Kommentar zum Erzbistum KölnWie Verantwortung in der Kirche diffundiert

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Woelki gebeugt

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki

Diffusion ist in der Physik der allmähliche Ausgleich unterschiedlicher Konzentrationen von Flüssigkeiten oder Gasen. Am Ende stehen gleichmäßige Verteilung der Ausgangsstoffe und vollständige Durchmischung aller Elementarteilchen. Im Erzbistum Köln diffundiert gerade das Prinzip Verantwortung.

Zwar hält der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, an seinem Wort vom „Desaster“ der Missbrauchsaufarbeitung durch Kardinal Rainer Woelki fest. Aber zugleich spricht er von der Verantwortung aller Bischöfe für die hohe Zahl von Kirchenaustritten infolge schwindenden Vertrauens in die Kirche. Woelki wird das gern gehört haben.

Nun behauptet niemand ernsthaft, Köln habe das Patent auf die katholische Malaise. Aber wenn eine ganze Bischofskonferenz die Kölner Wirren drei Tage lang komplett totschweigt, dann gerät die Verantwortungsgemeinschaft im Allgemeinen zur Verantwortungsdiffusion für konkretes Versagen.

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Daraus könnte womöglich auch die Versuchsanordnung werden, wie pensionierte und amtierende Würdenträger der Kölner Bistumsleitung nach Vorlage des Missbrauchsgutachtens am 18. März mit ihrer Schuld an jahrzehntelanger Vertuschung umgehen werden: Ich war nur einer von vielen. Ich war nur ein Elementarteilchen im kirchlichen Organismus. Katholische Molekularmoral.

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Man kann Fehler bestreiten, sie bagatellisieren oder verallgemeinern. Am Ende handelt es sich auch dabei um Spielarten der Verantwortungsdiffusion. In seinem Fastenhirtenbrief hat Kardinal Woelki zum wiederholten Mal von Fehlern gesprochen. In seinem ganzen Leben habe er Fehler gemacht – mal leichtere, mal schwerere. Folglich werde das auch bei der Aufarbeitung des Missbrauchsgeschehens und in der begleitenden Krisenkommunikation so gewesen sein.

Mit seinen etwaigen Fehlern (welchen eigentlich genau?) hat auch ein Erzbischof und Kardinal Teil an der Fehlbarkeit der Spezies Mensch. Wer wollte da widersprechen? Ist das nicht sogar sympathisch? Und wer dächte nicht an die eigenen Fehler, mal leichtere, mal schwerere? „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe...“ Diesen grandiosen, unendlich tiefen Satz Jesu aus dem Johannes-Evangelium, der jeden Menschen zur Wahrhaftigkeit und zur Demut mit Blick auf sein eigenes Leben herausfordert, sollte man nie aus dem Sinn verlieren. Am Ende bedürfte es überhaupt keiner Steinwürfe, wenn ein jeder und jede sich den eigenen Versteinerungen stellen würde und dem eigenen Tun und Unterlassen zulasten anderer.

Inzwischen lässt der Kalender kaum mehr eine andere Wahl, als Woelkis Werben um Geduld nachzukommen und auf den 18. März zu warten. Dann - so steht zu hoffen – wird zumindest eines der beiden von Woelki in Auftrag gegebenen Missbrauchsgutachten auf dem Tisch liegen und die Fakten sprechen lassen. „Verantwortliche werden benannt werden.“ Das hat Woelki unablässig versprochen. Was dann passiert, wird man sehen. Kommt die Verantwortung – wie beschrieben – zwecks Diffusion ins Labor? Und was wäre wohl die Gegenprobe? Ein ehrliches Eingeständnis eigenen Versagens, verbunden mit persönlichen Konsequenzen – das wäre sozusagen katholisches Verantwortungskonzentrat. Und vielleicht auch das, was den Anspruch an Amtsträger einer Institution ausmacht, in der das „Geistliche“ keine physikalische Größe ist.

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