Job-PortalWie der Ex-Rose-Bikes-Chef ukrainischen Geflüchteten hilft

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Erfassung von Flüchtlingen in Mecklenburg-Vorpommern

Erfassung von Flüchtlingen in Mecklenburg-Vorpommern

Als die Ukraine von Russland überfallen wurde, musste Marcus Diekmann sofort an sein dortiges Ex-Au Pair denken. „Ich habe sie, Familie und Bekannte eingeladen, zu uns zu kommen“, erzählt der 42-jährige, der bis Ende 2021 Chef des Fahrradherstellers Rose Bikes war. Ohne Job und Perspektive wage sie den Schritt nicht, hat die 25-jährige Lehrerin geantwortet.

Eine Stunde später hatte sich Diekmann mit drei digitalerfahrenen Freunden verabredet, eine Online-Jobbörse für ukrainische Flüchtlinge aus der Taufe zu heben. Das war vor rund vier Wochen und die Geburtsstunde von Jobaidukraine.com. „Wir haben bislang 1.500 Einstellungsgespräche vermittelt“, freut sich Diekmann. Deutsche Firmen hätten rund 15.700 Jobs eingestellt, täglich kämen bis zu 1.000 weitere dazu.

Bald mehr als eine Million Seitenaufrufe

Die ukrainische Lehrerin ist mittlerweile in Deutschland und arbeitet bei der für alle Seiten kostenlosen Online-Jobbörse mit. Das tun auch rund 60 Ehrenamtliche. „Firmen wie Deutsche Bank, SAP oder Shopware haben kostenfrei IT-Personal abgestellt, um die Seite zu verbessern“, erzählt Diekmann geradezu euphorisch. Demnächst werde Jobaidukraine die Schwelle von einer Million Besuchern überschreiten - vier Wochen nachdem die zweisprachige Seite (Englisch und Ukrainisch) online gegangen ist.

Deutsche Firmen suchen dort nach ukrainischem Personal vor allem in fünf Bereichen, erzählt der Spontangründer. Das sind IT-Berufe, Pflege, Handel, Gastronomie und Handwerk. Typische Mangelberufe seien das in Deutschland. Die Geflüchteten hätten hier einiges zu bieten. „Angebot und Nachfrage passen sehr gut zusammen“, findet Diekmann.

Nicht damit gerechnet hätte er, dass auch die Bereiche Pflege und Handwerk, denen man in Deutschland keine übergroße Nähe zum Digitalen nachsagt, so schnell reagiert haben. Demnächst soll es eine weitere Rubrik geben, wo Geflüchtete selbst ihre Dienste anbieten.

Auch die Politik lobt der Manager für derzeit unkompliziertes Verhalten gegenüber Arbeitssuchenden aus der Ukraine. Alle von Unternehmen bis Behörden seien diesmal sehr pragmatisch. „Das hat es in Deutschland so noch nie gegeben“, schwärmt der Unternehmer über geändertes Verhalten in Zeiten großer individueller Not.

Die Geflüchteten seien sehr arbeitswillig. Erst ein Job, dann eine Wohnung sei die Parole auch bei Frauen, die allein mit ihren Kindern aus dem Kriegsgebiet geflohen sind. Kinderbetreuung sei natürlich ein Problem. Gleiches gilt für Sprachbarrieren. Viele Ukrainer sprechen weder Deutsch noch Englisch. Das ist ein Punkt, wo Diekmann Verbesserungsbedarf seitens der Politik sieht.

„Wir brauchen Online-Sprachkurse“, fordert er. Digital könne ein Lehrer vielen Flüchtlingen auf einmal Sprachkenntnisse beibringen. Wie viele Vorstellungsgespräche in Anstellungen gemündet haben, weiß Diekmann nicht genau. „Aber ich habe schon viele Mails von Ukrainerinnen und Ukrainern erhalten, die schon einen Arbeitsplatz haben“, erzählt er.

Psychologische Online-Beratung gestartet

Grundsätzlich müsse man geduldig und empathisch mit neuen Arbeitskräften aus der Ukraine sein und Mut zusprechen. Viele hätten im Kriegsland einen Partner, Familie und Freunde zurückgelassen, mit denen sie regelmäßig telefonieren. „Wenn dann mal jemand nicht ans Telefon geht, ist sofort Panik“, beschreibt Diekmann seine Erfahrungen. Deshalb hat er jetzt auch eine psychologische Online-Beratung namens Doqtor für Ukrainerinnen und Ukrainer ins Leben gerufen. Dort stünden nun seit wenigen Tagen ukrainischsprachige Therapeuten parat.

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Über die Dauer seines Engagements macht sich der Helfer keine Illusionen. „Der Krieg ist nicht schnell vorbei“, fürchtet er. Viele Städte in der Ukraine seien so zerbombt, dass eine Rückkehr in absehbarer Zeit schon von daher kaum möglich sei. Aber selbst wenn Ukrainer eines Tages keine Hilfe mehr benötigen, will Diekmann die nun geschaffenen Strukturen fortführen. „Flüchtlinge gibt es immer“, bedauert er. Die Online-Jobbörse und Online-Seelsorge will er jedenfalls über den Krieg in der Ukraine hinaus für Bedürftige offenhalten. (RND)

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