Innenminister Reul zu Messerattacken„In puncto Erziehung ist etwas schiefgelaufen“

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NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU)

  • Nach einer Reihe von Messerarttacken in Köln und der Region analysiert der Innenminister im Interview die Lage
  • Feiernde in Städten will Herbert Reul (CDU) besser schützen – durch mehr Videoüberwachung und Licht
  • Die Schärfe von Angriffen und Schlägereien nehme zu

Herr Minister Reul, in Köln oder Düsseldorf häufen sich tödliche Attacken und Massenschlägereien in den Amüsiervierteln, was passiert da gerade?

Herbert Reul: Eines vorweg: Gewalt in Feiermeilen hat es schon immer gegeben. Derzeit ist zu beobachten, dass die Situation doch oft nachts eskaliert, auch geht es viel brutaler zu als in früheren Zeiten. Die Hemmschwelle ist offenbar gesunken. Heute wird schnell das Messer gezogen, auf den Schulhöfen treten die Täter auf das wehrlose Opfer am Boden nochmals ein. Das ist das eigentliche Problem. Aus meiner Sicht ist in vergangenen Jahrzehnten in puncto Erziehung etwas völlig schiefgelaufen. Ich meine damit Grenzen zu setzen und diese Grenzen zu akzeptieren. Das ist ein gesellschaftliches Problem.

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Kerzen am Tatort: In der Düsseldorfer Altstadt wurde Mitte Oktober ein junger Mann mit einem Messer attackiert; kurz danach starb er in einer Klinik.

Kann der normale Bürger noch in der City feiern gehen?

Alles zum Thema Herbert Reul

Reul: Natürlich. Leider ist es derzeit nötig, dass die Polizei mit starken Kräften in der Düsseldorfer Altstadt, auf den Kölner Ringen oder rund um die Zülpicher Straße patrouilliert. Das ist ein großer Aufwand, verbunden mit viel Personal, den die Beamten hier betreiben, um all jene Menschen zu schützen, die friedlich feiern wollen. Wie bei der Anlaufstelle auf der Domplatte auch denken wir über ein ähnliches Projekt mitten in der Düsseldorfer Altstadt nach. Die Altstadtwache gibt es zwar schon, aber ein weiterer Ordnungspunkt mittendrin wäre sicherlich wünschenswert. Beidseitig besetzt durch Polizeibeamte und Mitarbeiter des Ordnungsamts. Warum ist das so wichtig? Reul: Um die Maßnahmen besser mit dem städtischen Ordnungsdienst abzustimmen. Manches hat schon Wirkung gezeigt. So etwa als bestimmte Straßen in Düsseldorf gesperrt wurden, um die Auto-Poser fernzuhalten. Auch werden die Videoanlagen an den neuralgischen Punkten ausgebaut und die Beleuchtung verstärkt. Licht ist aus meiner Sicht ein völlig unterschätzter Schutzfaktor. Kommunalpolitiker fordern, in diesen Vierteln eine Messerverbotszone einzurichten, ist das überhaupt in der Praxis machbar? Reul: Die Einrichtung solcher Zonen ist rechtlich nicht so einfach, wie sich das so mancher vorstellt. Dieses Mittel muss in jeglicher Hinsicht gerichtsfest gemacht werden. Aber das wird von uns ernsthaft geprüft. Aber wie wollen Sie denn jeden Besucher nach einem Messer kontrollieren, der die Amüsierviertel betritt?

Reul: Das geht nur mit Stichproben – und über Abschreckung. Es muss sich herumsprechen, dass derjenige, der in eine Kontrolle läuft, sein Messer verliert. Zu dem Maßnahmenpaket gehört auch ein Alkoholverbot für gewisse Bereiche, ebenso stellt sich die Frage, ob man noch nachts am Büdchen oder Kiosk Alkohol bekommen muss? Denn der Faktor Alkohol ist doch eine der Hauptursache für Randale und Gewalt. Mitunter beschleicht einen das Gefühl, gerade auf diesem Feld stößt die Polizei an ihre Grenzen.

Reul: Das ist Quatsch. Die Polizei ist nicht hilflos, wenn es hart auf hart kommt. Aber eines sei auch gesagt: Rechtsstaatliche Polizei stößt stets dann an Grenzen, wenn sie auf Leute trifft, die keine Grenzen kennen. Das ist ein Problem, mit dem sich die Sicherheitsbehörden permanent herumschlagen müssen.

Eine anderes Thema: Im Juni erfolgte eine Razzia gegen die Leverkusener Spitze eines kurdisch-libanesischen Clans. Welchen Stellenwert hat dieser Schlag gegen das Organisierte Verbrechen am Rhein?

Reul: Das war ein erfolgreicher Schlag gegen die erste Liga der Clankriminalität. Die Strafverfahren werden konsequent weitergeführt, das dauert seine Zeit. Wir werden alle rechtlichen Instrumente ausschöpfen, um diesen Komplex erfolgreich zu Ende zu bringen. Nun haben wir bereits in unserer Clan-Serie geschildert, dass etwa der Leverkusener Clan vermutlich seit Jahrzehnten kriminellen Geschäften nachging. Ist hier zu lange weggeschaut worden?

Reul: Oft hat man in der Vergangenheit über das Problem gesprochen, aber nichts dagegen unternommen. Das ist auch nicht einfach. Es fängt schon damit an, dass man schnell in den Verdacht gerät, zu stigmatisieren, wenn bestimmte kriminelle Gruppierungen mit einer Zuwandererbiografie offen benannt werden. Schauen Sie nach Berlin, hier will die Linkspartei aus Furcht vor der Stigmatisierung keine Shisha-Bars mehr im Clan-Hotspot Neukölln kontrollieren. Die Betreiber werden jubeln, denn nun können sie in den Bars unbehelligt ihren kriminellen Geschäften nachgehen. Da fehlen mir die Worte, das ist doch der Wahnsinn.

Wenn Straftaten begangen werden, dann muss der Rechtsstaat einschreiten können – ganz gleich, ob der Verdächtige einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Ich bin jedenfalls froh, dass wir das Thema seit der Regierungsübernahme im Jahr 2017 angepackt haben. Und es bleibt festzuhalten, dass unsere Ermittlungsansätze hier in NRW zu etlichen Erfolgen geführt haben. Aber natürlich gilt weiterhin: Im Kampf gegen dieses Phänomen ist Geduld gefragt.

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NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU)

Die rot-grüne Opposition im Landtag hat häufiger ihre Clan-Strategie der 1000 Nadelstiche als eine Show-Veranstaltung kritisiert. Wie stehen Sie zu dem Vorwurf?

Reul: Das ist mir mittlerweile egal. Denn wir haben ja in tausenden Fällen Leute aus dem Clan-Milieu bei Rechtsverstößen erwischt. Zudem ist deutlich spürbar, dass sich das Klima in der Szene verändert. Diese Leute sind nicht mehr so dreist, sie agieren vorsichtiger, ändern ihre Verhaltensweise. Ich habe nie behauptet, dass sich dieses Problem von heute auf morgen lösen lässt. Nach 30 Jahren Tiefschlaf in NRW kann keiner erwarten, dass man binnen vier Jahren das ganze Ding dreht. Aber die Lage ändert sich, dieser Prozess braucht Zeit. Aber man muss anfangen. Nach der Leverkusener Razzia im Juni haben sie behauptet, die Ermittler hätten der Großfamilie die Villa im Stadtteil Rheindorf weggenommen. War dies nicht zu vorschnell, immerhin lebt die Sippe immer noch in dem Anwesen.

Reul: Das ist ganz einfach. Die Villa ist beschlagnahmt, dieser Vorgang wurde auch ins Grundbuch eingetragen. Nur mit Zustimmung des Staates darf das Anwesen veräußert werden. Das ist der erste Schritt. Eines ist richtig: Das Eigentum geht erst auf den Staat über, wenn das zuständige Gericht über die Einziehung der Villa entscheidet. Vor dem Hintergrund war meine Äußerung juristisch gesehen sicherlich ein wenig laienhaft. Im Grunde aber ging es mir darum zu sagen, dass diese Familie nicht mehr mit ihrem Eigentum machen kann, was sie will. Gut 400.000 Euro Sozialleistungen soll sich der Clan zu Unrecht erschlichen haben, inzwischen lebt die Familie wieder in der Villa. Können Sie das erklären?

Reul: Auf den ersten Blick ist das sicherlich schwer zu verstehen, aber so funktioniert nun einmal der Rechtsstaat. Solange kein Urteil gesprochen ist, gilt ein Tatverdächtiger als unschuldig. Eines ist auch klar: Wenn man jetzt die Großfamilie vor die Tür setzen würde, müsste der Staat für die Clanmitglieder auch noch Ersatzwohnungen stellen.

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