Katholischer Reformprozess„Der Synodale Weg ist eine Dialog-Attrappe"

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Cover „Die Täuschung“ von Norbert Lüdecke

Köln – Herr Lüdecke, auf dem Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland hat sich einer der Federführenden, der Aachener Bischof Helmut Dieser, für Änderungen der Sexualmoral stark gemacht, etwa die Anerkennung homosexueller Partnerschaften. Für wie realistisch halten Sie solche Vorstöße?

Das katholische Konzept für Nicht-Heterosexuelle lautet: Diskriminieren, aber ohne Gewalt. Und „Respekt“ auf katholisch heißt: Gewaltfreie Diskriminierung. Der Katechismus mahnt, Homosexuelle nicht „ungerecht zurückzusetzen“. Was aber ungerecht ist, das bestimmt das kirchliche Lehramt, bestehend aus Papst und Bischöfen. Im amtlichen Kompendium zum Katechismus werden homosexuelle Handlungen nach wie vor zusammen mit Pornographie, Prostitution und Vergewaltigung unter die Hauptsünden gegen die Keuschheit eingereiht. So viel zur Realität.

Bischof Dieser plädiert auch dafür, dass Sex außerhalb der Ehe nicht mehr „von vorneherein als Sünde“ qualifiziert werden solle. Was ist davon zu halten?

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Dafür hat schon Papst Franziskus zumindest einen Ansatzpunkt geboten. Praktizierte Sexualität von Geschiedenen nach einer Wiederheirat, gilt nicht mehr in jedem Fall als schwere Sünde. Es wundert mich, dass Bischof Dieser diese Vorlage von Papst Franziskus nicht aufnimmt.

Interessant finde ich, dass ein deutscher Bischof hier öffentlich für die Änderung eines Kerns der katholischen Sexualmoral eintritt. Das habe ich in dieser Deutlichkeit zuletzt bei dem französischen Bischof Jacques Gaillot erlebt, der 1995 von Papst Johannes Paul II. prompt abgesetzt wurde. Anders als Gaillot hat Bischof Dieser aber schon zu erkennen gegeben, dass er sich auf jeden Fall lehrkonform verhalten, also zum Beispiel keine homosexuellen Paare segnen werde – ohne die vorherige Erlaubnis aus Rom. Das kann den Eindruck nähren, dass sich auf dem Synodalen Weg alle paar Wochen mal dieser, mal jener Bischof ein bisschen liberal äußert, sich irgendetwas an Reformen „vorstellen kann“. Man pustet ein wenig in die Hoffnungsglut, damit die Laien nur ja bei der Stange bleiben.

Alles bloß eine abgefeimte Taktik der Bischöfe?

Möglicherweise ist auch Selbsttäuschung im Spiel. Bischof Dieser etwa muss sich ja darüber im Klaren sein, dass alle Beschlüsse des Synodalen Wegs in diesen Fragen – wenn sie denn überhaupt kommen - nicht mehr sind als ein Meinungsbild, das dann in Form von Bitten nach Rom weitergegeben wird. Bischof Dieser sollte mal darüber Auskunft geben, für wie wahrscheinlich er es hält, dass Rom auch nur einer einzigen dieser Bitten stattgeben wird.

Begründet das Ihr Misstrauen gegenüber dem Synodalen Weg?

Auf mein Zutrauen oder Misstrauen kommt es gar nicht an. Die Geschichte der letzten 50 Jahre zeigt vielmehr: Es gab immer wieder Gesprächsformate, die dem Synodalen Weg auf so frappierende Weise ähneln, dass ich mich an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert fühle: Immer wieder dieselben Dialog-Attrappen, die gleichen Partizipations-Gaukeleien, die zu nichts geführt haben. Die jüngeren Teilnehmer des Synodalen Wegs können das noch nicht auf dem Schirm haben. Denen kann man keinen Vorwurf machen, dass sie sich von den Bischöfen und interessierten Laien vor den Karren spannen lassen. Aber die Älteren müssten es wissen und das Grund-Skript wiedererkennen.

Welches Skript?

Immer wenn der Druck im katholischen Kessel so stark wird, dass die Hierarchen fürchten, er könne ihnen um die Ohren fliegen, dann überlegen sie, wie man ein bisschen Dampf ablassen kann. Im organisierten Laienkatholizismus, dem die Bischöfe mit der Neugründung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken nach dem Krieg seine frühere Eigenständigkeit genommen und ihn hierarchennah eingehegt haben, steht dafür eine Riege loyaler Funktionäre bereit. So wurde schon nach 1968 mit der Würzburger Synode als großem Ventil die Explosionsgefahr im Gefolge der „Pillen-Enzyklika“ Papst Pauls VI. gebannt. Danach war erst mal Ruhe, bis der Druck unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. wieder stieg.

Und dann?

Die Bischöfe reagierten in den 1990er Jahren mit Bistumssynoden, Diözesanforen und Dialogprozessen, die von den Ergebnissen her allesamt in Enttäuschung und Frustration endeten und den Unmutspegel hoch hielten. So richtig knallte es das nächste Mal dann 2010, als das Ausmaß des Missbrauchsskandals in Deutschland offenkundig wurde. Und was machten die Bischöfe?

Sie riefen einen Dialog aus.

Richtig! Ich habe mich schon damals gefragt: Wie können die Laien sich auf einen mehrjährigen, vollkommen unstrukturierten Prozess einlassen, um noch vor dem Ende zu merken, dass all das überhaupt nichts bringt? Erst recht gilt das für die Zeit seit 2018, als die Bischöfe wieder mit der gleichen Masche kamen, die jetzt Synodaler Weg heißt. Zwar forderten die Laien vor Beginn, dass diesmal alles anders laufen müsse als 2011 bis 2015. Nur: Ich kann nichts erkennen, was für die Erfüllung dieser Forderung spricht.

Es wurde immerhin eine Verbindlichkeit der Beschlüsse vereinbart und im Statut festgeschrieben.

Ja, ja, Verbindlichkeit und Beratungen „auf Augenhöhe“. Das ist das Synodaler-Weg-Mantra. Aber die Augenhöhe ist in einer Ständekirche Augenwischerei, und die Verbindlichkeit ist vorgetäuscht. Beides gibt es nicht, kann es nicht geben – in einer hierarchisch verfassten Kirche, in der die Kleriker von den Laien „wesensmäßig“ unterschieden sind.

Dann brauchen Gegner des Synodalen Wegs wie Kardinal Rainer Woelki in Köln nichts weiter zu tun als abzuwarten?

Genau. Die ganze Angst vor dem Synodalen Weg – völlig überzogen! Wenn die angeblich reformwilligen Bischöfe wirklich Veränderungen wollten, dann bräuchten sie dafür keinen Synodalen Weg.

Sondern?

Es steht beim Synodalen Weg kein einziges Argument im Raum, das in der theologischen Diskussion nicht schon x-mal breit vorgetragen worden wäre. Die Bischöfe hätten damit längst von sich aus in Rom vorstellig werden können. Dann wüsste jeder, wo sie stehen – und bei einem „Nein“ aus Rom wüsste auch jeder, wo er dran ist. Die Bischöfe hätten zum Beispiel längst vom Papst eine Sondergenehmigung, ein Indult, erbitten können, um verheiratete Männer zu Priestern oder Frauen zu Diakoninnen zu weihen. Möglich wäre das. Aber passiert ist – nichts.

Warum, glauben Sie, beteiligen sich trotzdem eine ganze Reihe Ihrer Kolleginnen und Kollegen am Synodalen Weg? Sind die weniger scharfsichtig als Sie?

Fragen Sie sie selbst! Ich wundere mich jedenfalls, dass renommierte, respektable Kolleginnen und Kollegen zu glauben scheinen, mit Gemeinschaftsrhetorik und einer – vielleicht der letzten – Mobilisierung von Engagement ließen die Gläubigen sich bei der Stange halten, ohne das ausschlaggebende Problem, die Missbrauchskrise, im Sinne einer konsequenten Aufarbeitung in Angriff zu nehmen.

Aber alle vier Themenbereiche des Synodalen Wegs – Macht und Gewaltenteilung, Priesterbild, Sexualmoral und Rolle der Frauen – sind doch erklärtermaßen darauf ausgerichtet, die strukturellen Ursachen von Missbrauch zu bekämpfen.

Aber schon in der Satzung ist dieser Fokus entscheidend abgeblendet: Die Bischöfe sind dort gehalten, in regelmäßigen Abständen über Fortschritte der Aufarbeitung zu berichten. Das war’s. Dass sie nachprüfbar und sanktionierbar die Verantwortung dafür übernehmen müssten – nicht die Spur! Vielleicht leiden ja auch Theologinnen und Theologen darunter, dass die Kirche eine so miserable Figur macht, was zu einem galoppierenden Schwund des kirchlichen Lebens und dem zunehmenden Rückzug der Laien führt. Das wollen sie nicht, und das verstehe ich. Aber dieser Entwicklung mit einer Art „Soft-Seller“ des Glaubens begegnen zu wollen, der mit erbaulichen Vokabeln ein Scheinbild von Kirche entwirft, finde ich schwierig und befürchte, das wird nicht helfen.

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Erbauliche Vokabeln?

Meine bestens gebildeten Kolleginnen und Kollegen reden von „communio“ (Gemeinschaft), ohne hinzuzufügen, dass es eine in das Korsett der hierarchischen Kirche gezwängte Gemeinschaft ist. Sie sprechen von „Partizipation“ der Laien, ohne zu konkretisieren und zuzugeben, dass damit keine echte Teilhabe im Sinne eines Rechts auf Mitbestimmung und gleichrangiges Entscheiden gemeint ist, sondern nur das Zugeständnis einer beratenden Stimme bei der Vorbereitung von Entscheidungen, dem „decision making“. Die Entscheidung selbst – das „decision taking“ – liegt einzig und allein bei den Bischöfen. Und alle wissen das.

Wenn die Kirchenverfassung das entscheidende Hindernis ist, wie ist dann Veränderung überhaupt noch möglich?

Nach den amtlichen Vorgaben in den Kernfragen gar nicht. Aber es revolutionieren oder sprengen?

Ich wüsste nicht, wie das gehen sollte. Revolutionen führen zur Übernahme oder Umgründung. Das funktioniert katholisch nicht. Die Kirche exkommuniziert die Revoluzzer, spaltet sie ab und lebt selbst in sicherlich kleinerer Zahl weiter.

Was also dann?

Ich empfehle hier nicht die eine oder andere kirchenpolitische Reaktion. Ich verlange nur, die Augen vor den Bedingungen der real existierenden Kirche nicht länger zu verschließen und das ungeschminkt Wahrgenommene nicht vorschnell wieder wegzuschieben, sondern an sich heranzulassen. Was immer der oder die Einzelne dann für sich entscheidet, verdient Respekt – wenn es sehenden Auges geschieht. Aber permanent über die Kirche jammern ohne einen Plan B, tut mir leid, dazu fällt mir nichts mehr ein.

Norbert Lüdecke ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Bonn. Am 28. Juli erscheint sein neues Buch „Die Täuschung. Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen?“`(Verlag wbg Theiss). 

DuMont-Chefkorrespondent Joachim Frank ist als Vorsitzender des katholischen Journalistenverbands GKP Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und (nicht stimmberechtigter) Berater des Synodalforums I „Macht und Gewaltenteilung“. 

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