Kommentar zu TihangeHendricks Atompolitik ist schizophren

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Tihange AKW

Das AKW im belgischen Tihange.

Der Name „Tihange“ steht nicht nur für ein belgisches Atom-Kraftwerk, das NRW-Umweltminister Remmel „Bröckelreaktor“ nennt. Tihange steht auch für die grenzüberschreitende Gefahr von Atomkraft. Kommt es zu einem ernsten Zwischenfall in Tihange, ist bei Südwest-Wind das 65 Kilometer entfernte Aachen vornehmlich betroffen. In einer Broschüre, die von der Städteregion Aachen herausgegeben wurde, liest man Tipps für den atomaren Ernstfall, die einem die Haare zu Berge stehen lassen.

Letztlich steht Tihange aber auch für die Widersprüchlichkeit von Politik und für eine Umweltministerin Barbara Hendricks, die den Meiler zwar als Gefahr für die deutschen Bürger einstuft, die es aber nicht verhindert, dass der Betrieb eben dieses Reaktors durch die Lieferung von Brennstäben aus Deutschland gewährleistet bleibt. Kein Wunder, dass Tausende eine Menschenkette bilden wollen und bei den Zeitungen vor Ort zornige Leserbriefe in Fülle eingehen.

Betreiber rechnen wohl mit dem Schlimmsten

„Im Falle eines folgenschweren Reaktorunglücks ... wäre mit erheblichen Auswirkungen auf unsere Region zu rechnen“, schreiben die Autoren der amtlichen Ernstfall-Broschüre. Akute Schäden seien zwar nicht zu erwarten, Spätschäden jedoch sehr wohl – die Häufung von Krebserkrankungen etwa oder Missbildungen bei Neugeborenen. Grundsätzlich solle man einen Nahrungsmittelvorrat für 14 Tage anlegen, heißt es weiter – 28 Liter Wasser pro Person zum Beispiel. Fenster seien abzudichten und das Haus solle man nicht verlassen. Falls doch – dann nur mit einer Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP3.

Klar ist eins: Wer solche Ratgeber verteilt, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Vor diesem Hintergrund gibt die Haltung der deutschen Umweltministerin Rätsel auf. Barbara Hendricks kommt aus NRW. Tihange ist ihr bekannt. Für die resolute Sozialdemokratin ist Kritik an dem Pannenreaktor daher eine Art Ehrensache. Ihre Bedenken hat sie eindeutig geäußert. Sie ging so weit, Brüssel eine Abschaltung des Reaktorblocks 2 nahezulegen.

Hendricks hat ein Problem

Hendricks hat nun ein Problem. Es hat sich herausgestellt, dass Deutschland für den Weiterbetrieb des „Bröckelreaktors“ sorgt. Ausgerechnet das „Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit“, es ist Hendricks unterstellt, hat die direkte Belieferung mit Brenn-Elementen aus Deutschland genehmigt. Am 4. März 2017 trafen die letzten ein.

„Wir werden alleingelassen“, kritisieren lokale Politiker wie der Städteregionsrat Helmut Etschenberg. Der CDU-Politiker fordert die Hilfe der Bundesregierung ein. „Wir vertreten fast 15 Millionen Menschen“, sagt er. Je näher deutsche Politiker und Bürger den Reaktoren sind, umso stärker vernehmbar sind Widerstand und Kritik, treten Parteigrenzen in den Hintergrund.

Sorge und Furcht überwiegen. Allein – das Berliner Umweltministerium verweist auf deren geltende Betriebserlaubnis und die damit verbundene Pflicht, vertragstreu Brennelemente zu liefern.

Widersprüchlichkeit, die ans Schizophrene denkt

Das mag für ein juristisches Pro-Seminar an der Universität taugen. Thema: Wo endet politische Haltung und wo beginnt die Verpflichtung eines Politikers, staatliche Verträge zu bedienen. Der Glaubwürdigkeit aber dient sie nicht. Man muss offenbar Politiker sein, um die Ministerin in ihrer Widersprüchlichkeit zu verstehen, die ans Schizophrene grenzt. Wie kann sie die Lieferung von Brennstäben genehmigen, wenn dadurch – nach ihren eigenen Worten – weiter eine Gefahr für deutsche Bürger besteht?

Ein Lieferungsstopp hätte nicht das Aus für den Reaktor bedeutet. Brennstäbe gibt es auch anderswo. Es hätten Vertragsstrafen gedroht und diplomatischer Ärger. Aber die deutsche Politik wäre glaubwürdig geblieben. Und wenn ein Lieferungsstopp tatsächlich so undenkbar ist – dann hätte Hendricks besser geschwiegen.

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