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Anschlag in Berlin„Vor solchen Tätern wird man sich nie ganz schützen können“

Lesezeit 4 Minuten
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Ermittler arbeiten auf der Berliner Stadtautobahn A100 in Höhe der Ausfahrt Alboinstraße. 

  • Die Sicherheitsbehörden greifen heute schneller zu, wenn Islamisten Terrorpläne schmieden.
  • Doch leider gilt: Wer sich nicht in einem Netzwerk bewegt oder im Internet Bombenbau-Anleitungen herunterlädt, bleibt womöglich unerkannt.
  • So wie jetzt in Berlin.

Berlin – Ein Iraker, der in seinem Heimatland nach bestandener Prüfung fröhlich mit anderen Studenten posiert. Jung und voller Hoffnung. Knapp fünfeinhalb Jahre später macht er auf der Berliner Stadtautobahn gezielt Jagd auf Motorradfahrer und rammt sie, bevor er von einem Polizisten festgenommen wird.

Eines der Opfer ist ein Berliner Feuerwehrmann. Er ist mit seinem Motorrad auf dem Heimweg von der Arbeit, als er wie aus dem Nichts getroffen wird. Bei dem gezielten Angriff am Dienstagabend gegen 18.30 Uhr erleidet er schwerste Verletzungen an Kopf und Wirbelsäule und muss notoperiert werden.

Am nächsten Morgen spricht die Staatsanwaltschaft von einem islamistischen Anschlag. Der 30-jährigen Iraker habe „quasi Jagd gemacht“ auf Motorradfahrer, heißt es. Die Kollisionen seien als gezielte Anschläge zu werten. Sechs Menschen sind verletzt, drei davon schwer.

Warum macht der Fahrer „Jagd“ auf Motorradfahrer?

Der Täter rammt auf seiner Fahrt auf der Autobahn vom Stadtteil Wilmersdorf im Westen Berlins Richtung Osten mindestens ein Auto, streift einen weiteren Wagen, fährt den Feuerwehrmann auf seinem Motorrad an und touchierte einen Motorroller. Die Horrorfahrt endete mit einem weiteren Zusammenstoß mit einem Motorrad an der Ausfahrt Alboinstraße in Berlin-Tempelhof.

Dabei muss der Täter sein Rammmanöver mit brutaler Gewalt gefahren haben. Auf Fotos vom Tatort ist zu sehen, wie das zerstörte dunkle Motorrad quer unter der Front des Wagens eingeklemmt ist. In der Nähe liegen Trümmer – und zwei Motorradhelme. Warum Motorradfahrer? Es bleibt zunächst unklar.

Vor seiner Festnahme breitet der auch mit einem Messer bewaffnete Täter am Tatort einen Gebetsteppich aus, wie Berlins Generalstaatsanwältin Margarete Koppers später berichtet. Auf Arabisch ruft er, dass alle sterben würden. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) erklärt am Tag danach: „Die gestrigen Ereignisse zeigen uns sehr schmerzhaft, wie verletzlich unsere freie Gesellschaft ist.“ Und: Berlin stehe „weiterhin im Fokus des islamistischen Terrorismus“.

Mutmaßlicher Täter reiste durch ganz Europa

Im Sommer 2015 begann der mutmaßliche Täter eine monatelange Irrfahrt. Es ist das Jahr in dem Hunderttausende Asylbewerber nach Deutschland kommen. Auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht der Iraker mit dem runden Gesicht Fotos, die ihn in der Türkei zeigen, in Griechenland, Finnland, Schweden, Dänemark und schließlich in Berlin, wo er bis heute lebt. Er schreibt über seine Freunde und die Mutter, die er vermisst, postet Bilder von Autos und Tieren.

Wenige Stunden vor der Angriffsserie auf der Stadtautobahn postet der heute 30-Jährige Fotos von einem schwarzen Opel. Dazu wirre Sprüche, in denen es um Gott geht, und das Wort „Märtyrer“. Das kann man als Ankündigung eines islamistisch motivierten Anschlags werten oder auch nicht. Eindeutig ist die Formulierung aus Sicht von Experten nicht.

Mann soll Kontakt zu islamistischem Gefährder gehabt haben

Aber schon wieder Berlin. Im Dezember 2016 hatte hier der abgelehnte tunesische Asylbewerber Anis Amri zwölf Menschen getötet. Der Islamist war mit einem gestohlenen Lastwagen über den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gerast. Hinterher kam heraus, dass er tief in die radikale Salafisten-Szene verstrickt und regelmäßiger Gast in einer von den Sicherheitsbehörden beobachteten Moschee war.

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Der mutmaßliche Täter von der Stadtautobahn soll in Berlin zwar einen Mann gekannt haben, der als islamistischer Gefährder eingestuft ist. Wie eng diese Bekanntschaft war und ob er womöglich von dem anderen indoktriniert wurde, ist bisher nicht bekannt. Auf seinen Fotos trägt der Iraker anders als bei Salafisten üblich keinen langen Bart und keine knöchelfreie Hosen. In seinem Facebook-Profil gibt es auch keine Sympathiebekundungen für Extremisten oder die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

„Vor solchen Tätern wird man sich nie ganz schützen können“

Anfang Juli dieses Jahres zählt die Polizei bundesweit 629 sogenannte islamistische Gefährder. Als solche bezeichnet sie Menschen, denen sie eine politisch motivierte Straftat von erheblicher Bedeutung zutraut – etwa einen Terroranschlag. Die Zahl ist zwar zuletzt leicht gesunken. Es sind aber nach Einschätzung von Innenpolitikern immer noch zu viele potenzielle Gewalttäter, um sie alle rund um die Uhr lückenlos zu überwachen.

Die Sicherheitsbehörden hätten aus dem Fall Amri gelernt, sagt Klaus-Dieter Gröhler. Der CDU-Bundestagsabgeordnete ist Vorsitzender eines Untersuchungsausschusses, der mögliche Behördenfehler rund um den Anschlag auf dem Breitscheidplatz aufklären soll. Etwa laufe bei der Einschätzung möglicher Gefährder heute vieles besser, auch in der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten. Die Sicherheitsbehörden verweisen auch auf mehrere Festnahmen und verhinderte Anschläge in den vergangenen Jahren.

Doch Gröhler betont auch, dass die Beurteilung der Gefährlichkeit Einzelner „absolut schwer“ sei, vor allem wenn jemand nicht Teil eines Netzwerks sei und in sozialen Medien keine Sympathie für Terrorgruppen bekunde. „Vor solchen Tätern, die ein Auto oder ein Messer verwenden, wird man sich nie ganz schützen können.“ (dpa)

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