Kandidat der US-DemokratenJoe Biden und die schweren Vorwürfe der Frauen

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Joe Biden

Der Kandidat: Joe Biden von der demokratischen Partei Foto: afp

  • Joe Biden wird als Kandidat der US-Demokraten bei der Präsidentenwahl gegen Donald Trump antreten.
  • Doch Biden steht in der Kritik: Mehrere Frauen werfen ihm sexuelle Übergriffe vor.
  • „Er hat im Laufe seiner Karriere eine Reihe falscher Aussagen gemacht", sagt Michele Dauber von der juristischen Fakultät der Universität Stanford.
  • Die Auswirkungen auf den Wahlkampf und die Person Biden.

Washington – Joe Biden ist ein Mann, dessen Glaubwürdigkeit sehr zweifelhaft ist“, sagt Michele Dauber. Sie lehrt an der juristischen Fakultät der Universität Stanford und ist eine der führenden Expertinnen für Fälle sexueller Übergriffe. „Er hat im Laufe seiner Karriere eine Reihe falscher Aussagen gemacht. Er hat zugegeben, dass er als Student eine in Teilen abgeschriebene Arbeit eingereicht hat. Seine Bewerbung für die demokratische Präsidentschaftskandidatur im Jahr 1988 hat er auch deshalb zurückgezogen, weil herausgekommen ist, dass er eine Rede des britischen Labour-Politikers Neil Kinnock plagiiert hat. Ich sage nicht, dass dies Biden zu einem Vergewaltiger macht“, sagte sie im Interview mit dem „Spiegel“. „Ich sage: Bevor man Biden einen Persilschein ausstellt, sollte man sich die Frage stellen: Kann man ihm glauben?“

Viele Feministinnen sind zurzeit fassungslos darüber, wie schnell Politikerinnen der Demokraten, die vor Kurzem an der Spitze der #MeToo-Bewegung mitmarschiert sind, nun Grundsätze über Bord werfen. Doch Biden ist im Augenblick die Hoffnung des liberalen Amerikas, Donald Trump aus dem Weißen Haus im Herbst dieses Jahres zu verjagen. Ausgerechnet ihm werden nun ähnliche Vorwürfe gemacht wie vor vier Jahren Trump.

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Tara Reade beschuldigt ihn eines sexuellen Übergriffs aus dessen Zeit als US-Senator. Reade, die in den 90er-Jahren im Büro des damaligen Senators Joe Biden gearbeitet hatte, erklärte, dieser habe sie in einem unbeobachteten Moment an die Wand gedrückt und seine Finger in ihre Vagina eingeführt. Auf Twitter schrieb sie: „Ich wurde von Joe Biden vergewaltigt“. Und: „Es gibt keine Rechtfertigung für eine institutionalisierte Vergewaltigungskultur.“

Große Recherchen, kaum Belege

Erstmals publik gemacht hatte sie diesen Vorwurf vor mehreren Wochen in einem Podcast. Große US-Medien, darunter die „Washington Post“ und die „New York Times“, starteten daraufhin Recherchen, sprachen mit Reade, Weggefährten der Frau und damaligen Mitarbeitern von Biden. Eindeutige Belege für ihre Darstellung fanden sie nach eigenen Angaben aber nicht.

So will sich Reade mehreren Angehörigen und früheren Arbeitskollegen anvertraut haben – unter anderem ihrer Mutter, die allerdings inzwischen gestorben ist. Ihr Bruder wiederum, dem sie ebenfalls von dem Vorfall erzählt hatte, bestätigte die Schilderung laut der „Washington Post“ nicht auf Anhieb. Nach Angaben der Zeitung sagte eine Person aus Reades Umfeld, die heute 56-Jährige habe damals von dem Zwischenfall berichtet. Diese Person wollte jedoch anonym bleiben. Angestellte aus Bidens Senatsbüro allerdings, denen sich die Frau ebenfalls anvertraut haben will, haben ihre Schilderung demnach ausdrücklich zurückgewiesen. 

Biden Reade

Ein Bild aus dem Jahr 1993 zeigt Joe Biden und Zoe Baird

Bereits im vergangenen Frühling, kurz vor der Verkündung seiner Präsidentschaftskandidatur, war Biden mit Vorwürfen mehrerer Frauen konfrontiert gewesen, wonach er diesen gegen ihren Willen zu nah gekommen sei – etwa durch ungebetene Liebkosungen wie ein Tätscheln des Oberschenkels oder einen Kuss auf den Hinterkopf. Zunächst hatte die demokratische Ex-Politikerin Lucy Flores aus Nevada in einem Beitrag für das Magazin „New Yorker“ geschrieben, dass sich Biden ihr vor einem gemeinsamen Auftritt 2014 von hinten genähert, ihre Schultern berührt und dann ihren Hinterkopf geküsst habe.

Wenige Tage später hatte Amy Lappos, eine frühere Mitarbeiterin eines demokratischen Abgeordneten, berichtet, dass Biden bei einer Veranstaltung im Jahr 2009 mit beiden Händen ihr Gesicht umfasst und seine Nase an ihrer gerieben habe. Zu den Frauen, die sich damals zu Wort meldeten, gehörte auch Reade.

Biden und die Praktikantin 

Vail Kohnert-Yount sagte, sie sei 2013 Praktikantin im Weißen Haus gewesen, als Biden Vizepräsidentin unter dem damaligen Präsidenten Barack Obama war. Sie verließ gerade den Keller des Westflügels, als sie gebeten wurde, zur Seite zu treten, um Platz für Biden zu machen, der zu ihrer Begrüßung herüberkam und ihr die Hand schüttelte.

„Dann legte er seine Hand auf meinen Hinterkopf und drückte mir seine Stirn an die Stirn, während er mit mir sprach. Ich war so schockiert, dass es mir schwer fiel, mich auf das zu konzentrieren, was er sagte. Ich erinnere mich, dass er mir sagte, ich sei ein »hübsches Mädchen«“, sagte Kohnert-Yount der Post.

Die ehemalige Praktikantin sagte, dass ihr Bidens Bemerkungen über ihr Aussehen unangenehm und peinlich waren, „obwohl es als Kompliment gemeint war“, und dass sie seine Absichten für gut hielt. „Ich betrachte meine Erfahrung nicht als sexuellen Übergriff oder sexuelle Belästigung“, sagte sie. „Aber es war die Art von unangemessenem Verhalten, durch das sich viele Frauen am Arbeitsplatz unbehaglich und ungleich fühlen. „Die Grenzen des Schutzes des persönlichen Raums wurden neu gezogen, und ich verstehe es“, sagte er. „Ich werde viel aufmerksamer sein. Das ist meine Verantwortung.“

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Sofie Karasek sagte, sie habe Biden nach der Oscar-Verleihung 2016 kennengelernt, wo sie Teil einer Gruppe von Überlebenden sexueller Übergriffe gewesen sei, die auf der Bühne aufgetreten seien. Biden umklammerte ihre Hände und legte seine Stirn gegen ihre, eine Szene, die damals fotografiert wurde.

Karasek sagte der Post, sie fühle sich unbehaglich und unwohl, obwohl sie Bidens Unterstützung schätze. Sie sagte, dass er in seinem letzten Video „immer noch nicht in der Weise die Verantwortung übernommen hat, wie es nötig wäre“. Eine weitere Frau, Ally Coll, sagte, sie habe Biden kennengelernt, als sie während des Präsidentschaftswahlkampfes 2008 als Mitarbeiterin der Demokraten tätig war.

Er drückte ihre Schultern zusammen und lobte ihr Lächeln, und Coll sagte, er habe sie „für einen Schlag zu lange festgehalten“. „Es gab einen Mangel an Verständnis dafür, wie Macht etwas, das harmlos erscheinen mag, in etwas verwandeln kann, das jemandem Unbehagen bereiten kann“, sagte sie.

In einem Video, das veröffentlicht wurde, als er sich darauf vorbereitete, eine wahrscheinliche Präsidentschaftskandidatur zu starten, versprach Biden, sein Verhalten zu ändern und vorsichtiger zu sein, wenn es darum geht, den persönlichen Freiraum zu respektieren. Er sagte, er habe schon immer sowohl Männer als auch Frauen umarmt und ihre Schultern gepackt, um eine persönliche Verbindung herzustellen, glaubt aber, dass sich die sozialen Standards geändert hätten.

In einer ersten Reaktion hatte Biden noch über seinen Sprecher mitteilen lassen, dass er sich an jegliches Fehlverhalten in seiner politischen Karriere nicht erinnern könne. In seiner politischen Laufbahn habe er unzählige „Handschläge, Umarmungen und andere Zeichen von Zuneigung“ verteilt. Dabei habe er niemals geglaubt, dass er sich unangemessen verhalten habe. Wenn er das jedoch getan habe, wolle er die Anschuldigungen respektvoll anhören.

In seiner politischen Laufbahn habe er immer versucht, eine Verbindung zu Menschen aufzubauen. „Ich denke, das ist meine Pflicht – ich schüttele Hände, ich umarme Leute“, so Biden.

Ausgerechnet Donald Trump hat seinen demokratischen Gegenkandidaten Joe Biden gegen den Vorwurf der sexuellen Belästigung verteidigt. „Da wird man plötzlich wohlhabend, berühmt und Präsident. Und dann kommen Menschen, von denen man vorher nie etwas gehört oder gesehen hat, und machen solche Anschuldigungen“, sagte der US-Präsident. Die Verteidigung ausgerechnet durch den politischen Gegenspieler Trump dürfte ein weiterer Tiefschlag für Biden gewesen sein. (dpa, red)

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