Abo

Integrationsminister Stamp im Interview„Abschiebungen müssen konsequenter werden“

Lesezeit 5 Minuten
240717JoachimStamp08

Dr. Joachim Stamp. Stellvertretender Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration.

Köln – Joachim Stamp (FDP), neuer NRW-Minister für Integration und Familie, spricht im Interview  über seine Zuwanderungspolitik und die hohen Kita-Gebühren

Herr Minister, in Griechenland und Italien landen immer mehr Flüchtlinge aus Afrika an. Was bedeutet das für uns?

Die EU ist gefordert, Italien und Griechenland bei Versorgung und Unterbringung zu helfen und den Grenzschutz zu stärken. Fluchtursachen müssen zügig bekämpft werden. Gerade in den afrikanischen Ländern brauchen wir umfassende Investitionen, um neue Chancen für die Jugend zu schaffen. Das Flüchtlingsthema ist kein Wahlkampfthema für Herrn Schulz, sondern eine dauerhafte Herausforderung.

Alles zum Thema Joachim Stamp

Wie kann man die Schlepperpropaganda bekämpfen?

Ich habe vor Ort zahlreiche afrikanische Jugendliche gesprochen, die eingeredet bekommen haben, in Europa Geld fürs Fußballspielen zu bekommen. Gegen diese und andere Propagandalügen müssen wir massiv in den sozialen Netzwerken vorgehen. Das ist übrigens auch mal eine Aufgabe für Uefa oder Fifa. Zudem ist eine andere Aufklärungsarbeit in Afrika vor Ort notwendig.

Die Menschen waren erleichtert darüber, dass sich die Lage entspannt hatte. Werden jetzt bald wieder Turnhallen belegt?

Nein. Die zukünftigen Flüchtlingszahlen sind nicht vorhersehbar, aber es besteht kein Grund zur Panik, wenn wir besonnen handeln. Sollten wir aber nichts gegen die Fluchtursachen unternehmen, besteht das Risiko, dass wir irgendwann regelrecht überrannt werden.

Was kann NRW tun?

Wir brauchen eine geregelte Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik, die zwischen politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen und anderen Migranten unterscheidet. NRW wird über den Bundesrat eigene Impulse setzen. Gut Integrierte brauchen eine verlässliche Bleibeperspektive, Integrationsverweigerer und Kriminelle müssen konsequenter abgeschoben werden. Wir werden die Abschiebehaft in Büren erweitern und den Vollzug im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten straffen. Es kann nicht sein, dass sich insbesondere Personen, von denen eine mögliche Gefährdung ausgeht, in der Einrichtung frei bewegen können. Auch wenn dieser Personenkreis nur einen kleinen Teil der dort Untergebrachten ausmacht, müssen für diesen strengere Regeln gelten. Dazu werde ich dem Landtag bald einen Vorschlag vorlegen.

Viele Staaten sind gar nicht gewillt, die Flüchtlinge zurück zunehmen.

Wir denken über Reintegrationsprogramme vor Ort nach, um die Länder zur Rücknahme zu bewegen. Ich werde dazu Gespräche mit den Konsulaten führen.

Die Koalition plant einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik. Was heißt das?

Integrationspolitik war lange zu beliebig. Wir brauchen mehr Verbindlichkeit bei der Integration. Ein Beispiel: Wir wollen die Schulpflicht für Flüchtlinge auf 25 Jahre anheben und durchsetzen. Wenn wir zulassen, dass ein 19-Jähriger sich begnügt, halbtags der zweite Mann am Kiosk zu sein, schaffen wir ein neues Prekariat.

Für einen Liberalen sind Sie ein harter Hund, oder?

Ich will mehr Chancen für alle – unabhängig von Herkunft und Geschlecht. Dafür müssen wir aber neu Ankommende am Anfang an die Hand nehmen und ihnen auch etwas abverlangen.

Und die Willkommenskultur?

Es gibt nach wie vor eine große Hilfsbereitschaft gegenüber Kriegsopfern und tatsächlich Verfolgten, insbesondere gegenüber Familien mit Kindern. Aber es gibt keine Akzeptanz für marodierende und übergriffige Männer.

Ist die Türkei denn noch ein Rechtsstaat?

Nein, angesichts willkürlicher Verhaftungen nicht mehr. Es tut mir in der Seele weh, was diese Politik auch für Zerrissenheit in der deutsch-türkischen Community bewirkt. (Staatspräsident) Erdogan hat über viele Jahre die Türkei wirtschaftlich voran gebracht. Für viele eher unpolitische Türken hat er dadurch immer noch einen großen Bonus.

Gibt es in NRW eine neue Türkei-Politik?

Wir müssen die Missstände klar benennen, aber gleichzeitig den Dialog nicht abreißen lassen. Auch im Kalten Krieg war die FDP ja immer ein Befürworter der Entspannungspolitik – trotz der Menschenrechtsverletzungen im Ostblock.

Wie wollen Sie die Deutsch-Türken erreichen?

Wir brauchen neue Signale der Wertschätzung an die erste Einwanderergeneration, die unser Land mit aufgebaut hat. Wir müssen vermitteln, dass jeder unabhängig von der Herkunft alles erreichen kann. Dazu wollen wir mit unserer Integrationspolitik auch konkrete Unterstützungsangebote machen. Zudem planen wir eine Einbürgerungskampagne, die ausdrückt: Ihr seid ein Teil von uns. Wir werden positive Vorbilder zeigen, in Schulen werben und attraktive Veranstaltungen machen.

Sie sind auch Familienminister. In Köln kostet ein städtischer Kita- Platz bis zu 638 Euro im Monat...

Das ist sehr viel. Leider ist das System strukturell unterfinanziert. Darum legen wir jetzt erst einmal ein Rettungsprogramm auf, damit Kitas nicht schließen müssen. Im zweiten Schritt wollen wir die Qualität steigern und im dritten Schritt Öffnungszeiten flexibilisieren. Das letzte Jahr bleibt beitragsfrei.

Wann kommen 24-Stunden-Kitas?

Nur als Pilotprojekt, etwa im Umfeld von Uni-Kliniken. Und keine Sorge: 24 Stunden heißt nicht, dass die Kinder dort 24 Stunden bleiben. Kinder sollen ein liebevolles und geborgenes Zuhause haben.

Sie sollen Nachfolger von Christian Lindner als FDP-Chef werden. Was wollen Sie verändern? Sieht man sie demnächst auch mit Dreitagebart?

(lacht) Eher nicht. Wir haben seit 2013 gemeinsam die Neuaufstellung der FDP vorangetrieben und liegen auf einer politischen Linie. Da gibt es nichts Grundlegendes zu ändern. Für uns beide stehen der selbstbestimmte Mensch und eine vernünftige Politik im Mittelpunkt. Den Weg werden wir gemeinsam weitergehen.

Zur Person

Joachim Stamp wohnt in einem Einfamilienhaus in Bonn-Röttgen.

Dort erzielte der Religionswissenschaftler bei der Kommunalwahl 2014 mit 64,8 Prozent das landesweit beste Einzelergebnis für die FDP. Der Vater von zwei Töchtern gilt als bodenständiger Typ. Nach dem Studium arbeitete Joachim Stamp im Büro des früheren Bundestagsabgeordneten und Bundesaußenministers Guido Westerwelle.

Vor dem Regierungswechsel war Stamp stellvertretender Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion und Experte für Flüchtlingsfragen.

Seit dem 30. Juni 2017 ist er Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und stellvertretender Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Im Frühjahr 2018 soll er zum Nachfolger von Christian Lindner als Vorsitzender der NRW-FDP gewählt werden.

KStA abonnieren