Interview mit Volker Beck„Von Israel Respekt vor Minderheiten lernen“

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Demo gegen Antisemitismus

Demo gegen Judenhass und für Israel in Berlin im April 2022

  • Volker Beck war von 23 Jahre lang Bundestagsabgeordneter der Grünen.
  • Jetzt will er Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft werden.
  • Im Interview formuliert er seine Pläne und seine Erwartungen an die Bundesregierung.

Herr Beck, um die Präsidentschaft der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) gab es vor der Neuwahl Gerangel. Alexander Graf Lambsdorff von der FDP hat seine Kandidatur zurückgezogen. Jetzt stehen nur noch Sie zur Wahl. Warum? Volker Beck: Mehrere Arbeitsgemeinschaften der DIG haben mich gebeten, mich um die Nachfolge von Uwe Becker zu bewerben. Dem bin ich gerne gefolgt. Auch Graf Lambsdorff war ein guter Kandidat für dieses Amt. Wenn die Hauptversammlung der DIG mich wählt, will ich daran arbeiten, sie weiterhin als Stimme für Fairness gegenüber Israel und gegen jeden Antisemitismus vernehmbar zu machen, auch ein Stück weit unabhängig von Koalitions- und Partei-Loyalitäten.

Als Grüner haben Sie doch selbst eine parteipolitische Nähe zum Beispiel zum grün geführten Außenministerium.

Ja und nein. Ich habe den parteipolitischen Betrieb vor fünf Jahren verlassen und bin inzwischen fachpolitisch und wissenschaftlich tätig. Die Parteinahme der DIG für Israel sollte überparteilich sein. Allenfalls für die Frage, wer mit wem am besten reden kann, mag es von Vorteil sein, dass jetzt mit Annalena Baerbock eine Grüne das Auswärtige Amt führt. Genauso wichtig aber ist es, dass mit den DIG-Vizepräsidenten die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Grünen vertreten sind und entsprechende Zugänge eröffnen.

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Und – können Sie mit Annalena Baerbock besser reden?

Wir duzen uns. Das ist schon einmal etwas, aber heißt auch noch nicht viel. In den Positionierungen der Ministerin nehme ich im Vergleich zu ihrem Vorgänger wohltuend eine etwas veränderte Tonlage wahr. Heiko Maas (SPD) hatte viel übrig für die allfälligen Gedenktage. Aber wenn es darauf ankam, war im Bereich der alltäglichen und konkreten Solidarität mit Israel nach meinem Eindruck deutlich Luft nach oben. Den Härtetest hatte die neue Ministerin allerdings auch noch nicht zu bestehen, da sich außenpolitisch derzeit richtigerweise alles auf Putins verbrecherischer Krieg gegen die Ukraine konzentriert. Und das macht sie sehr gut.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung?

Ich würde mir wünschen, dass Deutschland sich in den Vereinten Nationen und ihren Unterorganisationen nicht mehr an der Isolierung Israels beteiligt. Im UN-Menschenrechtsrat wird Israel Jahr für Jahr häufiger verurteilt als der Rest der Welt zusammen. Es gibt dafür in jeder Sitzung des Gremiums den festen Tagesordnungspunkt sieben. Da geht es erkennbar nicht mehr um die Sache, sondern um eine Prangerfunktion. Deshalb sollte die Bundesregierung sagen: Da macht Deutschland nicht mehr mit. Man darf Israel gern kritisieren. Aber es muss angemessen sein. Ein zweiter Punkt wäre ein Beitrag Deutschlands zur Verringerung der Konfliktmasse zwischen Israel und den Palästinensern.

Woran denken Sie konkret?

Man sollte zum Beispiel die Förderung des UN-Hilfswerks für die Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) perspektivisch umwidmen in eine Förderung der Länder, in denen die palästinensischen Flüchtlinge leben – und zwar orientiert an den Bemühungen, diese Menschen zu integrieren. Über den UNHCR, das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen, ist das überall längst gängige Praxis und Integration von Flüchtlingen immer ein Ziel. Nur im Fall der palästinensischen Flüchtlinge gibt es eine Sonderorganisation, die das Konfliktpotenzial nicht reduziert, sondern perpetuiert. Hier könnte Deutschland mit neuen, friedenstiftenden Initiativen eine Vorreiterrolle übernehmen.

Anders als zum Beispiel die „Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ vermeidet die DIG eine religiöse Konnotation. Sehen Sie sich demzufolge auch als Sachwalter der arabischen Israelis ebenso wie des jüdischen Bevölkerungsteils?

Wir gründen unser Engagement auf das gleiche Fundament wie der Staat Israel selbst: Die Unabhängigkeitserklärung von 1948 charakterisiert Israel als Heimstatt für Juden aus aller Welt mit dem Recht zur Einwanderung und als Staat aller seiner Bürgerinnen und Bürger - mit gleicher Würde und gleichen Rechten, unabhängig von Religion und Herkunft.

Vor welchen Herausforderungen in Deutschland sehen Sie die DIG?

Wir müssen der Gesellschaft klarmachen: Der Nahost-Konflikt wird nicht in Deutschland gelöst, sondern von den Konfliktparteien vor Ort. Aber die Art des Redens über Israel beeinflusst die Lage von Jüdinnen und Juden in Deutschland, weil in Form von Israel-Kritik und Anti-Zionismus oftmals etwas in Worte gefasst wird, was man sich über Juden nicht mehr zu sagen traut.

Was haben Sie als Präsident mit der DIG vor?

Ich möchte an der politischen Profilierung der DIG durch den bisherigen Präsidenten Uwe Becker gerne anknüpfen. Nach innen hoffe ich, manche Probleme zu entschärfen und Konflikte befrieden zu können. Und wir stehen vor der großen Aufgabe, unsere Mitgliedschaft zu verjüngen und auch mehr Frauen zu gewinnen. Das Verhältnis zu Israel verändert sich mit dem Wechsel der Generationen. Bislang waren die Bemühungen um das deutsch-israelische Verhältnis ebenso wie der christlich-jüdische Dialog von Menschen getragen, die sich sehr intensiv mit der NS-Vergangenheit auseinandergesetzt haben. Für die nachfolgende Generation sind diese Fragen – zumindest lebensweltlich - nicht mehr so präsent. Es gilt daher, sie neu und anders für Israel zu begeistern.

Wie?

Israel ist ein hoch spannendes Land, als Ort wissenschaftlicher und technischer Innovation, als Ort der Vielfalt und des Pluralismus – übrigens auch in religiöser Hinsicht. Der Respekt vor religiösen Minderheiten ist staatlicherseits sogar stärker ausgeprägt als zum Beispiel in Deutschland. Das geht leicht unter, wenn vom „jüdischen und demokratischen Staat“ die Rede ist. Damit assoziieren manche eine Art „Theokratie“, was blanker Unsinn ist.

Wo sind denn in Deutschland religiöse Minderheiten schlechter gestellt als in Israel?

Wenn ich an Diskussionen denke etwa über Bekleidungsvorschriften, dann orientiert sich bei uns die Norm der Neutralität an einer säkularen oder alltagschristlichen Vorstellung der Mehrheit, aber nicht an Diversität. Da könnte man von Israel einen entspannteren Umgang mit religiösen Differenzen lernen. Als ich an der Universität in Jerusalem Hebräisch lernte, war es genauso selbstverständlich, dass es am muslimischen Opferfest keinen Unterricht ab wie an Schabbat und den jüdischen Feiertagen.

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Entspannter Umgang? Wie passt das denn zu den fast täglichen gewaltsamen religiösen Konflikten in Israel?

Innerhalb des rechtlichen Rahmens, von dem ich sprach, gibt es gleichwohl viele ungute Entwicklungen. Das ist unbestreitbar. Idioten und Hater gibt es überall, natürlich auch in Israel, wie erst diese Woche der Überfall auf eine Kapelle des griechischen Patriarchats auf dem Zionsberg durch 50 mutmaßlich extremistische, jüdische Israelis gezeigt hat. Das ist inakzeptabel. Aber die israelische Polizei wird das verfolgen. Israel ist nicht perfekt, aber ein Rechtsstaat.

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