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Kolumne zu ToilettenpapierDer Pawlowsche Reflex und das Toilettenpapier

Lesezeit 3 Minuten
Klopapier

Bloß nichts berühren - Toilettenpapier ist auch für die Brille öffentlicher WCs wichtig.

  • In den Supermärkten steigt die Nachfrage nach Toilettenpapier wieder rasend.
  • Unser Kolumnist Frank Nägele bezieht Stellung – und zieht einen historischen Vergleich.

Köln – Schon wieder Klopapier. Echt jetzt? Kann doch nicht sein. Leere Regale, Kaufbeschränkungen und Menschen, die mit dicken Zellstoffpaketen unter den Armen vor den anklagenden Blicken der weniger Glücklichen davonhasten waren doch die Symbolbilder der Corona-Angst im Frühjahr. Die langsam steigenden Zahlen im Herbst hatten den Regalen noch nichts anhaben können. Aber vergangene Woche ist die Lage eskaliert in den Ansteckungskurven und der Rhetorik der Regierung. Der Klopapier-Angstindex beweist, dass die Botschaft angekommen ist.

Vor einem halben Jahr haben wir uns an dieser Stelle über das eigenartige Hamsterverhalten der Mitmenschen lustig gemacht. Diese Zeit liegt hinter uns, denn es handelt sich hier um einen gelernten Reflex, eine sehr moderne Massenvariante der klassischen Konditionierung, die der russische Mediziner Iwan Petrowitsch Pawlow 1905 mit einem Experiment an einem Hund nachwies. Er ließ zur Fütterung des Tieres stets eine Glocke erklingen. Als die Glocke dann erklang, ohne dass Nahrung gereicht wurde, konnte bei dem Hund vermehrter Speichelfluss festgestellt werden, was vor dem Experiment nicht der Fall war. Futter und Glocke waren für den Hund sozusagen dasselbe geworden. Da der Mensch entwicklungsgeschichtlich vom Hund weit weniger entfernt ist, als er glaubt, ist ihm das jetzt mit Corona und Klopapier passiert. Das erscheint dumm, aber es war sozusagen eine Unvermeidlichkeit.

Toilettenpapier-Lager in den Haushalten auf Jahre gefüllt

Ich kann so erhaben über dieses Phänomen sprechen, weil ich das Glück habe, über einen Lieferanten mit scheinbar unerschöpflichem Klopapier-Vorrat zu verfügen. Offenbar hat eine kleine Fehlspekulation in der Frühjahrs-Hysterie die Lager dieses Einzelhändlers auf Jahre hinaus gefüllt. Seinen Namen und seine Adresse werde ich selbstverständlich nicht nennen, denn nichts ist unendlich, nicht einmal der Weltraum. Und ich will die Erhabenheit bei der theoretischen Diskussion über solche banalen Themen nicht verlieren, weil ich, wie meine Großeltern mütterlicherseits vor langer Zeit, in der Not von Toiletten- auf Zeitungspapier umsteigen muss.

Es mag Menschen geben, die besser sind und sich einem solchen Verhalten entziehen können. Sie werden dann allerdings so viel Größe haben, den Normalen ihre Durchschnittlichkeit nachzusehen. Die Vorstellung davon, dass es sich bei einer Nation um eine Art Schulklasse handelt und bei einer Pandemie um einen Charaktertest, der bei Verfehlungen Strafarbeiten oder In-der-Ecke-Stehen nach sich zieht, scheint mir ziemlich deutsch und führt am Kern des Problems vorbei. Wir reden hier von mehr als 80 Millionen Menschen nur in unserem Land, die tun, was 80 Millionen Menschen eben tun. 

Zuweilen sind sie unvernünftig, irrational und wollen einfach nur mit anderen Menschen zusammen sein, weil sie durch die Evolution so programmiert sind. Und wenn sie Angst haben, machen sie komische Dinge. Lächerlich viel Klopapier horten, zum Beispiel.

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Das Klopapier-Phänomen scheint mir der sichtbarste Beweis dafür, dass man mit Fingerheben und Strafandrohungen nicht mehr weiterkommt. Auch der Satz, man habe die Entwicklung der Pandemie jetzt „in der eigenen Hand“, führt in die Irre. Eine Pandemie können kein Einzelner und keine Gruppe in der Hand haben. Wenn sich alle anstrengen und alle wichtigen Bereiche der Gesellschaft sich auf das Mögliche und Wichtige konzentrieren, kann man im besten Fall, den alle anstreben sollten, den Umgang mit ihr in der Hand haben.

Und Klopapier natürlich. Kann man in der Hand haben, sofern man es noch bekommt. 

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