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Interview zur Stimmung in NRW„Das ist ein Alarmzeichen für die Parteien-Demokratie“

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Professor Thomas Poguntke

Köln – Politikwissenschaftler Thomas Poguntke von der Universität Düsseldorf sieht große Skepsis bei den Bürgern. Im Interview spricht er über die Folgen der anhaltenden Krisensituation und die Verunsicherung der Menschen.

Herr Professor Poguntke, Sie verfolgen den „NRW-Check“ schon geraume Zeit. Was fällt Ihnen diesmal besonders auf? Thomas Poguntke: Am bemerkenswertesten finde ich, dass ein erheblicher Teil der Bürger auch nach der Landtagswahl zu verschiedenen Problemen des Landes sagt, keine Partei könne sie vernünftig lösen. Das ist und bleibt ein Alarmzeichen für die Parteien-Demokratie und deren Funktionieren.

Passt dazu der Befund, dass die Bevölkerung die neue Regierung kaum besser beurteilt als die alte, die sie erst im Mai abgewählt hat?

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Sie dürfen nicht vergessen, dass die stimmenstärkste Koalitionspartei, die CDU, nach wie vor an der Macht ist, teils sogar mit demselben Personal. Das bedeutet schon einmal ein Stück Kontinuität auch in der Wahrnehmung des Regierungshandelns. Überraschend ist dann schon eher, dass die Grünen bislang nur relativ wenig Profil gewinnen konnten.

Warum ist das so?

Das dürfte primär an der anhaltenden außergewöhnlichen Krisensituation liegen, mit der wir es in Deutschland zu tun haben. Sie schränkt den Spielraum für landespolitische Aktivitäten erheblich ein, was dann auch erklärt, dass Mona Neubaur als Vize-Ministerpräsidentin noch nicht so sichtbar geworden ist. Vieles, was die Menschen jetzt am meisten bedrängt, ist Bundes-, Europa- oder gar Weltpolitik, deren Folgen eine Landesregierung kaum beeinflussen kann.

Für Corona gilt das eher nicht.

Da überrascht mich das hohe Maß an Skepsis der Menschen, was ein erfolgreiches Manövrieren des Landes in einer etwaigen neuen Welle angeht. Ich erkläre mir das so, dass eine doch ausgeprägte unterschwellige Besorgnis einhergeht mit der Wahrnehmung eines Mangels an klaren Regeln. Mit ihrer Vorgabe, dass Schulleitungen künftig selbst über Schließen oder Offenhalten entscheiden dürfen, hat die Landesregierung das Problem scheinbar nach unten durchgereicht. Das wird viele Eltern verunsichern.

Ist der deutliche Popularitätsgewinn der AfD – gerade auch im Vergleich zum schwachen Ergebnis der Partei in der Landtagswahl – Vorbote gesellschaftlicher Erschütterungen durch die Krisenphänomene wie Inflation und mögliche Energieknappheit?  

Das sehe ich nicht so dramatisch. Im „NRW-Check“ kommt ja angesichts eines weit entfernt liegenden Wahltermins mehr eine Stimmung zum Ausdruck als eine ganz konkrete Wahlabsicht. Dass extreme Parteien auch von extremen Krisen profitieren, ist zunächst ein normaler Vorgang. Der Pegelausschlag zugunsten der AfD ist da momentan noch nicht einmal besonders heftig. Nichtsdestotrotz müssen die Regierenden auf der Hut sein.

Weitere Auffälligkeiten?

Ministerpräsident Hendrik Wüst hat sich in Bekanntheit und Reputation nach vorn gearbeitet. Weil er keine größeren erkennbaren Fehler gemacht hat, war das allerdings auch zu erwarten.

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Auch hier die Frage, warum?

Zum einen, weil er in der Zeit vor der Landtagswahl nur ein paar Monate hatte, um nach seinem Wechsel aus dem Ministerposten auf den Sitz des Regierungschefs Statur zu gewinnen. Zum anderen kommt in jedem Bundesland dem Ministerpräsidenten oder der Ministerpräsidentin kraft Amtes ein Zustimmungs-Vorschuss zu, den er oder sie relativ leicht einlösen kann.

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