Kommentar zu Swift und WaffenlieferungDeutschlands Kurswechsel ist historisch

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Olaf Scholz 260222

Bundeskanzler Olaf Scholz hat mit Bündnispartnern Sanktionen beschlossen und will Waffen an die Ukraine liefern.

Es ist eine historische Entscheidung. Ein Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik, der erst auf massiven Druck der Partner in EU und Nato zustande kam: Die Bundesregierung hat ihre Weigerung aufgegeben, der Ukraine Waffen zu liefern. Aus Beständen der Bundeswehr soll Kiew nun so schnell wie möglich 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ erhalten. Dass Deutschland nun selbst Waffen in die Ukraine schickt und Lieferungen von weiteren Bundeswehr-Waffen aus anderen europäischen Ländern (Niederlande, Lettland) ermöglicht, ist am Ende notwendig und richtig.

Folgen angesichts Putins Invasion in Kauf nehmen

Geradezu überfällig ist es auch, dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht mehr dagegen sperrt, das internationale Zahlungssystem Swift für Russland abzuschalten. Auch wenn es Deutschland und ganz Westeuropa womöglich wirtschaftlich schadet - wir müssen diese Folgen angesichts Putins Invasion und der Kriegsgräuel in der Ukraine in Kauf nehmen.

„Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung. In dieser Situation ist es unsere Pflicht, die Ukraine nach Kräften zu unterstützen bei der Verteidigung gegen die Invasionsarmee von Wladimir Putin. Deutschland steht eng an der Seite der Ukraine.“ Mit diesen Worten begründete Scholz die Kehrtwende der Ampelkoalition. Spät, sehr spät hat der Kanzler damit die richtigen Worte gefunden.

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Deutschland reagierte viel zu passiv

Denn jeder Tag, an dem sich die Ukraine nach Putins Überfall verzweifelt gegen dessen übermächtiges Militär wehrt und um Hilfe fleht, war bisher ein Tag, an dem man sich in Deutschland wegen unterlassener Hilfeleistung schämen musste. In Kiew werden Wohnblocks bombardiert, Menschen sterben. Aus Deutschland lag das lächerliche Angebot vor, 5000 Helme zu schicken.

Zudem kam aus Berlin zum Ärger aller EU- und Bündnispartner lange das Signal, dass man sich an den schärfsten wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland nicht beteiligen wolle. Für den Fall, dass es noch schlimmer komme, müsse man noch etwas in der Hand haben, ließ Scholz in den letzten Tagen verbreiten.

Doch was könnte für einen souveränen europäischen Staat noch schlimmer sein als das, was der Ukraine gerade widerfährt? Das Land braucht schon jetzt alle Hilfe, die es bekommen kann. Ökonomisch, politisch, militärisch.

Druck auf die Bundesregierung wurde stündlich größer

Die Bundeswehr ist zwar in einem miserablen Zustand, doch hochwertige Waffen produziert Deutschland paradoxerweise seit Jahrzehnten. Wir liefern sie auch aus. Bis 2019 sogar nach Saudi-Arabien. Ein Land, das nicht unbedingt durch das Einhalten der Menschenrechte aufgefallen ist.

Ukraine Soldaten brennendes Auto

Ukrainische Soldaten beziehen in Kiew Stellung, Feuerwehrleute löschen ein brennendes Auto.

Die Ukraine ist in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht nicht negativ aufgefallen. Und sie wird angegriffen, mit Bomben und Raketen, Panzern und Flugzeugen. Und ihr wollen wir nicht helfen?

Der Druck auf die Bundesregierung wurde stündlich größer. Und sie hat sich – endlich – entschieden. Wir liefern nicht nur Helme und Trost, sondern Panzerabwehrwaffen und Boden-Luft-Raketen.

Deutschland hat sich zu Recht aus militärischen Konflikten herausgehalten

Der historische Kurwechsel kommt politisch gerade noch rechtzeitig, unabhängig von der Frage, ob die späte Hilfe militärisch noch Sinn macht. Ein weiteres Zaudern wäre Deutschland in Europa womöglich jahrzehntelang vorgehalten worden.

Fakt ist: Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu Recht aus militärischen Konflikten herausgehalten. Unsere besondere Geschichte, das Leid, das wir verursacht haben, ist beispiellos und wiegt schwer. Vor diesem Hintergrund war Zurückhaltung die einzige Option.

Doch angesichts der aktuellen Aggression Russlands, die die komplette europäische Nachkriegsordnung von 1945 bedroht, kann Deutschland sich nicht länger heraushalten. Wir müssen – mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – Verantwortung übernehmen. Wenn wir für die Werte Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung einstehen wollen, geht dies nicht nur durch Sonntagsreden.

Verantwortung neu bewerten

Der Krieg in der Ukraine ist der größtmögliche Testfall für den Westen. Auch die Großmacht China, die ebenso wie Russland große Expansionspläne hegt, wird genau hinschauen, wie geschlossen Nato und EU auf Putins Angriff reagieren werden.

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Der Ukrainekrieg, für den einzig und allein der russische Diktator verantwortlich ist, muss in Deutschland zu einer Neubewertung der eigenen Verantwortung führen. Dass dies auf Druck der europäischen Nachbarn geschieht, die Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg angegriffen hat, kann uns nur bestärken.

Die Ukraine kämpft ums Überleben und braucht unsere Hilfe. Deutschland muss sie unterstützen. Mit allem, was wir einsetzen können - jenseits eines direkten militärischen Einsatzes. Der Ausschluss Russlands aus dem Finanztransfersystem Swift ist nach den Waffenlieferungen der nächste konsequente Schritt.  

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