine Migrationsgeschichte – und das spiegelt sich nicht im neuen Kabinett wieder“, sagte Beloe. „Das Repräsentationsproblem wird damit in Zukunft sogar noch größer.“

KStA abonnieren