Interview mit Norbert Walter-Borjans„Kein Interesse an Siechtum der Union“

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Norbert Walter-Borjans

  • Der SPD-Bundesvorsitzende spricht im Interview über seinen Start ins Amt und die Lage seiner Partei.
  • Aber auch das Wahldebakel in Thüringen sowie die Krise in der CDU sind Themen, die Norbert Walter-Borjans beschäftigen.

Herr Walter-Borjans, Sie sind jetzt zwei Monate SPD-Chef. Wie war der Start?

Schön und zugleich ganz schön aufreibend. Mit unserem Erfolg im Wahlverfahren hatten viele nicht gerechnet. Wir selbst hatten natürlich auf Sieg gesetzt. Sicher waren wir uns natürlich nicht. Daher gab es am Anfang unheimlich viel Neues: Menschen, Orte und Aufgaben.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit ihrer Co-Vorsitzenden Saskia Esken?

Wir ergänzen uns ausgesprochen gut und haben eine hohe inhaltliche Übereinstimmung in Sachfragen. Es ist aber auch gut, dass wir keine Klone sind.

Die vergangene Woche war vom Debakel der Thüringen-Wahl geprägt. Nützt der Vorgang der SPD?

Das mag so sein, ist aber nicht die Antriebsfeder für unser Handeln. Wir haben uns immer glasklar von jeglicher Zusammenarbeit mit Rechtsextremen abgegrenzt. Deswegen können wir auch absolut klar und glaubwürdig auftreten. In einer Zeit, in der CDU und FDP offenkundig Probleme haben, sich klar von der AfD abzugrenzen, ist die SPD ein Stabilitätsanker.

Inwiefern?

Wir haben am vergangenen Wochenende eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses verlangt und eine klare Distanzierung der CDU von den Vorgängen in Thüringen verlangt. Die ist dann auf unsere Initiative hin in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten worden. Die Bundeskanzlerin hat dazu auch klare Worte gefunden.

Zur Person

Norbert Walter-Borjans, geboren am 17. September 1952 in Krefeld-Uerdingen, verheiratet, Vater von vier Kindern. Walter-Borjans ist seit dem 6.Dezember mit Saskia Esken Bundesvorsitzender der SPD. Bekanntheit erlangte Walter-Borjans in seiner Zeit als NRW-Finanzminister zwischen 2010 und 2017, als er von 2012 an mehrere sogenannte „Steuersünder-CDs“ aufkaufte.

Auch in Köln war Walter-Borjans politisch tätig. 2006 wählte ihn der Rat zum Wirtschafts- und Liegenschaftsdezernenten. 2009 erhielt er zusätzlich das Amt des Stadtkämmerers. Walter-Borjans ist gerade dabei, von Köln nach Berlin umzuziehen.

Welche Folgen hat der Eklat für FDP-Chef Lindner?

Er war doch ganz offensichtlich in die Planung der Kemmerich-Wahl eingebunden. Nachdem er 2017 die Bildung des Jamaika-Bündnisses mit demokratischen Parteien abgelehnt hatte, hatte er mit einer Regierung von AfD-Gnaden offenbar kein Problem. Lindner glaubte vielleicht, dass die Ministerpräsidenten-Wahl im kleinen Thüringen nicht auf so große Beachtung stoßen würde. Das war ein schwerer strategischer und moralischer Fehler. Lindner mag ein Mann der großen Pose sein. Große Taten sind nicht sein Ding.

In der CDU führte die Krise zum Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer. Wer ist Ihnen als Nachfolger lieber: Friedrich Merz oder Armin Laschet?

Ich mische mich nicht in die Angelegenheiten der CDU ein. Man muss aber kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass bei den Themen wie zum Beispiel Mindestlohn und soziale Sicherheit die Differenzen mit Friedrich Merz nicht kleiner würden.

Gegen den Wirtschaftspolitiker Merz könnte die SPD sich klarer abgrenzen …

Ich bin sehr dafür, dass es zwei starke Volksparteien in Deutschland gibt. Das setzt voraus, dass sie auch unterscheidbar sind. Die SPD hat an einem Siechtum der Union kein Interesse. Das gilt – soweit ich weiß – umgekehrt auch.

Die SPD hat Regionalkonferenzen veranstaltet, bei denen sich die Kandidaten für den Parteivorsitz vorstellen konnten. Empfehlen Sie dieses Vorgehen auch der Union?

Die SPD hat gezeigt, dass sie trotz des aufwendigen Wahlverfahrens das Land weiterhin gut regieren kann. In dieser Zeit hat die GroKo zahlreiche Beschlüsse gefasst, zum Beispiel zur Grundrente und in der Klimapolitik. Ich hoffe, dass der Findungsprozess der CDU genauso wenig Auswirkungen auf die Regierungsarbeit hat. Bei der CDU geht es mit der Abstimmung allerdings ganz besonders um die Haltung zu einer sozial gerechten Politik. Und: Gibt es einen Rechtsruck? Oder bleibt die CDU eine Partei der Mitte?

Merz wird von der Werteunion unterstützt. Was halten Sie von dieser konservativen Vereinigung in der Union?

Die CDU ist darum bemüht, so zu tun, als hätte die Werteunion keinen Einfluss. Das stimmt natürlich nicht. Mich besorgt die Nähe vieler in der Werteunion zu AfD-Positionen. Sollte es auch gemeinsame Treffen oder einen systematischen Austausch von Positionen geben, wäre das völlig unakzeptabel. Eine Zusammenarbeit mit der AfD wäre ein Verstoß gegen die Vereinbarungen im Koalitionsausschuss. Das würde das Klima in der großen Koalition schwer belasten. Die Bundesebene muss hier durchgreifen. Der Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der AfD ist kein regionales Thema.

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Glauben Sie, dass die Koalition in Berlin bis zum Ende der Legislaturperiode hält?

Erst einmal muss jetzt die CDU klären, wie sie sich neu aufstellt und wie der oder die neue Vorsitzende zu den GroKo-Zielen steht. Das warten wir gelassen ab. Ich habe nicht den Eindruck, dass Angela Merkel an einen schnellen Rückzug denkt.

Sollte es zu Neuwahlen kommen – würden Sie oder Saskia Esken als Kanzlerkandidat antreten?

Es sollte dann der oder die antreten, die am besten zum Wahlvolk, zum Programm der SPD und zu ihren Mitgliedern passt. Dazu werden die Vorsitzenden beizeiten einen Vorschlag machen. Ich halte nichts von Ausschließeritis.

Im Herbst sind Kommunalwahlen in NRW. Welchen Effekt erwarten Sie von der Abstimmung für die Genesung der Bundes-SPD?

Die SPD hat die Chance, sich aus der konstruktiven Unzufriedenheit ihrer Mitglieder heraus zu erneuern. Die Wahl zum Bundesvorsitz hat gezeigt, dass die Basis Vertreter aus ihren Reihen in Berlin wollte. In NRW verfügen wir über eine starke kommunale Basis. Ich bin mir sicher, dass uns die Kommunalwahlen in NRW einen weiteren Schub nach vorne geben.

In Köln hat die SPD den Landtagsabgeordneten Andreas Kossiski als OB-Kandidaten aufgestellt ...

Das ist eine gute Wahl. Andreas Kossiski bringt viele Erfahrungen ein, ist in der Stadtgesellschaft verankert, war Polizist und später DGB-Vorsitzender in Köln. Er weiß, wovon er redet, und er besitzt eine hohe persönliche Glaubwürdigkeit.

Kann er Amtsinhaberin Henriette Reker schlagen?

Die SPD hat eine gute Chance, wenn sie geschlossen auftritt. Viele Menschen wollen nicht länger, dass Köln unter seinen Möglichkeiten regiert wird. Sie wollen eine soziale, bunte und sichere Stadt. Diese Komponenten gehören zusammen. Die Sorgen der Menschen um die Sicherheit haben wir vielleicht in der Vergangenheit ein Stück vernachlässigt.

Wie meinen Sie das?

Wir müssen eine sozialdemokratische Antwort auf das Bedürfnis nach Sicherheit geben. Dazu gehört die soziale Sicherheit, aber auch die Angst vor Kriminalität. Die SPD ist die Partei der Menschen, die sich an Regeln hält. Diese Regeln müssen für alle gelten, für den Millionär, für alle in der Nachbarschaft, egal, wie lange sie schon hier sind. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir den Durchschnittsbürgern nichts durchgehen lassen, bei der einen oder dem anderen aber ein Auge zudrücken.

Wie lange wollen sie SPD-Parteichef bleiben?

So einen Job übernimmt man nicht nur für den Übergang. Wie lange man im Amt bleibt, entscheiden die Mitglieder. Ich würde über einen längeren Zeitraum dabei mithelfen, die SPD zu alter Stärke zurückzuführen.

Was vermissen Sie in Berlin am meisten?

Meinen Bäcker. Und mein Veedel in Köln, wo ich die Menschen kenne und man im Brauhaus fragt: »Wie immer Speckpfannkuchen? Oder diesmal Himmel und Äd?«

Das Gespräch führten Carsten Fiedler, Christian Hümmeler und Gerhard Voogt

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