Abo

Hohe ErwartungenSo fühlen sich Flüchtlinge auf dem deutschen Arbeitsmarkt

Lesezeit 6 Minuten
Um eine Ausbildung beginnen zu können, müssen Flüchtlinge erst Deutsch lernen.

Um eine Ausbildung beginnen zu können, müssen Flüchtlinge erst Deutsch lernen.

Köln – Es war der 1. Januar 2016, als Rachid Jabado in Deggendorf ankam. Zehn Tage Flucht aus dem Norden des Libanon lagen hinter ihm. Die übliche schreckliche Strecke per Boot über die Ägäis, per Zug, Bus oder zu Fuß über die Balkanroute bis Bayern.

Jetzt sind fast zwei Jahre vorüber, zwei Jahre, die er wie ein Wechselbad der Gefühle erlebte. Zuversicht und Wille haben ihn mitunter verlassen. Aber er wollte lernen, die fremde Sprache und einen Beruf, so schnell wie möglich, sagt er. Und er hat sich von seinen Idealvorstellungen verabschiedet, hat Kompromisse gemacht.

Heute erlebt man einen 22-jährigen jungen Mann, der nahezu perfekt deutsch spricht und einen Ausbildungsplatz zum Kaufmann für Büromanagement bei Thyssen-Krupp in Duisburg hat. Damit ist Rachid sicher so etwas wie ein Vorzeigeflüchtling, von denen es nach Aussagen von Handwerk und Industrie aber mittlerweile mehr und mehr gibt.

Fakten werden geschaffen

Zwei Jahre nach der großen Einwanderungswelle, nach Willkommensinitiativen und Unterbringungsnöten steht nun der längerfristige Praxistest an. Jetzt wird sich zeigen, was Industrie, Handwerk und Verwaltung mit den Flüchtlingen wirklich anfangen und wie sie die Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren können. Davon hängt nicht nur ihr Leben und ihre Zukunft, sondern letztlich auch die Akzeptanz durch die Gesellschaft ab.

„Meine Ausbildung dauert bis September 2020“, sagt Rachid. Der Ökonom hat im Libanon studiert – und hätte natürlich am liebsten weiterstudiert, sagt er. Als Libanese aber wurde sein Asylantrag abgelehnt. Eine Duldung für drei Jahre erhielt er nur, weil er sich für eine Ausbildung entschied. Rachid ist ganz Realist und dankbar für die Chance. „Auszubildende werden in vielen Branchen gebraucht, und deshalb darf ich hierbleiben“, sagt er. „Nur so hat Deutschland einen Vorteil auch von mir.“

Rachid hofft, nach der Ausbildung von Thyssen übernommen zu werden. Seine Zukunft sieht er wie viele Flüchtlinge „nur“ in der Bundesrepublik. „Deutschland hat alles, was ein Mensch braucht. Hier wird man mit Respekt behandelt“, sagt er. Über die Flüchtlinge, die sich falsche Vorstellungen gemacht hätten und sich jetzt nicht anstrengten, ärgert er sich. Aus seiner Sicht sind es nicht wenige.

Es gibt viele zu besetzende Stellen

Industrie und Handwerk dagegen sprechen gerne von den Erfolgen, auch wenn die erst am Anfang stehen. Gründe zur Arbeitsintegration gibt es reichlich: Etwa 40 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen haben angegeben, dass sie freiwerdende Stellen nicht besetzen können und dass sie schon jetzt für 30 Prozent der Ausbildungsplätze keine geeigneten Bewerber finden. Zehntausende von Unternehmen fühlen sich wegen des Fachkräftemangels in ihren Expansionsbestrebungen ausgebremst.

Deshalb haben Industrie- und Handels- wie Handwerkskammern teils in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit eine große Fülle von Projekten auf den Weg gebracht, um jungen Migranten den Zugang zu einer qualifizierten Ausbildung zu ermöglichen. Doch gibt es für all die schönen Förderprogramme bislang offenbar nur wenige geeignete Kandidaten, sagt Michael Heister vom Bundesinstitut für Berufsbildung.

Die Zeit, die selbst junge Flüchtlinge brauchen, um ausreichend Deutsch zu lernen, sei offenbar unterschätzt worden. Heister hofft, dass jetzt nicht aus der Erfahrung des Leerstandes heraus die Programme gestrichen werden, die in Zukunft dringend gebraucht würden.

Erwartungen waren auf beiden Seiten hoch

Überhaupt scheint Ernüchterung eingetreten in der Frage, in welchem Maße die Flüchtlinge die Lücken auf dem deutschen Arbeitsmarkt irgendwann füllen können. Auch Herbert Brückner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) dämpft überzogene Erwartungen.

Während gemessen an ihrem Heimatland überproportional viele Akademiker nach Deutschland gekommen seien, fehle „die qualifizierte Mitte“. Die Flüchtlinge entstammten zwar der Mittelschicht ihrer Herkunftsländer, trotzdem sei das Bildungsgefälle zur hiesigen Bevölkerung groß. 35 Prozent haben keine abgeschlossene Schulausbildung, zehn Prozent sind gänzlich ohne Schulerfahrung.

Für die Akademiker stelle sich das Problem der Anerkennung ihrer Abschlüsse. Oft dauert sie viele Monate; es werden Original-Zeugnisse verlangt, die die Flüchtlinge nicht bei sich haben, oder es entsteht ein zeitraubendes Gezerre um die Kostenübernahme für die Zeugnisübersetzung. 57 Prozent der Akademiker, so Brückner, arbeiten am Ende unter ihrer Qualifikation. Von den 35 Prozent, die die Anerkennung ihrer Zeugnisse beantragten, sei nur die Hälfte erfolgreich.

Zertifikate bereiten Probleme

Für die Handwerker und Facharbeiter sind die Probleme nicht kleiner. In Syrien – wie fast überall auf der Welt – gibt es keine duale Ausbildung mit Schule und Praxis. Also haben Handwerker und Facharbeiter auch keine vergleichbaren Zertifikate, die sie in Deutschland vorlegen könnten.

Dabei haben sie wie der einst selbstständige Schreiner Mustafa E. oder der Schneider Yamen K. im Heimatland längst qualifiziert gearbeitet, besitzen also Kompetenzen. Die beiden Männer, die mittlerweile in Köln leben, führten in Damaskus eigene Firmen mit Angestellten. Der Krieg hat ihre Betriebe zerstört. Beide müssen jetzt mit über 30 Jahren neu anfangen. „Das ist nicht leicht“, sagt Mustafa E. Know-how, Standards und Materialien in Deutschland unterscheiden sich deutlich von den Gegebenheiten in seinem Heimatland. Aber die beiden Männer sind mit ihren Deutschkenntnissen noch nicht ausbildungsfähig.

„Das Lernen der deutschen Sprache fällt mir schwer“, räumt Yamen K. ein. „Am liebsten würde ich mich selbstständig machen.“ Dass der Bedarf für kleine Schneider-Betriebe in Deutschland eher begrenzt ist, ist ihm mittlerweile jedoch bewusst. „Noch habe ich aber keine Idee, was ich sonst für eine Ausbildung machen könnte“, sagt er.

Weil die Ausbildungen im Herkunftsland und Deutschland kaum zu vergleichen sind und nur wenige Abschlüsse anerkannt werden, würden nicht wenige Flüchtlinge in den unteren Lohnbereichen steckenbleiben, fürchtet IAB-Experte Brückner. Deshalb sei es wichtig, wenigstens die Jugendlichen von Anfang an zu begleiten.

Studieren darf nicht nur das Ziel sein

Davor stehe allerdings Überzeugungsarbeit, sagt Murat Unlü vom Schulungszentrum Vest in Recklinghausen. „Alle sagen, sie wollen studieren.“ Alleine mit einem Hochschulabschluss würden die gebildeten und leistungsstarken Flüchtlinge Prestige verbinden. „Es gilt, zumindest die Jugendlichen für eine duale Ausbildung zu gewinnen.“ Doch das gehe eben nur, wenn sie – wie Rachid – mit „ausbildungsbegleitenden Hilfen“ unterstützt würden. Der Libanese hat bei einem Duisburger Modellprojekt (GIDA) nicht nur berufliche Orientierungshilfe, Motivation und menschliche Begleitung bekommen, sondern auch weitere Deutschkurse und vor allem Mathematiknachhilfe.

Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks unterstützt mit 150 „Willkommenslotsen“ nicht nur die Flüchtlinge, sondern vor allem die oft kleinen Betriebe bei der Qualifizierung und Ausbildung von geflüchteten Menschen. 2016 absolvierten bereits 4600 Flüchtlinge eine Ausbildung im Handwerk, so der Präsident des Zentralverbandes, Hans Peter Wollseifer. Hinzu kommen tausende Praktika und Qualifizierungsmaßnahmen.

Es war das Handwerk, das bei der Politik darauf drang, für die Dauer der Ausbildung die Aufenthaltsberechtigung sicherzustellen. Anderenfalls hätten die Unternehmen keinen Sinn in ihrem Engagement gesehen. Nicht selten nämlich gab es Probleme mit den Ausländerämtern, die Zwischenzeiten bis zum tatsächlichen Beginn des betrieblichen Ausbildungsteils für eine Abschiebung nutzten, weiß Wollseifer.

Rachid jedenfalls hat das Problem nicht. Nach seiner dreijährigen Duldung während der Ausbildung bei Thyssen-Krupp darf er mindestens noch zwei weitere Jahre bleiben, um sich einen festen Arbeitsplatz zu suchen. So weit ist Kozhin Saeed noch nicht.

Auch er hat einen Ausbildungsplatz als Maler und Lackierer in einem Bildungszentrum von Thyssen-Krupp ergattert. Dem 27-jährigen Iraker, der erzählt, dass er in der Heimat eine Fachausbildung als Informatiker absolvierte, war schnell klar, dass ihm diese Kenntnisse in Deutschland nichts nutzen. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen in den beiden Ländern.

Mit Hilfe des GIDA-Modellprojektes bekam auch er eine Idee davon, was er machen könnte. Und er lernte die deutsche Sprache. Sein Ziel: Mit anderen Flüchtlingen eines Tages eine eigene Malerfirma gründen – in Deutschland.

KStA abonnieren