Irrtum der PolizeiBonnerin in Tunesien erschossen – Schwester kämpft um Aufklärung

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Repro zeigt Ahlem Dalhoumi und Schwester Sondes (v.r.)

Die Reproduktion zeigt Ahlem Dalhoumi (rechts) und ihre Schwester Sondes.

  • Polizisten erschossen die junge Bonnerin und ihre Cousine 2014 an einer Straßensperre in der Nähe der tunesischen Ortschaft Kasserine
  • Seit vier Jahren kämpft die Familie Dalhoumi darum, dass die tunesische Justiz die Todesumstände
  • Der Fall belegt einmal mehr das fragile Verhältnis zwischen Berlin und den Maghreb-Staaten in strafrechtlichen Angelegenheiten

Bonn – Sie wollte nur, dass alles wieder gut wird, wollte den zerplatzen Kopf ihrer Schwester Ahlem zusammenhalten, wollte, dass sie etwas sagte, ein Lebenszeichen von sich gab. Es war doch ihre kleine Schwester, die sie so liebte, die es verstand, mit ihrem unerschütterlichen Optimismus alle anderen mit sich zu reißen.

Da saß die Bonnerin Sondes Dalhoumi auf einer Schotterstraße nahe dem tunesischen Ort Kasserine, wo einst ihre Familie herkam, und hielt ihre Schwester in den Armen. Blut quoll aus deren Schusswunde am Hinterkopf. „Ich bin getroffen“, hatte sie noch geflüstert und war dann seitlich auf dem Beifahrersitz zusammengesackt. Eine Polizeikugel hatte das Leben der Deutschen Ahlem Dalhoumi im August 2014 ausgelöscht. Eine junge attraktive Frau mit tunesischen Wurzeln, in Bonn geboren, in Bielefeld Jura studiert, die noch so viel in ihrem Leben erreichen wollte.

Sondes Dalhoumi ist damals den VW-Golf mit Bonner Kennzeichen gefahren. „Ich wollte, ihren Kopf wieder zusammenfügen, dass sie lebt, aber es war so, als zerrann ihr Leben unter meinen Händen“, sagt sie. Ein weiterer Schuss tötete ihre Cousine Ons, die ebenfalls im Auto saß, als eine Polizeieinheit aus den Gebüschen herausstürmte und das Feuer auf den Wagen eröffnete. Angeschossen wurde die zweite Cousine Yasmin Soula aus dem Fahrzeug geborgen.

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Für kurze Zeit kamen die Schützen in Haft

Die Polizei wird später behaupten, das Auto habe eine Straßensperre nicht beachtet. Da man die Insassen für Terroristen hielt, hätten die Beamten gefeuert. Die Aussagen der Überlebenden legen genau das Gegenteil nahe. Ein Überfall aus dem Nichts, in dem Polizisten wild um sich feuerten. Zeitweilig wurden die Schützen inhaftiert, doch längst befinden sie sich wieder auf freiem Fuß.

„Wie auch in Deutschland, tut sich die tunesische Justiz sehr schwer, gegen ihre Polizeibeamten konsequent zu ermitteln. Nach Durchsicht der Verfahrensakte bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass mindestens ein tunesischer Polizeibeamter zwei junge Menschen vorsätzlich getötet hat“, konstatiert Abdou A. Gabbar, Kölner Anwalt von Sondes. „Bedauerlicherweise haben die deutschen Diplomaten in Tunis und das Auswärtige Amt trotz etlicher Bemühungen bisher nicht erreicht, dass den Tätern der Prozess gemacht wird.“

Seit vier Jahren kämpft die Familie Dalhoumi darum, dass die tunesische Justiz die Todesumstände ihrer Angehörigen aufklärt. Auch der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wurde eingeschaltet. Immer wieder seien die zuständigen Stellen der Bundesregierung in Tunis vorstellig geworden, hieß es in der Antwort des Ausschussvorsitzenden Marian Wendt (CDU) vom 2. Juli 2018.

Ermittlungspannen auch bei der Justiz in Deutschland

Noch im Jahr zuvor habe ein hochrangiger Beamter aus dem Haus des Außenministers Heiko Maas (SPD) den Direktor für Europa der Konsularabteilung im tunesischen Außenministerium auf die heikle Angelegenheit angesprochen. Wendts Fazit: Man werde die „strafrechtliche Aufarbeitung der Todesumstände der deutschen Staatsangehörigen Frau Dalhoumi weiterhin eng“ verfolgen.

„Das ist gut ein Jahr her, seither geschah nichts mehr, die Familie hat nichts mehr über den Fortgang der Ermittlungen gehört“, moniert der Strafverteidiger Gabbar. „Es scheint so, als hätten sich die deutsche Justiz sowie die Bundesregierung damit abgefunden, dass in dieser Angelegenheit nichts mehr passiert.“

Zumal sich die hiesige Justiz eine Riesenpanne erlaubte. So hatten die tunesischen Strafverfolger per Rechtshilfeersuchen weitere Beweismittel angefordert. Es ging um die Vernehmungen der Überlebenden sowie um Arztberichte, Röntgenbilder, Labortests und um die Kugelsplitter, die man aus der Schulter der angeschossenen Yasmin herausoperiert hatte.

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Diese Dinge sollten über das Bundesamt für Justiz nach Tunis gelangen. Dort aber kamen die Überreste des Projektils gar nicht an. Der Plastikbecher mit den Schrapnellen sei zerbrochen gewesen, heißt es in einem Vermerk. In ihrer Not baten die deutschen Ermittler den operierenden Arzt um ein Gedächtnisprotokoll über die herausoperierten Kugelfragmente. Ein fragwürdiges Beweisstück. Auch weitere Unterlagen wurden zunächst nicht übersandt.

„Von den vier von tunesischer Seite erbetenen Rechtshilfehandlungen ist nur ein Punkt (Vernehmung von Sondes Dalhoumi) erledigt worden“, konstatierte eine Mitarbeiterin aus dem NRW-Justizministerium Ende November 2016. Kurzum: Durch Schlampereien der hiesigen Behörden geriet die Aufklärung der tödlichen Polizeiaktion in Tunesien zusätzlich ins Stocken.

Amnesty International kritisiert die tunesische Regierung

Der Fall belegt einmal mehr das fragile Verhältnis zwischen Berlin und den Maghreb-Staaten in strafrechtlichen Angelegenheiten. Zumal gerade Tunesien nicht nur seit dem Anschlag auf das Bardo-Museum im März 2015 und ein Strandhotel in Sousse drei Monate später eine harte Gangart gegen Ableger der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) und Al-Kaida im Maghreb an den Tag legt.

Dabei scheint die Wahl der Mittel mitunter westlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen klar zu widersprechen. Ein Grund, warum Organisationen wie Amnesty International immer wieder Menschenrechtsverletzungen durch Strafverfolgungsbehörden in dem Maghreb-Staat anprangern.

Die anhaltenden Wirtschaftsprobleme trieben viele junge Muslime in die Arme radikaler Einpeitscher. 3000 Tunesier haben sich im Laufe der vergangenen sechs Jahre dem IS in Syrien und dem Irak angeschlossen, so viele wie in keinem anderen arabischen Staat. Extremisten wie der Berliner Attentäter Anis Amri oder der mutmaßliche Kölner Bio-Bombenbauer Sief Allah H. gingen nach Europa, um Anschläge zu verüben.

Auswärtiges Amt warnt vor Gefahren für Urlauber

Doch auch im Land selbst wächst die Terrorgefahr durch die zunehmen Zahl von Rückkehrern nach dem Niedergang der Kalifatsbrigaden in der Levante. Im Juli 2018 hatte das Auswärtige Amt vor einem „erhöhten Risiko terroristischer Anschläge“ für Urlauber in Tunesien gewarnt. Vor allem von „den Gebirgsregionen nahe der algerischen Grenze, im Bereich von El Aioun bis Kasserine, sollte aufgrund von möglichen bewaffneten Auseinandersetzungen mit dort operierenden Terrorgruppen abgesehen werden“, empfahlen die Ministerialen.

In Kasserine starben Ahlem Dalhoumi und ihre Cousine Ons. Aber nicht durch die Hand von Terroristen, sondern durch Polizisten. Sondes Dalhoumi, 31, wischt sich nervös übers Haar, als sie jenen grauenhaften Angriff schildert. „Ich bin wegen der vielen Straßenlöcher nur im Schritttempo gefahren, dann stürmten etwa fünf dunkelgekleidete Männer heran.“ Der erste Schuss fiel. Sondes dachte an einen Überfall und stoppte den Wagen: „Weitere Schüsse schlugen im Auto ein. Ahlem sank in sich zusammen. Meine Cousine Ons rührte sich nicht, da dachten wir, sie sei ohnmächtig geworden.“

Sondes Dalhoum wirkt noch immer traumatisiert

Dann habe sich ein Polizeitransporter genähert. Ein Beamter sei erschienen, und habe lapidar konstatiert. „Die da ist tot.“ Dann habe er mit einer Taschenlampe in den Wagen geleuchtet. „Die ist auch getroffen.“ Verzweifelt habe sie den Mann um Hilfe gebeten, so Sondes, um die Verletzten und Toten ins Krankenhaus zu bringen. Doch der Polizist habe sich nur abgewandt und den anderen zugewunken: „Komm, lass uns abhauen“.

Sondes Dalhoumi wirkt immer noch traumatisiert, obschon sie stark gegen die Erinnerung an die furchtbaren Geschehnisse ankämpft. Als die Studentin für Wirtschaftswissenschaften aus Tunesien zurückkehrte, mied sie monatelang die Hörsäle. „Ich konnte mich einfach nicht darauf konzentrieren und ließ mein Studium schleifen.“

Sie wollte ihrer Schwester noch so viel sagen

Immer wieder dachte sie an Ahlem, dass sie ihr noch so viel zu sagen hätte. Manchmal griff sie zum Handy, wollte ihre jüngere Schwester anrufen, um mit ihr zu ratschen. „Aber dann wurde mir klar, dass sie ja nicht mehr da ist.“ Inzwischen hat Sondes geheiratet und ihr Studium abgeschlossen.

Sie sucht jetzt einen Job. „Das Leben muss weitergehen, auch wenn die Erinnerungen mich nicht in Ruhe lassen“, sagt die junge Frau. „Eines Tages aber“, ergänzt sie, und davon sei sie überzeugt, „eines Tage wird der Tod meiner Schwester dann doch noch gesühnt.“

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