Hendrik WüstWarum der CDU-Regierungschef die Grünen im Griff hat

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Hendrik Wüst: 100 Tage an der Spitze von Schwarz-Grün in NRW.

Düsseldorf – Die Brautleute wirken etwas verblüfft. Der großgewachsene Mann im blauen Anzug, der auf dem Kölner Alter Markt gerade einem schwarzen Mercedes entstiegen ist, winkt freundlich. „Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit“, ruft er im Vorbeigehen, bevor er im historischen Rathaus verschwindet. „Wer war das denn“, fragt die Braut einen Sicherheitsmann. „Das war der Ministerpräsident“, lautet dessen Antwort.

Wo Hendrik Wüst in diesen Tagen auftaucht, besticht er die Menschen oft durch freundliche Leutseligkeit. Er sucht den Kontakt, schüttelt Hände, hält kurz einen Plausch. Machte er im Wahlkampf zum Teil einen hölzernen Eindruck, scheint er jetzt lockerer geworden zu sein.  „Wenn er vor den Kameras steht und es um Verhandlungen und Aussprachen geht, wirkt er deutlich souveräner und gelassener“, sagt  Politikwissenschaftlerin Isabelle Borucki.

Hendrik Wüst: Seine CDU ist mit ihm zufrieden

Am 15. Mai hatte Wüst die Landtagswahlen unerwartet klar gewonnen. Danach gelang es ihm, erstmals in der Geschichte des Landes ein Bündnis mit den Grünen zu schmieden. Hundert Tage ist Schwarz-Grün bald im Amt, und in der CDU herrscht große Zufriedenheit. „Hendrik ist unfallfrei gefahren“, sagt ein Mitglied aus dem Landesvorstand. „Wenn er so weiter macht, kann da was draus werden.“

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Der 47-jährige hat sein Amt im Sommer unter nie dagewesenen Rahmenbedingungen angetreten. Der Krieg in der Ukraine und die Debatte um die Energiekosten überlagern fast alle Landesthemen. Die Musik spielt in Berlin. Die Fokussierung auf den Bund lässt den Eindruck entstehen, als würde Schwarz-Grün geräuschlos regieren (hier ein Blick auf die Leistung wichtiger Ministerinnen und Minister).

Die Opposition wirft Wüst vor, keinen Gestaltungswillen zu zeigen. Er manche sich einen schlanken Fuß in der Energiekrise, weil er immer nach Berlin zeige. Maßnahmen zur Unterstützung von Wirtschaft und Familie blieben ein weißes Blatt Papier. Seine erste Regierungserklärung als schwarz-grüner Ministerpräsident sei wenig inspiriert gewesen. „Wüst hat eine Nicht-Regierungserklärung gehalten“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty. Bei Kitas, Schulen und dem öffentlichen Nahverkehr gebe es in NRW noch nicht einmal ein „Wümmschen“.

Corona-Management an Schulen neu aufgesetzt

Während die Laschet-Regierung 2017 bereits kurz nach Amtsantritt wegen eines angeblichen Schweinemastskandals im Betrieb der damaligen Umweltministerin Christina Schulze Föcking (CDU) schnell in den Krisenmodus stürzte, geriet Schwarz-Grün noch nicht in schwere Turbulenzen. Wüsts Entscheidung, Ministerposten mit zum Teil wenig bekannten Gefolgsleuten aus der zweiten Reihe zu besetzen, bietet der Opposition wenig Angriffsfläche. Das Corona-Management an den Schulen, ein Sargnagel der Vorgängerregierung, sorgt bislang wegen der noch entspannten Infektionslage nicht für Aufregung.

Die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Pandemie hatten das Verhältnis zur FDP in der vergangenen Wahlperiode erheblich gestört. Aus den Kabinettssitzungen von Schwarz-Grün dringt bisher kein Streit nach außen. Das zentrale Thema, der Umgang mit der Energiekrise, schweißt CDU und Grüne eng zusammen. Das gemeinsame Ziel, 2030 aus der Kohle auszusteigen, ist ein Kitt, der für Wüst Gold wert ist.

Hendrik Wüst ist kaum mit „Unruhestiftern“ konfrontiert

Zum Koalitionsfrieden trägt zudem bei, dass die Grünen noch nicht im Angriffsmodus angekommen sind. Weil die Partei durch ihr gutes Wahlergebnis so stark gewachsen sind, wurden zentrale Position mit Neulingen besetzt, die noch keine Erfahrung haben, womit sie den Koalitionspartner triezen können. Alte Haudegen wie Ex-Umweltminister Johannes Remmel oder Ex-Verkehrsstaatssekretär Horst Becker, die vielleicht Unruhe hätten stiften können, sind aus dem Parlament ausgeschieden.

Wüst wirkt seit seiner Wiederwahl als Ministerpräsident wie befreit. Das liegt wohl auch daran, dass nicht jeder in der Union an seinen Erfolg geglaubt hatte. „Aber das Trauma des Verlustes der Regierungsverantwortung nach nur einer Wahlperiode, wie ihn die Regierung Rüttgers seinerzeit hinnehmen musste, hat sich nicht wiederholt“, sagt Volker Kronenberg, Politik-Professor an der Uni Bonn.

Der Hörsaal II der Kölner Uni, 11 Uhr am Vormittag. Wüst ist Gast bei den „Kölner Gesprächen zu Recht und Staat“ und soll einen Vortrag zum Thema „Der Rechtsstaat in Zeiten der Krise“ halten. Der Ministerpräsident spricht über aktuelle Themen, zur aktuellen Energiekrise bis zur Corona-Krise. „Wir dürfen die jungen Leute nicht mehr im Stich lassen“, ruft er den Studenten zu und erntet viel Beifall.

Debatte um Lützerath bringt Hendrik Wüst nicht aus der Fassung

Wüst ist selbst Jurist, gibt sich kumpelhaft, berichtet, er habe das Studium durchgezogen, um Anwalt werden zu können. Zum Ende der Veranstaltung wird es aber doch noch ungemütlich, als ein Student versucht, den Regierungschef beim Braunkohle-Ausstieg zu stellen: „Sind Sie der Ministerpräsident von NRW oder von RWE?“

Es geht um die Zukunft des Dorfes Lützerath, das die Klimaschützer zu ihrem Symbol erhoben haben. Der Kampf um die Ortschaft war von Kritikern von Schwarz-Grün zur Soll-Bruchstelle der Koalition erklärt worden. Allerdings scheinen sich die Grünen längst mit dem Aus für Lützerath abgefunden zu haben. Wüst lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, erläutert die Rechtslage. Wüst habe „weder abweisend noch ausweichend, sondern wertschätzend im Stil und zugleich deutlich in der Sache reagiert“, sagt Markus Ogorek, Direktor für öffentliches Recht, nach der Veranstaltung.

Hendrik Wüst: Als „Peek-und-Cloppenburg“-Model verhöhnt

Wer den Wüst von heute verstehen will, muss einen Blick in die Vergangenheit werfen. Wegbegleiter, die den Ministerpräsidenten noch aus der Zeit als Generalsekretär von Ex-Parteichef Jürgen Rüttgers kennen, sind verblüfft über die bemerkenswerte Verwandlung des Münsterländers. Damals wollte der stets akkurat gekleidete Hobby-Jäger mit einem schneidigen Auftritt punkten.

Der Ex-Chef der Jungen Union wurde zum Feindbild der SPD, die ihn  als „Peek-und-Cloppenburg-Model“ verhöhnte. Wüsts Mission, den Machterhalt von Rüttgers zu sichern, scheiterte krachend. Durch handwerkliche Fehler rückte sich der Hoffnungsträger Wüst selbst in schlechtes Licht. Die „Rent-a-Rüttgers-Affäre“,  bei der Sponsoren Gesprächstermine mit dem Ministerpräsidenten gegen Bezahlung angeboten worden waren, mündete schließlich im März 2010 im Rücktritt von Wüst. Wenig später verlor die CDU die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.

Die Erfahrung hat Wüst verändert. Danach habe er sich freiwillig „ins Abklingbecken“ begeben, sagte er damals. Von dem „alten Wüst“ sei nicht viel übrig geblieben, berichten alte Weggefährten – ganz anders als bei CDU-Parteichef Friedrich Merz, bei dem immer wieder der Scharfmacher durchblitze. Die Hochzeit mit seiner Frau Katharina und die Geburt von Tochter Philippa, die mittlerweile 17 Monate alt ist, hätten ihn geerdet, heißt es. „Es war nicht immer leicht für Hendrik“, sagt ein Weggefährte.  „Aber es sieht so aus, als habe ihm die Familie geholfen, im Amt anzukommen.“

Armin Laschet ebnete den Weg für Hendrik Wüst

Die Partei verzieh ihm die Mitschuld an der Wahlniederlage dann allerdings doch schneller als gedacht. Schon 2017 meldete sich der damalige CDU-Chef Armin Laschet nach seinem überraschenden Wahlsieg bei Hendrik Wüst und fragte ihn, ob er im Kabinett Verkehrsminister werden wolle. Eine Berufung mit Folgen. „Die neue Rolle hat seinen grünen Horizont erweitert und Wüsts politisches Koordinatensystem in die Mitte verschoben“, heißt es in der NRW-CDU.

Als Verkehrsminister hatte Wüst viele grüne Projekte wie den Ausbau von Radwegen und des ÖPNV mit vorangetrieben. Das hilft ihm auch heute als Ministerpräsident in der Koalition mit den Grünen. Geschickt verbindet Wüst die schwarz-grüne Ausrichtung mit der konservativen CDU-Nomenklatur. Das Ziel des Klimaschutzes sei es, die „die Schöpfung zu bewahren“, sagt Wüst.

Bei der Bundeswehr als untauglich ausgemustert

Auch bei den Grünen, bei denen es zunächst viele Vorbehalte gab, heißt es, Hendrik Wüst pflege respektvolle Umgangsformen und habe die Gabe, Konflikte gut zu moderieren. Sein diszipliniertes Auftreten, die zum Teil roboterhafte Ausdrucksweise und Wortwiederholungen („Ich bin der festen Überzeugung, der festen Überzeugung“) erinnere freilich bisweilen an den Habitus eines jungen Oberleutnants, heißt es. Über solche Vorhalte kann Wüst nur lächeln. Er war gar nicht bei der Bundeswehr, weil er als untauglich ausgemustert wurde.

Im Gegensatz zu Armin Laschet, der sein Büro mit gemeinsamen Fotos mit Bill Clinton oder Papst Johannes Paul II. schmückte, agiert Wüst mit wenig Pathos.  Seine Sprache wirkt authentisch, wenn er etwa sagt, er müsse „seine Birne“ auch mal beim Lesen eines Buchs oder beim Auspowern auf dem Cross-Trainer frei bekommen. Viel Arbeit zu haben, mache ihm nichts aus, aber den Begriff „Workaholic“ mag er nicht. Das höre sich so nach Krankheit an, findet Wüst.

Der Mann, den sie heimischen Handballclub HC TV Rhede „Henne“ nannten, kann mitunter auch witzig sein. „Aber er bleibt sich in seiner nüchternen Art treu“, sagt der Bonner Professor Kronenberg. „Das ist auch richtig so. Was die Bürgerinnen und Bürger am wenigsten wollen, sind Politikerinnen und Politiker, von denen sie den Eindruck haben, sie machten ihnen etwas vor.“

Schwarz-grün gilt endgültig als Blaupause für den Bund

Gerade in Zeiten der Krise werde ein seriöser Auftritt von vielen Wählern als beruhigend empfunden. „Letztlich zeigt uns doch auch das Beispiel Angela Merkels, deren trockener Humor in ihren 16 Jahren Amtszeit in der Öffentlichkeit ja nur höchstselten einmal durchblitzte, dass die Wählerinnen und Wähler ein nüchternes, manchmal auch ernstes Auftreten durchaus schätzen“, sagt Politikwissenschaftler Kronenberg.

Wüst hat sich als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin Respekt erworben. Vor der Landtagswahl im Mai hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den CDU-Frontmann noch als „Ministerpräsidenten-Darsteller“ verhöhnt. „Das würde er heute wohl nicht mehr machen“, heißt es dazu in Ampel-Kreisen. Wüst gelte als „satisfaktionsfähig“.

Wird Wüst der nächste Kanzlerkandidat der Union? „Ein schwarz-grüner Erfolg im 18-Millionen-Einwohner- und industriepolitischen Schlüsselland NRW ist zweifellos eine Blaupause für den Bund“, ist sich Professor Kronenberg sicher.

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Reüssiere Wüst an Rhein und Ruhr, stünden ihm, nicht zuletzt auch altersbedingt, alle Wege offen: „Er ist dann der starke Mann der CDU, von dem man weiß, dass er Schwarz-Grün ebenso wie Schwarz-Gelb kann und dessen Zeit kommen wird – früher oder später.“

Bis dahin übt sich Hendrik Wüst in Demut. Ein vorzeitiges Aus für die Ampel sieht er nicht kommen, weil wacklige Stühle bekanntlich am längsten halten. Und: Der Aufstieg zum Kanzlerkandidaten birgt auch ein hohes Risiko. Der Absturz seines Vorgängers Armin Laschet dürfte Wüst eine Warnung sein.

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