Interview mit FDP-Chef Stamp„Die 2G-Regel ist im Handel nicht mehr haltbar“

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Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP)

Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP)

  • Der Vizechef der Landesregierung, Joachim Stamp, spricht über die Corona-Maßnahmen, die Energie-Wende und künftige Bündnisse.
  • Außerdem äußert er sich zur geplanten Impfpflicht – Hendrik Wüst ist dafür, die FDP eher zurückhaltend.
  • Stamp sieht aber eine Alternative für die allgemeine Impfpflicht, seine Pläne erklärt er im Interview.

Herr Stamp, über das Programm zur Landtagswahl im Mai kann die FDP wegen der Pandemie nur digital diskutieren. Streben Sie trotz der Ampel in Berlin in Düsseldorf die Fortsetzung des Bündnisses mit der CDU an? Stamp: Wir sind in einer erfolgreichen Koalition. Da ist es immer das Ziel, diese Arbeit fortzusetzen. Aber wir gehen als unabhängige Partei in den Wahlkampf.

Wenn es zu einem Zweier-Bündnis nicht reicht, bevorzugt die FDP dann die Ampel oder Jamaika?

Wir sind im Bund in einer Fortschrittskoalition mit einer Ampel, in Düsseldorf seit mehr als vier Jahren in einer Fortschrittskoalition mit der CDU. Wir haben in NRW Themen entwickelt, die sich auch im Koalitionsvertrag der Ampel wiederfinden, beispielsweise die Entfesselungspolitik für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

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Jetzt hat sich auch die Ampel darauf verständigt, bei Genehmigungsverfahren zu einer Halbierung zu kommen. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Energiewende. Die Bildungspolitik haben wir von Ideologie befreit. Bei der Digitalisierung sind wir Vorreiter. Wir wollen Fortschritt durchsetzen. Es geht um Inhalte. Erst in zweiter Linie ist wichtig, mit wem wir koalieren.

Kurze Zwischenfrage. Wie bewerten Sie den Vorgang, dass sich die Grünen-Spitze um Annalena Baerbock und Robert Habeck selbst Corona-Boni gewährt hat?

Das ist ausgesprochen unglücklich. Bei uns in der Partei ist die Vorstandsarbeit ehrenamtlich.

Kann der Vorgang zu einer Belastung für die Ampelkoalition werden?

Das ist eine interne Diskussion der Grünen.

Bleiben wir noch kurz bei der Energiewende. 2017 wollte die FDP in NRW möglichst viele Windräder verhindern. Jetzt fordert Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart einen massiven Ausbau. Haben Sie dazugelernt?

Uns ging es schon damals nicht ums Verhindern, sondern um Akzeptanz. Die Ampelkoalition hat Festlegungen zum Ausbau der Windenergie vereinbart. Dazu muss es auch Anpassungen in NRW geben. Wenn wir vorzeitig aus der Kohle aussteigen wollen, müssen wir sichere und bezahlbare Energie zur Verfügung haben.

Wird der vorgezogene Kohleausstieg 2030 Ende des Jahres beschlossen?

Das ist anspruchsvoll, aber wir werden es schaffen. Voraussetzung dafür sind Bürokratieabbau und schnellere Verfahren. Wie das geht, haben wir in NRW gezeigt.

In NRW knirscht es in der Koalition mit der CDU auch in anderen Bereichen. Jetzt kommt die Ampelkoalition in Berlin mit der Legalisierung von Cannabis, mit einem unabhängigen Polizeibeauftragten und mit der Kennzeichnungspflicht für Bundespolizisten. NRW-Innenminister Reul ist davon nicht begeistert.

Die FDP will den Polizeibeauftragten in NRW auch im Sinne der Polizistinnen und Polizisten stärken, indem wir ihn unmittelbar beim Landtag ansiedeln. Wir wollen pro Jahr zusätzlich 3000 Polizeibeamte einstellen und öffnen den Beruf für junge Leute mit Realschulabschluss. Das ist ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal zur Stärkung mittlerer Berufsabschlüsse.

Was ist mit der Legalisierung von Cannabis?

Diese Debatte wird überwertet. Wir wollen durch die Entkriminalisierung mehr für die innere Sicherheit tun. Auch der Gesundheitsschutz wird sich verbessern. Das heißt aber nicht, dass wir den Konsum von Cannabis idealisieren.

Noch ein Konfliktpunkt mit der CDU. Sie haben jahrelang für einen bundesweiten Integrationsgipfel gekämpft, sind damit mehrfach an Horst Seehofer gescheitert. Die Ampel greift Ihre Forderungen jetzt auf, plant eine Reform der Einwanderung für Arbeitskräfte und will eine harte Linie bei illegaler Einwanderung fahren.

Das ist der erfreuliche Unterschied zwischen der CDU in NRW und im Bund. Dort hat die Union uns ein ziemliches Migrations-Chaos hinterlassen. Ich bin froh, dass wir im Bund auch mit den Grünen eine harte Linie bei Rückführungen und gleichzeitig eine verbesserte Bleibeperspektive für gut integrierte Arbeitnehmer vereinbaren konnten. Auch die erleichterte Einwanderung von Arbeitskräften haben wir erreicht. Das haben Handwerk, Mittelstand und Industrie von uns erwartet.

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Wenn führende Unionspolitiker wie Norbert Röttgen, Friedrich Merz oder Ralph Brinkhaus diese Migrationspolitik jetzt kritisieren, ist das ein Tritt gegen den eigenen CDU-Landesverband, der meine Linie mitträgt. Das ist ein von wenig Sachkenntnis geprägter Oppositionsreflex.

Nächster Konfliktpunkt: Ministerpräsident Hendrik Wüst ist für eine schnelle Impfpflicht, die FDP sehr zurückhaltend.

Ich habe mich deutlich vor Hendrik Wüst für eine Impfpflicht geöffnet. Sie ist aber kein Selbstzweck und hat nur eine Berechtigung, wenn sie den Weg aus dauerhaften Beschränkungen heraus ebnet. Es ist richtig, dass es im Bundestag dazu eine Debatte geben wird. Wir müssen viele Fragen beantworten. Geht es um die gesamte Bevölkerung oder möglicherweise nur um die über 50- Jährigen? Geht es um eine oder mehrere Impfungen?

Welche Position vertreten Sie persönlich?

Möglicherweise reicht es aus, wenn wir allen Bürgerinnen und Bürgern über 18 zwischen den Sommer- und den Herbstferien ein verpflichtendes Beratungsgespräch mit einem Impfangebot anbieten.

Was meinen Sie damit?

Das wäre eine Beratungspflicht. Wer der nicht nachkommt, müsste mit einem maßvollen Bußgeld rechnen.

Das klingt nach einem Spiel auf Zeit. Nach dem Motto: Omikron wird mit den Masseninfektionen das Problem schon lösen.

Nein. Wir haben jetzt ein geordnetes Verfahren. Das Beratungsgespräch ist ja nur mein Vorschlag. Im Bundestag wird es verschiedene Gruppenanträge geben, über die abgestimmt wird. Das muss sich nicht bis zu Sankt Nimmerleinstag hinziehen. Wir dürfen aber auch nicht in Panik verfallen, denn zur Bewältigung der aktuellen Omikron-Welle würde eine Impfpflicht ohnehin keinen Beitrag mehr leisten können. Entscheidend ist, dass der kommende Herbst nicht wieder ein Herbst der Zumutungen, Schulschließungen und Bürgerrechtsbeschränkungen wird.

Macht es angesichts der Omikron-Welle noch Sinn, an den Einschränkungen festzuhalten? Sollten wir wie Großbritannien nicht einfach alles öffnen?

Großbritannien war in der Pandemie noch nie ein überzeugender Ratgeber. Klar ist, dass wir auf Basis neuer Erkenntnisse, die wir über Omikron gewinnen, alle Einschränkungen überprüfen müssen. Es geht nicht um einen Freedom-Day wie in Großbritannien, an dem sich alle schunkelnd in den Armen liegen. Wir werden sehr geordnet aus der Pandemie gehen müssen.

An welchem Punkt wird man über Lockerungen sprechen?

Man muss jetzt schon überlegen, ob alle Maßnahmen noch gerechtfertigt sind. Schließlich ist die Hospitalisierungsrate trotz hoher Virus-Inzidenz ziemlich konstant. Wir werden uns die Empfehlungen des Expertenrats der Bundesregierung Anfang kommender Woche ansehen und dann über mögliche Lockerungen entscheiden.

Was meinen Sie damit? Fällt die 750 Zuschauer-Regel bei Fußballspielen? Oder die 2G-plus-Regel in der Gastronomie?

Man muss nicht gleich von einem Extrem ins andere verfallen. Wir stellen aber immer wieder fest, dass es einzelne Dinge gibt, die gut gemeint waren, sich aber als widersprüchlich erwiesen haben. Zwischen 50000 und 750 Zuschauern beim 1. FC Köln liegt eine große Bandbreite. Es kann aber nicht nur um volle Fußballstadien gehen. Wir müssen prüfen, in welchen Bereichen manche Dinge vielleicht zu stark reglementiert wurden und das dann korrigieren.

Was heißt das konkret?

Es geht mir um viele Dinge, die den Alltag der Menschen betreffen, denen wir in den letzten zwei Jahren unfassbar viel zugemutet haben. Diese Zumutungen müssen wir einer ständigen Prüfung unterziehen. Aus meiner Sicht können wir auf 2G-plus in der Gastronomie verzichten. Auch die 2G-Regel im Handel ist meines Erachtens nicht mehr haltbar. Was die Stadien angeht: Wenn nur 750 Fans kommen und die Fernsehzuschauer sehen, dass die alle auf der gleichen Tribüne beieinandersitzen, kann das niemand nachvollziehen. Wir dürfen das Infektionsgeschehen nicht unnötig anheizen, sollten aber auch vertretbare Möglichkeiten zulassen.

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