Herbert Reul im Interview„Wir müssen uns nach Halle fragen, ob wir das Richtige tun“

Lesezeit 3 Minuten
Herbert_Reul (1)

Innenminister Herbert Reul (CDU)

  • Nach dem tödlichen, rechtsextremistischen Anschlag in Halle haben wir uns mit NRW-Innenminister Herbert Reul unterhalten.
  • Der NRW-Innenminister vergleicht die Struktur des Terrorismus in Deutschland mit jener von Kinderpornografie und organisierter Kriminalität.
  • Seine Forderung: Vorratsdatenspeicherung.

Der Täter von Halle war wohl ein Christchurch-Nachahmer, der sein abstruses Manifest ins Netz stellte und seine tödlichen Terrorattacken per Livestream postete, wie sehr wirkt das Internet als Radikalisierungsmotor?

Es gibt Indizien dafür, dass wir wegkommen von Gruppen hin zu Einzeltätern, so genannten Lone Wolfes, die sich nach einem Radikalisierungsprozess im Netz dazu berufen fühlen, einen Anschlag zu begehen. Diesen Trend halte ich für höchst gefährlich. Im Netz kannst du alles sagen, du musst dich nicht rechtfertigen. Zu allem Überfluss bleibst du anonym oder versendest deine Hassbotschaften unter falschen Namen. Das Aufdeckungsrisiko geht hierzulande gegen Null.

Warum ist das so ?

Alles zum Thema Herbert Reul

Weil die rechtlichen Voraussetzungen fehlen. Die Politik hat das Problem nicht gelöst, die Taten im Netz wirksam zu bekämpfen. Das fängt bei Hassposts an und hört bei abgeschotteten Chatrooms auf, in denen sich etwa rechtsextremistische Zirkel gegenseitig zu Terrorakten animieren. Diese Foren sind aber mit dem jetzigen rechtlichen Instrumentarium nicht so leicht zu knacken. Und wir kommen zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung nicht weiter.

Deshalb lassen sich in vielen Fällen die IP-Nutzeradressen der Delinquenten nicht herausfinden. Die Folge: Der Fall wandert bald zu den Akten. Das Problem haben wir bei der Kinderpornografie genauso wie bei der Organisierten Kriminalität oder im Terrorismusbereich. Da hoffe ich, dass die Politik sich endlich besinnt. Dieser ideologische Streit um die Vorratsdatenspeicherung hilft nur einem: dem Täter im World Wide Web.

Nun ist gerade die NRW-Antisemitismus-Beauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine strikte Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung.

Zunächst einmal ist es ja nachvollziehbar, wenn Menschen Sorge vor einem Überwachungsstaat haben. Die Bürgerrechte sind ein hohes Gut. Auf der anderen Seite birgt der digitale Wandel neue Herausforderungen für Polizei und Justiz. Und da heißt es, Kindesmissbrauch im Netz zu verhindern oder auch besorgniserregende Umtriebe durch Rechtsextremisten oder islamisch-radikale Salafisten aufzuklären.

Hier müssen wir Antworten finden, wie wir die unterschiedlichen Interessen in einen vernünftigen Ausgleich bringen. Da müssen wir endlich aus den ideologischen Schützengräben heraus. Es kann nicht sein, dass das Internet ein quasi rechtsfreier Raum ist.

In den Augen etlicher Medien muss das Internet unantastbar bleiben, das Netz wird wie eine heilige Kuh gegen alle rechtlichen Vorgaben verteidigt.

Aus meiner Sicht ist die Zeit der Heiligen Kühe vorbei.

Mit Blick auf Halle kritisieren manche Kommentatoren unisono die Sicherheitsbehörden, die zu wenig auf antisemitische Hassposts oder Terror-Influencer auf einschlägigen Plattformen achteten, wie stehen Sie dazu?

Diese Kritik finde ich etwas wohlfeil. Diese Leute muss man ja erst einmal finden und identifizieren. Rund ein Drittel unserer Verfassungsschützer in NRW konzentriert sich auf den Bereich Rechtsextremismus − etwa genau so viele wie auf den Bereich Islamismus. Aber natürlich müssen wir uns nach so einer Tat wie in Halle auch fragen, ob wir genug tun.

Und ob wir das Richtige tun. Ich glaube zum Beispiel, dass wir auch in der analogen Welt noch genauer hinschauen müssen, mehr Informationen sammeln, Netzwerke und Personen erkennen. Heutzutage geben viele jüngere Aktivisten in der Neo-Nazi-Szene den Ton an, die spielen zwar für sich, aber im Netz zusammen mit Gleichgesinnten – oft unter falscher Legende. Das ist eine Riesenherausforderung für die Sicherheitsbehörden.

KStA abonnieren