Interview zum Zweiten Weltkrieg„Die Kölner hatten allen Grund, Angst zu haben“

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Einwohner der Stadt Köln kehren am 16. März 1945 in ihre zerstörte Stadt zurück, die von den amerikanischen Streitkräften eingenommen wurde.

Einwohner der Stadt Köln kehren am 16. März 1945 in ihre zerstörte Stadt zurück, die von den amerikanischen Streitkräften eingenommen wurde.

  • Der Historiker Jost Dülffer aus Köln hat sich eingehend mit der Stadt während und nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt.
  • Im Interview spricht er unter anderem darüber, warum viele Kölner auch noch am Kriegsende oft mehr Angst vor dem eigenen Regime als vor den Amerikanern hatten.
  • Er erklärt aber auch, warum Briten und Amerikaner auch noch zum Kriegsende Köln in großem Stil bombardierten.

Herr Dülffer, die Deutschen empfanden eine besondere Verbindung zu Hitler. War das Bündnis zwischen Bevölkerung und „Führer“ am Kriegsende in Köln noch intakt?

Man kann davon ausgehen, dass die Loyalität gegenüber Hitler und der NSDAP bis zum Schluss gehalten hat, sicherlich mit der Maßgabe, dass der Krieg endlich aufhören möge. Dennoch blieb man dem Regime gegenüber loyal, wenngleich mit Zwang und der Hoffnung, dass der »Führer« schon einen Ausweg aus der vertrackten Lage finden werde. Das Loyalitätsverhältnis schwand zwar nach Stalingrad 1943, war aber bis 1945 so stark, dass die Deutschen und die Kölner sich nicht selbst befreiten. Dazu gehörte auf der anderen Seite natürlich auch der gerade zum Kriegsende verstärkte Terror.

Wie wirkte sich der eskalierende Terror des Regimes am Ende des Krieges in Köln aus?

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Er zeigte sich darin, dass nun jede Stadt und jeder Ort zur Rundumverteidigung aufgerufen wurde, zum Durchhalten bis zum Schluss. Die verbliebenen Kölner selbst waren gefragt, aber Volkssturm und zusammengewürfelte Polizeikräfte konnten das kaum leisten. Sie waren kaum oder schlecht ausgebildet, hatten auch kaum Waffen und hofften eher auf Überleben als auf den befohlenen Heldentod. Auch ihre Befehlshaber scheinen diese Ansicht geteilt zu haben. Sie waren vom Reichsverteidigungskommissar, dem Kölner Gauleiter Josef Grohé, noch einmal dazu angehalten worden, die Stadt zu halten. Das taten sie aber glücklicherweise kaum noch. Die noch kampfkräftigen Truppen der Wehrmacht zogen sich schon Anfang März auf die rechte Rheinseite zurück.

Zeigte sich die Selbstzerstörung, die Hitler letztlich ja vorlebte, in Aktionen wie der Sprengung der Kölner Hohenzollernbrücke?

Die Zerstörung aller Brücken hatte noch einen gewissen militärischen Sinn, da man so zu verhindern suchte, dass die Alliierten über den Rhein kamen, was eine gewisse Zeit lang funktionierte. Nach dem amerikanischen Einmarsch in Köln wurde die linksrheinische Seite zur Kampfzone erklärt, und es wurde über den Rhein hinweg von beiden Seiten geschossen.

Köln war die erste große Stadt des Reiches, die eingenommen worden war. Sah man den Alliierten gelassener entgegen als die Menschen im Osten im Vergleich dazu der Roten Armee?

Es gab in Köln und im Westen von Köln die Idee, dass man sich überrollen lassen wollte. Diese Vorstellung geht von dem militärischen Bild eines Schützenlochs aus, über das der Panzer hinwegrollt. Man steigt dann aus dem Schützengraben aus und kann wieder weitermachen. Diese Idee, dass die Amerikaner Köln und dann große Teile Deutschlands erobern würden und dann sei wieder alles Friede, Freude, Eierkuchen, war weit verbreitet. Der Krieg sollte aufhören, das war der zentrale Wunsch der meisten Menschen; über Weiteres machte man sich nicht viele Gedanken.

War es sehr gefährlich für die Kölner, sich am Ende gegen das Regime aufzulehnen? Hatten die Menschen Angst als »Volksschädling« zu gelten?

Davor musste man auch Angst haben. Man kann sagen, dass in der Verschärfung des Krieges seit Herbst 1944 die Einschüchterung und Verfolgung gegenüber der Bevölkerung noch einmal zunahm. Das traf nicht nur Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Die staatlichen Verfolgungsorgane griffen nachdrücklich durch, sehr viele Menschen sind hierdurch umgekommen, ins Gefängnis oder Konzentrationslager verbracht worden. Es herrschte bisweilen mehr Angst vor dem eigenen Regime als vor der Eroberung durch die Amerikaner.

Die Bombardierungen setzten den Kölnern zusätzlich zu. Dennoch blieben Menschen in der Stadt. Wer hielt die Menschen zusammen?

Anfang März 1945 war Köln eine weitgehend menschenleere Stadt. Die meisten Kölner waren seit Herbst 1944 geflohen und zu Kriegsende erfolgte auch noch der Evakuierungsbefehl des Gauleiters. Die Kernstadt bis zum Gürtel war zerstört. Wie viele Menschen sich zu Kriegsende noch linksrheinisch aufhielten, weiß man nicht genau, vielleicht 20.000 oder 40.000 Menschen. Es gab für diese kaum eine andere Möglichkeit für die Menschen als abzuwarten, bis der Krieg vorbei war. Auch die Kirchenvertreter waren zum großen Teil ins Rechtsrheinische geflohen. Der Stadtdechant Robert Groschen war der bekannteste Katholik, der noch in der Stadt Köln aushielt. Die meisten Pfarreien waren geschlossen, protestantische, soweit man weiß, überhaupt nicht mehr da. Gottesdienste fanden so nur spärlich statt. Da sich auch die Verwaltung zum größten Teil aufs Land abgesetzt hatte, gab es über Widerstandsorganisationen hinaus kaum Sozialorganisation, an die sich die Kölner hätten halten können.

Wie kamen die Menschen durch den Krieg?

Es war ganz unterschiedlich. Das Gesundheits- und das Versorgungssystem funktionierte an sich bis relativ lange bis kurz vor das Kriegsende, also 1944 bis Anfang 1945. Auch schon vor der Befreiung durch die Alliierten gab es Lebensmitteldepots, aus denen man sich reichlich plündernd bedienen konnte. Es wird immer wieder von Orgien des Betrinkens berichtet und wie die in Köln unterirdisch wohnenden Feiern veranstalteten. Auf dieser Basis war die materielle Versorgung zunächst einigermaßen sichergestellt. Dann allerdings ab Winter 1945/46 war damit zunehmend Schluss und es herrschte Hungersnot und Hamsterkäufe waren an der Tagesordnung und suchten die mangelnde öffentliche Versorgung zu kompensieren.

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Erst wurde die Lage besser, dann ging es steil bergab?

Wenige Monate nach dem Ende des Krieges verschlimmerte sich die Lage, weil die bisherigen Systeme nicht mehr funktionierten oder wiederhergestellt waren. Es brauchte Jahre, bis die Versorgung – und das hieß neben Lebensmitteln vor allem Wasser, Strom und Heizung – wiederhergestellt war, das war erst 1947/48 der Fall. Man kann insgesamt über Deutschland sagen, die Zeit von Stalingrad bis zur Währungsreform war die eigentliche Notzeit im Bewusstsein der Deutschen. Vorher ging es ihnen materiell unter anderem durch Ausplünderung des besetzten Europas prima, aber nach dem Krieg kamen die eigentlichen materiellen Nöte zu den zerstörten Städten hinzu, von den psychischen ganz zu schweigen.

Wie ging man nach dem Krieg mit den alten Eliten um?

Die Amerikaner und die Briten in Köln legten zunächst großen Wert darauf, dass keine NS-Funktionäre beim städtischen Wiederaufbau mitmachten. Es war dann allerdings so, dass man die Spezialisten, von der Polizei angefangen, zu brauchen meinte. Auf diese Art und Weise kamen Parteimitglieder doch wieder rein. Die alte Elite, die Spitzen also, war in der Tat abgetaucht, wie der Gauleiter Grohé. Sie verschwanden aus der Öffentlichkeit, tauchten dann aber im Zivilleben wieder auf und wollten von nichts gewusst haben. Die Spitzen der NS-Eliten waren zunächst weg. Es gab zwar für führende Nationalsozialisten gerade bei den Amerikanern automatische Verhaftungen. Aber die flächendeckende Entnazifizierung schaffte genau das nicht, was sie vorhatte, nämlich die Schwerbelasteten von den öffentlichen Ämtern fernzuhalten. Es gab das Prinzip des sogenannten Persilscheins, des gegenseitigen Weißwaschens.

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Wie war der Umgang der Alliierten mit den Kölnern?

Der amerikanische Oberbefehlshaber Colonel Patterson war ein gut ausgebildeter Mann für die Aufgabe, streng, bemühte sich aber, die Dinge wieder in Gang zu bringen. Der britische Stadtkommandant ab Juni 1945 war um einiges strenger. Es ging darum, die Notsituation der zerstörten Stadt und das Ziel mit der Naziherrschaft aufzuräumen, in Einklang gebracht werden sollten. Das war eine Sache, die die Kölner nur sehr schwer verstanden. Sie folgten der Vorstellung, dass der Krieg doch nun vorbei sei und der Wiederaufbau Vorrang haben müsse. Dass es einmal Nationalsozialisten gegeben hatte oder man selbst einer gewesen sei, das wollten die meisten nicht mehr wissen.

Zur Person

Jost Dülffer, geboren 1943, ist emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Universität zu Köln. Aus seiner Feder stammen die Bücher: „Europa im Ost-West-Konflikt“, „Frieden stiften – Deeskalations- und Friedenspolitik im 20. Jahrhundert“ sowie „Geheimdienst in der Krise – Der BND in den 1960er Jahren.

Köln wurde wie andere Städte massiv bombardiert. Blickt man aktuell auf Syrien, würde man das als Kriegsverbrechen bezei chnen. Auf der anderen Seite haben Deutsche Städte wie Rotterdam bombardiert.

Das Bombardement von Städten fängt mit den ersten Kriegstagen an, als polnische Städte wie Wielun oder dann Warschau dem Erdboden gleichgemacht wurden. Dieses Bombardement von Städten geht von den Deutschen aus. Für die Briten und Amerikanern machte es auch noch zum Kriegsende Sinn, weil zum Beispiel Köln ein Verkehrsknotenpunkt ersten Ranges war. Und genau deswegen, damit man nicht um die Brücken und den Rhein kämpfen musste, bombardierte man Köln. Der britische General und spätere Feldmarschall Arthur Harris entwickelte darüber hinaus die Doktrin, dass man die Moral der Bevölkerung durch Terrorbombardement brechen könne. Das spielte seit 1941/42 eine Rolle, so auch noch zu Kriegsende in Köln eine Rolle, der bekannteste Fall ist Dresden im Februar 1945 geworden. Das war auch völkerrechtlich problematisch und erfüllte seinen Zweck nicht; dafür sorgte auch der Terror des Regimes.

Die Deutschen gaben nicht auf, im Gegenteil.

Weil es die Loyalität gab, aber auch den Terror, der alles abweichende Verhalten sanktionierte, so dass die Deutschen und hier die Kölner in dieser Zwickmühle keinen Ausweg sahen, sondern nur ausharren oder fliehen konnten, etwa in Teile des Bergischen, um diesem Krieg zu entgehen. Es gab kleinere, aber keine entscheidende Widerstandsgruppe, die in der Lage gewesen wäre, diesen Krieg zu beenden.

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