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Interview mit NRW-Schulministerin„Wir planen Corona-Tests an ausgewählten Schulen“

Lesezeit 7 Minuten
Yvonne Gebauer

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP)

Frau Gebauer, sind Sie froh, dass endlich Sommerferien sind? Ja. In diesem Jahr freue ich mich sicher genauso wie die Schüler und Lehrer auf die Sommerferien. Hinter uns allen liegt eine anstrengende Zeit. Jetzt haben alle eine Pause verdient.

Haben Sie die Corona-Krise als schwerste Phase ihrer Amtszeit erlebt?

Es war eine herausfordernde Phase, aber nicht nur für mich. Teilweise mussten wir im Stundentakt weitgehende Entscheidungen treffen. Aber auch diejenigen, die die Entscheidungen dann vor Ort in den Schulen umgesetzt haben, waren natürlich sehr belastet.

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Die Schulträger kritisieren, dass sie immer erst auf den letzten Drücker informiert worden sind …

Das kann ich verstehen. Die Abläufe waren allerdings auch oft der Terminlage in Berlin geschuldet. Die Beratungen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten über die Corona-Lage fanden immer in der Mitte der Woche statt. Diese Beschlüsse mussten wir dann sehr schnell für NRW umsetzen und in konkrete Vorgaben gießen. Oft konnten die Schulmails deshalb erst kurz vor dem Wochenende verschickt werden. Ich verstehe, dass das ein ungünstiger Zeitpunkt war.

Eine Schulmail wurde verfrüht versendet und musste vom Ministerpräsidenten bei einer Pressekonferenz zurückgenommen werden. Da sahen Sie nicht gut aus, oder?

Das ist sicherlich ein Beispiel dafür, bei dem im Corona-Stress nicht alles glatt lief.

Sie wollen nach den Sommerferien mit dem Präsenzunterricht an allen Schulen starten. Ist nicht zu befürchten, dass Ausbrüche wie in Gütersloh den Plan zunichtemachen?

Mein Ziel ist es, allen Schülerinnen und Schülern wieder umfänglichen Präsenzunterricht zukommen zu lassen. Sie haben ein Recht auf gute Bildung. Wenn es regionale Infektionen gibt, müssen wir darauf gezielt reagieren.

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Es kann allerdings nicht sein, dass die Entscheidungsträger vor Ort reflexhaft als erste und einzige Maßnahme immer sofort Kitas und Schulen schließen, wenn es im Umfeld von Schulen Corona-Fälle gibt. Da wünsche ich mir eine differenzierte Betrachtungsweise - und keinen Aktionismus zu Lasten unserer Kinder.

Viele Kinder kommen mit Lerndefiziten aus der Coronaphase. Wie soll der Stoff aufgeholt werden?

Die Lehrer werden sich ohnehin nach den Ferien jedes einzelne Kind genau anschauen und individuelle Diagnosen erstellen. Das gehört zu den Aufgaben unserer Lehrerschaft, die diese auch verantwortungsvoll wahrnimmt. Wenn es deutlich erkennbar Lücken gibt, müssen individuelle Fördermaßnahmen vereinbart werden.

Zur Person

Yvonne Gebauer wurde am 2. August 1966 in Köln geboren.

Seit 2017 ist die FDP-Politikerin Ministerin für Schule und Weiterbildung in NRW. Dem Landtag gehört sie seit 2012 an,

zuvor hatte sie im Kölner Stadtrat für die FDP als schulpolitische Sprecherin Politik gemacht.

Anders als ihre Vorgängerin Sylvia Löhrmann (Grüne) ist Gebauer nicht selbst Lehrerin. Die Mutter eines Sohnes war vor dem Wechsel in die Landespolitik in der Immobilienbranche tätig. Ihre Ausbildung absolvierte sie als Rechtsanwaltsfachangestellte. Mit 16 Jahren trat sie in die FDP ein. Ihr Vater, Wolfgang Leirich, war Fraktionschef der Liberalen im Stadtrat und von 1975 bis 1987 Kölner Schuldezernent.

In Mathematik zum Beispiel wird es schwer, dem Unterricht nach den Sommerferien zu folgen, wenn man in der Coronaphase bestimmte Grundlagen nicht vermittelt bekommen hat. Darauf werden die Schulen aber reagieren. Auch im Rahmen des Ganztages können Angebote zur Unterstützung der Schülerinnen und Schüler angeboten werden.

Wieso nutzen Sie die Sommerferien nicht?

Das tun wir ja. Es stehen 75 Millionen Euro für Ferienprogramme zur Verfügung. Die richten sich an Kinder mit besonderem Förderbedarf und vorrangig Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Es gilt aber nicht nur Wissenslücken zu schließen, sondern auch soziale, emotionale und sprachliche Defizite in den Blick zu nehmen. Manche Kinder haben in der Krise zum Teil leider auch sprachliche Kompetenzen verloren, daher bin ich froh, dass wir auch in diesem Sommer wieder das Sprach-Ferienprogramm FIT in Deutsch auflegen.

Das klingt nach einen sozialdemokratischen Ansatz. Um Kinder, die nicht sozioökonomisch benachteiligt sind, kümmert sich die FDP-Ministerin nicht?

Doch natürlich. Nennen Sie es gerne einen sozialliberalen Ansatz. Wir nehmen alle Kinder in den Blick. Der Staat kann aber nicht alles regeln, das wissen wir. Ich erwarte daher auch von Eltern, dass sie ihren Erziehungsauftrag ernst nehmen, und die Bildung ihrer Kinder nicht nur dem Staat überlassen. Das hat während des Lockdowns in vielen Familien auch hervorragend funktioniert.

Sie haben eine Digitalisierungsoffensive angekündigt. Wie sieht die aus?

Unser Ziel ist, dass sich die Ausstattung von Schülern und Lehrern mit digitalen Endgeräten verbessert. Der Bund stellt uns für das Sofortprogramm 105 Millionen Euro zu Verfügung. Wir geben aus dem Landeshaushalt noch mal über 50 Millionen Euro dazu.

Und Sie glauben, dass sie bis zum Ende der Sommerferien so viele Laptops beschaffen können?

Für das Sofortausstattungsprogramm des Bundes kaufe nicht ich die Geräte. Über die Modalitäten entscheiden wir gerade. Manche Schulen haben ja auch schon eine digitale Ausstattung. Sie sollten Geräte bekommen, die dazu passen. Wir wollen Kinder mit Leihgeräten versorgen, deren Eltern keine digitale Ausstattung zu Hause haben.

Haben alle Lehrer die Kompetenz, digitalen Unterricht durchzuführen?

Die Krise hat uns einen enormen digitalen Schub gebracht. Ich bin zuversichtlich, dass allen Beteiligten, nämlich den Lehrkräften, Schulleitungen, Eltern und Schülern, der Wert der Digitalisierung noch deutlicher geworden ist. Das Ministerium bietet auch in den Ferien auf freiwilliger Basis Webinare an, bei denen sich die Pädagogen fortbilden können.

Kann man die Lehrer nicht dazu verpflichten?

Nein. Aber ich setze darauf, dass viele Lehrerinnen und Lehrer die Vorteile der digitalen Weiterbildung erkennen und die Chancen nutzen. Ich würde mir wünschen, wenn Lehrerinnen und Lehrer, die jetzt noch zurückhaltend sind, das Angebot der digitalen Weiterbildung, möglichst zahlreich nutzen würden.

Wann endet die Zeit, in der die Lehrer in NRW noch mit Kreide an die Tafel schreiben?

An vielen Schulen gibt es bereits in allen Klassenräumen digitale Tafeln. Aber manche Lehrer sagen mir, dass sie die Klassentafel als gute Ergänzung für den digitalen Unterricht weiter nutzen wollen. Unser Ziel ist es, alle Schulen bis spätestens 2022 mit schnellem Internet auszurüsten. Das ist eine notwendige Grundlage, digital arbeiten zu können.

Planen Sie, ein Corona-Testprogramm durchzuführen?

Wir planen Tests an ausgewählten Schulen, die wir wissenschaftlich begleiten lassen wollen. Dazu gibt es bereits weitgehende Überlegungen. Ziel ist es auch, Erkenntnisse über die Verläufe des Infektionsgeschehens in Schulen zu gewinnen. Der Start ist nach den Sommerferien geplant.

Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte hat die hohe Zahl der Lehrer kritisiert, die sich krankschreiben ließen, um sich nicht mit dem Virus zu infizieren. Teilen Sie die Kritik?

Die weit überwiegende Mehrzahl der Lehrerschaft hat in der Krise einen verantwortungsvollen Job gemacht. Wir betrachten die Gefährdungssituation unserer Lehrer in jedem Fall individuell. Derzeit sind 85 Prozent der Lehrer einsatzbereit. Wenn man die Zahl derer abzieht, die aus anderen Gründen erkrankt sind, haben wir eine coronabedingte Ausfallquote von rund sieben Prozent.

Lehrergewerkschaften und Opposition haben Sie wegen des Festhaltens am Abitur scharf kritisiert. Jetzt stellt sich heraus, dass es bei den 800 000 Prüfungen in NRW nur drei Abiturienten mit Covid-19 gab. Haben Sie Glück gehabt?

Die präventiven Maßnahmen des Ministeriums, der Schulen und der Schulträger haben sich bewährt. Ich bin froh, dass wir das Abitur ohne große Probleme durchführen konnten. Schüler, die zunächst skeptisch waren, dürfen sich jetzt darüber freuen, ein Abitur in der Tasche zu haben, bei dem man keinen Makel herbeireden kann.

Lehramtsanwärter sollen künftig freiwillig bis zu sechs Stunden mehr Unterricht erteilen können – sind die bislang nicht voll ausgelastet?

Doch. Aber es gibt Referendare, die sich noch mehr einbringen wollen. Dafür bin ich dankbar, und denen wollen wir die Möglichkeit einräumen. Die Mehrarbeit erfolgt nur auf freiwilliger Basis, soll aber helfen, die coronabedingten Ausfälle zu reduzieren.

Die FDP besetzt mit den Ressorts Wirtschaft, Familie und Schule die Schlüsselressorts in der Krise. Nützt das den Liberalen oder ist das eine Hypothek?

Es war ein Anliegen der FDP-Minister, die Einschränkungen nur so lange aufrecht zu erhalten wie unbedingt erforderlich. Es ging hier ja um massive Grundrechtseinschränkungen. Die enge Abstimmung mit Familienminister Joachim Stamp hat zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Kinder in der Krise geführt und uns im gemeinsamen Handeln auch bestärkt.

Sie waren auch persönlichen Anfeindungen ausgesetzt. Haben Sie in manchen Fällen Strafanzeige erstattet?

Nein! Als Politikerin ist man daran gewöhnt, Kritik zu erfahren und auszuhalten. Die Diskussionen, die sich aus einzelnen Maßnahmen ergeben haben, kann ich durchaus nachvollziehen, auch deshalb, weil niemand in einer solchen noch nie dagewesenen Krise den Königsweg kennt. Ich habe meine Entscheidungen immer auf das Wissen und die Erkenntnisse von Experten aus der Medizin, aus der Pädagogik und aus der Wissenschaft gestützt. Diesen Weg werde ich auch weiter gehen.

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