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Interview mit Kriminologe„Kriminalität geht zurück – Gewalt wird dramatisiert“

Lesezeit 5 Minuten
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Christian Pfeiffer findet die Falschwahrnehmung von Kriminalität bestürzend. (Symbolbild)

  • In der Wahrnehmung der Menschen steigt die Gewaltkriminalität gefühlt von Jahr zu Jahr.
  • Dem Kriminologen Christian Pfeiffer zufolge ist die Kriminalität tatsächlich aber in allen Bereichen rückläufig.
  • Im Interview spricht er über Gründe dieser Diskrepanz, nennt Ursachen für den Rückgang der Gewalt und benennt Risikofaktoren.

Herr Professor Pfeiffer, viele Bürger haben Angst vor einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft. Was macht Ihnen am meisten Sorge?

Am meisten Sorge macht mir die Falschwahrnehmung. Gefühlt steigt die Gewaltkriminalität in der Wahrnehmung der Menschen von Jahr zu Jahr. In Wahrheit bewegt sie sich war aber in allen Bereichen deutlich nach unten. Es gelten hier zwei Kernsätze. Erstens: Je schwerer das Delikt, umso deutlicher der Rückgang. Und zweitens: Je jünger die Bevölkerungsgruppe, desto stärker sinkt dort die Gewaltkriminalität. Für mich als Kriminologe ist es vor diesem Hintergrund schon bestürzend, welcher falsche Gesamteindruck daraus erwächst, dass insbesondere im Fernsehen und im Internet auf Teufel komm raus dramatisiert wird. Das hilft nur der AfD, aber nicht der inneren Sicherheit.

Mit welchen Zahlen können Sie Ihre Gegen-Thesen denn untermauern?

Ich nenne einige wenige Beispiele: vollendeter Mord und Totschlag haben seit 1993 um 63 Prozent abgenommen. Sexualmorde seit Mitte der achtziger Jahre um 90 Prozent. Tötungsdelikte mit Schusswaffen – sozusagen das Basisrezept fast jedes TV-Krimis – sind seit 1996 um 83 Prozent zurückgegangen. Zudem haben wir seit 1997 eine Abnahme der Raubdelikte um 40 Prozent. Und wenn ein Schüler so verprügelt wird, dass er ins Krankenhaus muss, zeigt die Statistik der Versicherer, dass es seit 1997 einen Rückgang um 69 Prozent gibt.

Wie erklären Sie sich die positiven Entwicklungen?

Die Hauptursache ist der Wandel der elterlichen Erziehung. Mehr Liebe, keine Hiebe, ist zur Leitlinie geworden. Massives Prügeln hat seit den 50er Jahren um vier Fünftel abgenommen. Gewalt hingegen erzeugt nun mal Gewalt. Eltern, die gewaltfrei und liebevoll erziehen, tun also etwas für die Kriminalprävention und außerdem viel für ihre eigene Lebenszufriedenheit.

Die gewaltfreie Erziehung ist Gesetz, aber in bestimmten Milieus keineswegs Realität.

Richtig! Jede Zuwanderung aus Machokulturen mit männlicher Dominanz, wie wir sie 2015/2016 in großem Stil erlebt haben, ist ein Risikofaktor. Und so gab es von 2014 bis 2016 einen Anstieg der Gewalt, der fast ausschließlich auf Flüchtlinge zurückzuführen war. Aber seitdem sind die Zahlen nicht weiter gestiegen. Einerseits können wir kulturelle Lernprozesse unter den Zuwanderern feststellen.

Zur Person

Christian Pfeiffer, geb. 1944, war Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Mit „Gegen die Gewalt“ der streitbare Jurist sein bisher persönlichstes Buch geschrieben. In der Talkreihe „frank&frei“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht er über seine Arbeit als Beruf und Berufung, über das Angstthema „Gewalt gegen Frauen“ und die Mängel der Strafverfolgung.

Als Diskussionspartnerin hat Moderator Joachim Frank die Kölner Juristin und Philosophin Frauke Rostalski eingeladen. Die 35 Jahre alte Strafrechts-Professorin ist auch Co-Autorin der Magazin-Kolumne „Recht und Ordnung“.

Gegen die Gewalt. Dienstag, 21. Januar, um 19 Uhr in der Karl-Rahner-Akademie, Jabachstraße 4-8, 50676 Köln. Eintritt: 8 Euro (erm./KStA-Abocard 4).

Telefon: 0221/801078-0

info@karl-rahner-akademie.de

Andererseits gibt es schon auch die Verfestigung krimineller Clan-Strukturen. Hier brauchen wir eine Doppelstrategie: Erstens einen verstärkten Einsatz der Polizei und das möglichst auch mit Beamten, die aus solchen Kulturen kommen. Zweitens wirklich engagierte Bemühungen um die schulische und soziale Integration der Kinder und Jugendlichen aus solchen Familien.

Wenn die reale Gewalt zurückgeht, wie passt das zu den überbordenden Gewaltfantasien, speziell im Internet?

Die Menschen, die ihre Gewaltfantasien im Internet präsentieren und dort andere Menschen mit Hasstiraden überziehen, sind offenkundig extreme Mehrfachtäter. Es ist ihr Lebensinhalt, sich dort verbal auszutoben und eine Vielzahl von als Feinde wahrgenommenen Menschen zu attackieren. Da wir bisher keinen effektiven Weg gefunden haben, ihre Anonymität zu durchbrechen und sie zur Verantwortung zu ziehen, verfügen wir nur über wenig gesicherte Fakten darüber, was sie geprägt hat. Ich bin allerdings sicher, dass sie sich mental von denen wenig unterscheiden, die mit Hassdelikten öffentlich aufgetreten sind. Als Beispiel nehme ich Stephan B, der in Halle versucht hatte, eine Synagoge zu stürmen, um dort eine große Zahl von jüdischen Mitbürgern zu töten. Experten der Analyse von Hassmails vermuten allerdings eine Besonderheit der Absender. Sie dürften häufiger zur älteren Generation gehören und deshalb nicht mehr über die körperliche Fitness verfügen, in den direkten Kampf einzusteigen. Aber zum Schreibtischtäter reicht es noch.

Nun kommen Gewalttaten – auch spektakuläre – vor, und die Medien müssen darüber berichten.

Das stimmt. Die Berichterstattung über ein schweres Opferschicksal ist nötig und richtig. Aber parallel dazu muss die Öffentlichkeit immer darüber informiert werden, wie diese Tat in das Gesamtgeschehen der Gewalt einzuordnen ist. Wenn also etwa über eine Kindestötung berichtet wird, sollte es in der Zeitung daneben einen kleinen Kasten geben, der aufzeigt, dass die Zahlen solcher brutalen Delikte seit 1993 um mehr als die Hälfte rückläufig sind und wie das kommt.

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Ohne diese Information ist keine Einordnung möglich, und der grauenhafte Einzelfall wird für ein schreckliches Ganzes genommen, das gar nicht existiert. Das führt nicht zuletzt dazu, dass tatsächlich bedrohliche Entwicklungen unter dem Aufmerksamkeitsradar bleiben.

Woran denken Sie da?

Beispielsweise muss ich über eine Besorgnis erregende Islamisierung türkischstämmiger Jugendliche berichten. Je öfter sie ihre Moscheen besuchen, umso stärker entfremden sie sich von unserer Kultur. Hier wirkt sich offenkundig aus, dass Erdogans Religionsbehörde liberale Imame zurückbeordert und durch islamistisch orientierte Prediger ersetzt hat. Bei den Jugendlichen resultiert daraus teilweise eine extreme Überhöhung der eigenen Religion und eine Verachtung für die säkulare Gesellschaft. Das schlägt nicht unbedingt in Gewalt um. Aber es trägt zum Rückzug aus der Gesellschaft bei. Dem sollten wir im Rahmen des rechtlich Möglichen entgegenwirken.

Wie denn?

In Österreich gilt seit einigen Jahren ein Gesetz, dass in den Moscheen nur noch auf Deutsch gepredigt werden darf und dass Moscheegemeinden nicht aus dem Ausland finanziert werden dürfen. Aus verfassungsrechtlichen Gründen wird das so strikt bei uns nicht möglich sein. Aber der Schnellimport von Imamen aus der Türkei, die kein Deutsch sprechen und hier als Scharfmacher agieren, lässt sich zum Beispiel über Anforderungen an Deutschkenntnisse für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis einschränken. Eine problematische Rolle spielt hier längst auch die Türkisch-Islamische Union Ditib, die in den letzten Jahren völlig unter die Befehlsgewalt des Erdogan-Regimes geraten ist. Trotzdem bestehen die Partnerschaftsverträge der Bundesländer fort. Das halte ich für falsch und empfehle eine Kündigung, weil die Partner nicht mehr über demokratische Strukturen und über die erforderliche Unabhängigkeit verfügen. 

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