Kampf gegen die Corona-PandemieKein Impfneid auf sozial Benachteiligte, bitte!

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Impfaktion_Chorweiler

Die Impfaktion in Köln-Chorweiler Anfang Mai

Das Impfen an sozialen Brennpunkten wie in Köln-Chorweiler hat viele Vorteile: Erstens die Corona-Inzidenz, die unser aller Leben derzeit bestimmt, sinkt. Am 28. April lag sie in Chorweiler bei 543, am 6. Mai bei 177. Zweitens steht es einem reichen Sozialstaat wie Deutschland gut an, wenn Benachteiligte in beengten Wohnverhältnissen ebenso Impfstoffe erhalten wie Eigenheimbesitzer mit ausladendem Garten.

Drittens trägt es dazu bei, klassenspezifische oder rassistisch grundierte Vorurteile nicht weiter zu verstärken, schließlich leben an sozialen Brennpunkten nach wie vor viele Menschen, deren Familien noch lebendige Wurzeln in einem anderen Staat haben.

Der Anteil Covid-19-Erkrankter aus sozialen Brennpunkten in den Krankenhäusern ist Medizinern zufolge besonders hoch. Hauptgrund sind sozioökonomische Faktoren wie hohe Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, schlechte Wohnverhältnisse, mangelnde Bildung oder defizitäre Gesundheitsvorsorge.

Impfkampagne löste Verbreitung von Vorurteilen aus

Trotzdem wurden in den vergangenen Wochen latent oder manifest Vorurteile und falsche Erzählungen zur Begründung verbreitet: Die Menschen seien disziplinlos, hieß es. Sie schätzten die Gesetze dieses Landes – speziell in Bezug auf den Infektionsschutz aber auch im Allgemeinen – gering. Besonders populär ist der Verweis auf unzureichende Deutschkenntnisse.

Meistens ist das jedoch nicht ausschlaggebend. Wir haben eine weltweite Pandemie. Information sind in allen Sprachen verfügbar. Niemand (abgesehen von Nordkoreas Kim Jong-Un, Brasiliens Jair Bolsonaro und dem verflossenen Donald Trump) bestreitet staatlicherseits die Notwendigkeit von Corona-Maßnahmen, nicht mal die Regierungen Russlands, Chinas, der Türkei, Syriens oder Irans.

Dennoch gibt es an sozialen Brennpunkten vermutlich vermehrt Menschen, die eine innere Distanz zum Staat und seinen Gesetzen pflegen und Corona-Verschwörungslügen anhängen. Warum? Es fehlt ihnen vor allem an Vorbildern aus den eigenen Reihen. Wenn ein Professor Christian Drosten oder ein Bundesgesundheitsminister Jens Spahn etwas sagt, kommt es bei ihnen oft nicht an.

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Nicht etwa, weil sie deren Botschaften auf der Sachebene nicht verstünden, sondern weil es auf der Beziehungsebene keine Bezugspunkte gibt. Privilegierten Personen wie Drosten oder Spahn wird per se unterstellt, kein Interesse an benachteiligten Gruppen zu haben und ihnen gegenüber vorurteilsbehaftet zu sein: „Wann hätten die da oben schon mal was für uns getan? Bist du arm, bist du auf dich gestellt.“

Vorurteile sind auch unter wirtschaftliche Benachteiligten verbreitet

Das denken viele. Und deshalb ist es ihnen egal, was die Drostens und Spahns sagen, oder sie glauben sogar absichtlich das Gegenteil. Zum Abbau solcher Vorurteile sind Impfaktionen an sozialen Brennpunkten zusätzlich sinnvoll.

Bei manchen Menschen spielen in der Zuwanderungsgeschichte Herkunftsländer eine Rolle, die autoritär regiert werden. Politik und Obrigkeiten haben bei ihnen per se kein gutes Image. Wenn hiesige Verantwortliche dann noch als rassistisch oder fremdenfeindlich wahrgenommen werden, schotten sich die Benachteiligten lieber ab, als sich mit deren Standpunkten abzugeben.

Mit dem Übersetzen von Flyern allein ist es daher nicht getan. Es braucht Vorbilder aus den eigenen Reihen: Respektspersonen und Multiplikatoren, die vor Ort anerkannt sind. Das können zum Beispiel Vereinsvorsitzende, Trainer, Streetworker, Imame, Pfarrer oder inoffizielle Wortführer einzelner Gruppen sein. Sie muss man erreichen und einbinden. Das gilt nicht nur für eine Lage wie die Pandemie, sondern generell für Bemühungen im Kontext sozialer Arbeit.

Klar, Impfaktionen wie in Chorweiler können den Impfneid befeuern. Die Politik muss aber darüber stehen. Wer neidisch auf Menschen aus sozialen Brennpunkten ist, gehört in der Regel zu den Bessergestellten. Wenn diese dann einmal das Nachsehen haben, sollten sie das verkraften und die Infektionsschutzmaßnahmen noch eine Weile einhalten können.

Solche Impfaktionen sind ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit und Solidarität. Deshalb sind auch zügige Impfaktionen unter Wohnungs- und Obdachlosen besonders wichtig oder in Sammelunterkünften von Geflüchteten.

Dass Stadt und Landesregierung nur eine Woche nach dem PR-trächtigen Start der Sonderimpfungen in Chorweiler die weitere Impfstoffversorgung für die Aktion zuletzt nicht garantieren konnten, ist nicht nur ein Armutszeugnis, sondern stellt die vielen Vorteile der gesamten Aktion auf den Kopf.

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