Interview mit FDP-Vize Suding„Die Regierung hält totgerittene Branchen am Leben“

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Katja Suding KStA 180820

Katja Suding, stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, beim Gespräch in der Redaktion

  • Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht Katja Suding über die Corona-Krise und die Ablösung der Generalsekretärin Linda Teuteberg.
  • Die geplante großflächige Verlängerung des Kurzarbeitergelds kritisiert die stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP.
  • Und sie erklärt, wieso sie kein Problem mit Großveranstaltungen in der Corona-Krise hat.

Frau Suding, wie finden Sie die Ablösung der bisherigen FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg?

Katja Suding: Wie ich das finde, ist unerheblich. Es war unschön, dass der Konflikt auch über die Medien ausgetragen wurde. Aber das ist ja nun beendet. Das Vorschlagsrecht für den Generalsekretärs oder die Generalsekretärin liegt zu Recht beim Vorsitzenden. Wenn er sich mehr oder eine andere Art Unterstützung wünscht, dann brauche ich das nicht mehr zu kommentieren. Ein Jahr vor der Bundestagswahl Korrekturen vorzunehmen und Weichen neu zu stellen, finde ich in unserer Situation nachvollziehbar und legitim. An meiner hohen Wertschätzung für sowohl für Christian Lindner als auch für Linda Teuteberg ändert das nichts.

Haben Sie eine Meinung zum Nachfolger?

Alles zum Thema Christian Lindner

Volker Wissing hat eine lange, erfolgreiche Zeit im Bundestag vorzuweisen. Er ist ein guter Wahlkämpfer und jetzt in Rheinland-Pfalz ein führungsstarker und anerkannter Minister. Ich kenne ihn als jemandem, mit dem man auch menschlich sehr gut zusammenarbeiten kann. Darum geht es ja auf so einem Posten nicht zu allerletzt.

Zur Begründung des Wechsels hat Lindner von einem Defizit an Wirtschaftskompetenz gesprochen. Braucht die FDP mehr davon?

Zum einen braucht die FDP Gesichter, mit denen man diese – uns nach wie vor zugeschriebene – Kompetenz verbindet. Gute Papiere reichen ja nicht für eine gute Wahrnehmung. Zum anderen muss unter den Bedingungen der Corona-Krise tatsächlich noch einmal anders und verstärkt über Wirtschaftspolitik gesprochen werden als in den vergangenen drei Jahren. Da lief die Wirtschaft ja quasi von selbst – sogar gegen eine schädliche Wirtschaftspolitik der Regierung.

Die Klage aus den eigenen Reihen über einer Verengung der Partei auf den Chef ist unüberhörbar. Zuletzt hat das FDP-Urgestein Gerhart Baum sie geführt.

Soll ich mal was sagen? Ganz ehrlich: Interviews mit Gerhart Baum lese ich nicht mehr, weil ich eh schon weiß, was drinsteht. Wenn er uns über eine Zeitungsschlagzeile solche Botschaften ausrichten lässt wie „der Mensch ist nicht nur Steuerzahler“, dann sage ich: Danke, Herr Baum, aber wussten wir auch schon vorher. Ich zum Beispiel wäre sonst überhaupt nicht in der FDP. Deswegen reagiere ich aber auch empfindlich, wenn Leute wie Baum so tun, als bräuchte es erst sie dafür, der FDP Dinge zu sagen, die völlig selbstverständlich Grundlage unserer Politik sind. Und ich glaube, ein Profi wie Gerhart Baum weiß das selbst auch.

Läuft es mit der Bewältigung der Corona-Krise in Deutschland richtig?

Was passiert, ist unzureichend oder geht in die falsche Richtung. Nehmen wir das Beispiel Schule. Der Übergang zu einem mehr oder weniger geordneten Regelunterricht nach den Sommerferien war überfällig. Allerdings sind wir in Deutschland bei den eigentlichen Herausforderungen im Bildungssystem überhaupt nicht vorangekommen. Der Digitalpakt in der heutigen Konstruktion fördert fast ausschließlich die technische Ausstattung. Das ist notwendig, keine Frage, aber eben nicht hinreichend. Erforderlich wären auch die Ausbildung der Lehrer, die Bereitstellung von Lernsoftware, IT-Sicherheit, Gerätewartung und vieles mehr. Das wäre jetzt Sache des Bundes, aber die Aufgaben werden seit Monaten verschlafen, und Ministerin Anja Karliczek ist in der Versenkung verschwunden.

Sie sagten auch, Dinge liefen auch in die falsche Richtung. Welche denn?

Die Mehrwertsteuersenkung ist ein falsches Förderinstrument, das mega-aufwendig ist, irre viel Geld kostet, aber keinen Wumms bewirken wird. Das Kurzarbeitergeld müsste sehr viel zielgenauer als das eingesetzt werden, was es immer war: eine Überbrückungshilfe für Unternehmen in einer schwierigen Phase, aber mit einer Erfolgsperspektive. Wenn man aber, wie die Regierung es tut, totgerittene Branchen künstlich am Leben erhält, wird nur Steuergeld verbrannt – und die Unternehmen sterben trotzdem, nur vielleicht ein Jahr später. Gut, das ist dann nach der Bundestagswahl. Aber damit ist auch schon klar, was die Regierung tut: Sie verkleistert die Symptome der Krisen, damit die schlechten Nachrichten erst später ankommen.

An welche „totgerittenen“ Branchen denken Sie?

Wir wissen doch alle, wo die Probleme liegen: Das Reisegeschäft zum Beispiel wird es auch noch in Jahren schwer haben. Der Flugverkehr wird im kommenden Jahr nicht wieder auf Vorkrisenniveau sein, wenn er denn je wieder dorthin kommt.

Wie stehen Sie zu Großveranstaltungen? In Düsseldorf wird über ein Konzert mit 13.000 Besuchern diskutiert, die Deutsche Fußball-Liga ruft nach Wiederöffnung der Stadien.

Mit guten Schutzkonzepten spricht nichts gegen ein Stück mehr Normalität. 13.000 Menschen in einem Stadion für 66.000 Konzertgäste – das Risiko ist beherrschbar. Ich würde es damit probieren. Genau wie mit Fußballspielen. Ziel muss es doch sein, dass die Menschen tun können, was möglich ist.

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Gegenargument: Es wäre ein falsches Signal von scheinbarer Normalität in einer Phase, in der die Infektionszahlen wieder steigen.

Nicht das Signal ist falsch, sondern das besorgte Abwarten als Herangehensweise. Alles in diesem Land muss möglich sein, wenn es die passenden Vorkehrungen und ein Mindestmaß an Verantwortung der Beteiligten gibt. Das richtige Signal ist deshalb: „So viel Normalität wie möglich“. Denn wir wollen und müssen doch wieder zurück zu einem Zustand weitestgehender Normalität, auch wenn sie nicht ganz so sein wird „wie früher“. Es kann jedenfalls nicht das Ziel sein, die Infektionszahlen auf Null zu bringen. Das wird ohnehin nicht gelingen. Was uns gelingen muss, ist, dass die Pandemielage jederzeit beherrschbar ist. Ist sie das, dann stellt Corona ein Gesundheitsrisiko dar wie vieles andere im Leben auch. Ich kann mir beim Skifahren ein Bein brechen, trotzdem werden die Pisten nicht gesperrt und das Skifahren verboten.

Das Gespräch führten Carsten Fiedler, Joachim Frank und Wolfgang Wagner. 

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