Corona als HerausforderungWarum nicht auch mal für Lehrer klatschen

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Lehrer 051020

NRW will dem Personalmangel an den Gymnasien begegnen. (Symbolbild)

  • Zum Weltlehrertag am 5. Oktober hätte das Schulpersonal einen Sonderapplaus verdient – trotz mancher Mängel und Holprigkeiten.
  • Viele unterschätzen die enorme Zusatzbelastung durch Corona.
  • Schulleitungen stehen vor besonderen organisatorischen Aufgaben, erschwert durch Versäumnisse der Politik.
  • Ein Gastbeitrag

Seit sechs Wochen laufen die Schulen in NRW im „angepassten Normalbetrieb“ – mit einigem Ungewohnten, allerlei Holprigkeiten, manchem Ärger. Dabei wird man das Gefühl nicht los, als hätte während der Sommerferien schon vieles besser geregelt werden können – seitens des Schulministeriums oder der kommunalen Schulämter. Gleichwohl – oder gerade deshalb – sei zum „Weltlehrertag“ an diesem Montag die provokante Frage erlaubt: Haben wir abends eigentlich schon mal für unsere Lehrerinnen und Lehrer geklatscht?

Gut, das wäre zunächst nur eine nette Geste – bei den Krankenschwestern und dem Pflegepersonal hat es ja auch nicht viel gebracht, zumindest nicht in deren Portemonnaie und bei den Arbeitszeiten. Aber es wäre immerhin ein Zeichen dafür, dass uns bewusst ist, welche wichtige – und in diesen Zeiten besonders schwierige – Arbeit das Schulpersonal vor Ort zu bewältigen hat. Unterrichten ist ja ohnehin schon kein Kinderspiel: immer noch zu große Klassen, weiterhin zu wenig Lehrkräfte, eine zunehmend heterogene und zugleich anspruchsvolle Schülerschaft, vielfach marode Baulichkeiten. Und jetzt seit geraumer Zeit eben auch noch Corona.

Jüngere und schwächere Schüler brauchen Nähe

Die Politik scheut offenbar den Schritt zu intelligentem Schichtbetrieb in kleinen Gruppen, obwohl der möglich wäre – und von der Leopoldina auch (unter Verweis etwa auf Dänemark) indirekt empfohlen wurde. Man könne nämlich die nötigen Abstandsregeln durchaus auch in Schulen realisieren, wenn dort ein Wechsel zwischen Präsenz- und Distanzlernen – etwa: Unterricht mit halbierten Klassen – eingerichtet würde.

Zur Person

Michael Felten arbeitet nach langem Lehrerleben als freier Schulentwicklungsberater. Er ist Mitbegründer der „Initiative Unterrichtsqualität“.

Volle Klassen hingegen bedeuten in der kälteren Jahreszeit für den einzelnen Lehrer: Bis zu acht Stunden am Tag in uneinschätzbaren Aerosolwolken unterwegs sein; immer im Ungewissen, ob man selbst vielleicht schon infiziert ist und Schüler anstecken könnte oder ob die Schüler einander anstecken und man sich auch selbst etwas fangen könnte.

Unterrichten ist eben Beziehungssache, eine gewisse räumliche Nähe der Schüler lässt sich nicht umgehen, und es funktioniert höchstens in der Oberstufe, das eigene Pult weit genug weg von den Schülertischen zu rücken. Gerade jüngere und schwächere Schüler indes brauchen das persönliche Moment des Motivierens und Erklärens, Veranschaulichens und Ermutigens. Grammatikregeln oder binomische Formeln alleine locken nicht wirklich hinter dem Ofen, besser: der Game- und Smartphonewelt hervor. Und Kinder und Jugendliche sind auch einfach etwas anderes als Werktätige oder Angestellte, denen man zumuten kann, selbstgesteuert irgendwelche Routinen abzuarbeiten.

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Unterschätzt wird auch die enorme Zusatzbelastung der Lehrkräfte durch die digitale Erweiterung der unterrichtlichen Aufgaben. Nur ein Beispiel: Es ist weitaus zeitaufwendiger, 30 Bearbeitungen einer Aufgabe durch die Schüler in 30 Mails zu kommentieren, als im Klassenverband einige Schülerlösungen oder eine Musteraufgabe miteinander zu diskutieren. Und dass jetzt immer öfter mal dieser, mal jener Schüler in häusliche Quarantäne geschickt wird und Unterrichtsstoff verpasst; dass mal diese Teilgruppen zusammengelegt werden, mal jener Kurs ganz ausfällt – all das macht die Lage sicher nicht einfacher.

Auch Schulleitungen stehen extrem unter Druck

Die Schulleitungen sind übrigens auch nicht zu beneiden. Nicht nur wegen der zusätzlichen Organisation in ihrer permanenten Dynamik: hier zwei Räume doch nicht lüftbar, da überraschend viele Lehrer erkrankt oder in Quarantäne. Auch die digitale Aufholjagd hat sie in eine gewisse Zerreißprobe gebracht: Das Kollegium drängt vielfach auf raschen Ausbau von Technik und Ausstattung, das Ministerium andererseits beschert eine womöglich doch nicht rechtssichere Lernplattform – aber die Schulleitung persönlich muss den Vertrag mit dem Anbieter abschließen und trägt letztlich die datenschutzrechtliche Verantwortung. Da steht dann vielleicht – wie der WDR kürzlich nachwies – im Kleingedruckten: Der beauftragte Subunternehmer sitzt im Ausland. Es greift womöglich externe Gesetzgebung. So viel Globalisierung muss dann vielleicht doch nicht sein.

Noch ein Wort zu den Lehrkräften, die aus attestierten Schutzgründen nicht im Präsenzmodus unterrichten können: Sie sollten ihre überlasteten Kollegen in der Schule natürlich nach besten Kräften unterstützen – etwa durch die Bereitstellung von Arbeitsmitteln, die Korrektur von Tests oder Klassenarbeiten, die Beteiligung am Telefonkontakt zu Schülern im Homelearning. Vielleicht geschieht solche Mithilfe in Einzelfällen noch nicht oder nicht genug. Dann ist den ins Häusliche Verbannten womöglich zu wenig klar, dass dies auch ihnen selbst nützen würde. Erwachsenen mit einer pädagogischen Ader tut es in der Regel einfach gut, mit Kindern und Jugendlichen in Beziehung zu sein, sprich: mit Schülern direkte persönliche Kontakte über das Lernen zu pflegen.

Also, wie wär's? Heute Abend 19 Uhr klatschen?

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