Kardinal aus Venezuela„Uns regiert eine Verbrecherbande“

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Kardinal Baltazar Porras

  • Venezuela kommt nicht zur Ruhe. Seit Monaten herrscht dort ein Machtkampf um die Präsidentschaft.
  • Kardinal Baltazar Porras erkennt Nicolás Maduro nicht als Präsidenten an.
  • Im Interview erklärt er, welche Rolle die Kirche im Konflikt spielt, und wie sie dabei helfen will, Maduro aus dem Amt zu fegen.

Herr Kardinal, wer ist der legitime Präsident Venezuelas? Kardinal Baltazar Enrique Porras Cardozo: Sicher nicht Nicolás Maduro. Seine Wahl 2018 war verfassungswidrig und irregulär. Deshalb akzeptiert ihn auch die katholische Kirche nicht als Präsidenten. Nach unserer Auffassung füllt Juan Guaidó als gewählter Präsident der Nationalversammlung die konstitutionelle Lücke – und ist damit auch Staatspräsident.

Er jetzt eine militärische Intervention der USA erwogen. Unterstützen Sie ihn hierin?

Wir Bischöfe sind strikt gegen eine gewaltsame Lösung. Das Gedankenspiel mit einer militärischen Intervention ist aber vor allem Propaganda – und zwar von allen Seiten: von den USA, von Maduro, aber eben auch von Guaidó. Eine Zeit lang war die militärische Option ganz vom Tisch, jetzt liegt sie wieder da. Das liegt daran, dass das Volk immer dringlicher eine Lösung des Konflikts verlangt. Maduros Festhalten an der Macht führt zu immer mehr Armut und Unfreiheit. Sein Regime stützt sich auf Repression, Verfolgung, Folter und Geschäfte mit dem Waffen- und Drogenhandel. Wir haben es längst nicht mehr mit einer „linken“ oder „sozialistischen“ Regierung zu tun, sondern mit einer faschistischen Verbrecherbande.

Zur Person

Baltazar Enrique Porras Cardozo, geboren 1944 in Caracas, ist Erzbischof von Mérida, Apostolischer Administrator von Caracas und Präsident der nationalen Caritas Venezuelas. Porras wurde 2016 zum Kardinal erhoben. (jf)

Aber warum setzt Guaidó auf die USA? Gelten die „Gringos“ nicht als der große Feind?

Das kommt darauf an, mit wem Sie sprechen. Es stimmt, dass die USA lange Zeit verhasst waren. Inzwischen aber träumen viele Venezolaner davon, nach Miami gehen und dem Elend in ihrem Land entkommen zu können. Die USA sind so zu einem Sehnsuchtsort geworden. Als Interventionsmacht will man die Amerikaner trotzdem nicht im Land haben. Also, die Intervention ist eine Drohkulisse, aber nicht real.

Wie stark ist der Rückhalt für Maduro im Volk?

Der Rückhalt schwindet mehr und mehr. Inzwischen sind 90 Prozent der Venezolaner gegen ihn. Was die Propaganda-Sender des Regimes an angeblichen Massendemonstrationen pro Maduro zeigen, sind Fake News. Wenn er sich zeigt, dann hinter Kasernenmauern. Er traut sich nicht mehr unter die Menschen.

Wie ist derzeit die humanitäre Situation?

Bis vor kurzem hat das Regime die Notwendigkeit humanitärer Hilfe schlichtweg geleugnet. Inzwischen darf das Rote Kreuz Hilfsgüter liefern. Kirchliche Hilfsorganisationen haben überdies schon vorher eigene Wege genutzt, um zumindest kleine Menge etwa an dringend benötigten Medikamenten ins Land zu bringen. Das geschieht auch weiter.

Wie groß ist der Einfluss der Kirche?

Die Kirche kann keine Wunder wirken. Aber sie hat Einfluss wegen des Vertrauens, das sie im Volk genießt. Entscheidend ist: Die Kirche steht an der Seite der kleinen Leute – weniger mit großen Deklarationen als mit der kleinen, alltäglichen Hilfe. Das fängt bei Essensausgaben an und reicht weiter über medizinische Versorgung, Bildungsangebote, Friedensarbeit die Stärkung der Zivilgesellschaft. Da sind auch Hilfsorganisationen wie Adveniat mit ihren Projekten für uns von unschätzbarem Wert. Ganz konkret unterstützt Adveniat uns auch beim Kauf von Lebensmitteln oder von Autos, mit denen unsere Seelsorger die Menschen auch erreichen können.

Hilft es, dass Sie ein persönlicher Freund von Papst Franziskus sind?

Auf jeden Fall. Er versteht unsere Lage wie kein zweiter, und er hat als Papst die Politik des Vatikans vom Kopf auf die Füße gestellt. Früher hat Rom gewusst, was bei uns los ist und was wir zu tun und zu lassen haben. Heute – und so haben wir es beim Ad-limina-Besuch der venezolanischen Bischöfe 2018 erlebt – ist es umgekehrt. Wir werden gefragt, wo uns der Schuh drückt und welche Hilfe wir uns wünschen.

Aber mit einer persönlichen Intervention hält er sich zurück.

Er sagt zu Recht, dass die Kirche erst dann zu einer offiziellen Vermittlung bereit ist, wenn das Regime Maduro den Weg des Unrechts verlässt.

Könnten Sie den Papst bei Bedarf anrufen?

Ich habe seine Nummer.

Die Kirche Lateinamerikas vertritt die „Option für die Armen“. Bringt Sie das nicht an die Seite von Regierungen wie der Ihres früheren Präsidenten Hugo Chávez?

Gott sei Dank, nein. Unsere „Option für die Armen“ vertreten wir nicht als Teil eines politischen Lagers. Darüber waren wir Bischöfe in Venezuela uns immer einig. Es geht nicht um Ideologie, sondern um das Dasein für die Menschen. Wir treten ein für eine Gesellschaft der Gleichen – ohne die Spaltung zwischen Arm und Reich. In unserer Bischofskonferenz gibt es seit Jahrzehnten keinen einzigen Vertreter aus der High Society. Wir kommen alle aus der Mittelschicht oder aus dem armen Teil des Volkes. Das bestimmt die Perspektiven unseres Handelns.

Wie sieht nach Ihrer Ansicht ein Ausweg aus der gegenwärtigen Krise aus?

Es gibt keine einfache Lösung, schon gar keine, die die Menschen in Venezuela selbst in der Hand hätten. Geostrategische Interessenkonflikte zwischen den USA und Russland spielen eine entscheidende Rolle, ebenso die Reichtümer unseres Landes, die Bodenschätze.

Was könnte Maduro aus dem Amt fegen?

Den passenden Besen haben wir nicht. Es müssen viele Akteure Hand anlegen, und die Kirche ist bereit, dabei zu helfen.

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