Kommentar zum JahreswechselWarum wir 2020 mehr Mut aufbringen müssen

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  • Digitalisierung, Hass im Netz und Klimakrise: Das Jahresendgefühl 2019 ist – so kam es vielen vor – bange Ungewissheit.
  • Auch das kommende Jahrzehnt wird grundlegende Veränderungen bringen.
  • Wir werden also mehr Mut brauchen, um zukünftige Herausforderungen zu meistern, kommentiert Chefredakteur Carsten Fiedler.

Köln – Klimaproteste, ein wankendes Parteiensystem mit einer abgestürzten SPD, ein wahr gewordener Brexit-Alptraum und immer wieder Donald Trump. Was steht uns 2020 bevor? Was werden die zwanziger Jahre des Jahrhunderts bringen? Das Jahresendgefühl 2019 ist – so kommt es vielen vor – bange Ungewissheit.

Man kann Verlauf und Ende des Jahres 2019 aber auch weniger pessimistisch sehen. Immerhin sind viele düstere Erwartungen nicht eingetreten. In den USA bieten die Demokraten und politische Institutionen einem immer irrer agierenden Präsidenten tapfer Paroli. In Deutschland hat es die AfD bei keiner Landtagswahl im Osten geschafft, stärkste Partei zu werden. Und 2019 war auch das Jahr, in dem aus der Initiative einer 16-Jährigen aus Schweden eine machtvolle Bewegung für den Klimaschutz geworden ist.

Es gibt also durchaus Gründe, im neuen Jahr den begonnenen Weg fortzusetzen – getreu der englischen Durchhalte-Parole „Keep calm and carry on“ – ruhig bleiben und weitermachen. Doch eines ist klar: Wir werden mehr Mut brauchen. Mehr Bereitschaft, Neues möglich zu machen und auch den Schritt ins Unbekannte zu wagen.

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Die Welt wird sich stärker verändern als zuvor

Im kommenden Jahrzehnt werden sich Deutschland und die Welt stärker verändern als selten zuvor. Es wird um die Grundlagen unseres Wohlstands gehen. Um die Widerstandsfähigkeit unserer Demokratie. Um die Frage, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos spricht davon, dass zwei große „D“ die kommenden Jahre prägen werden: die Digitalisierung und die Demografie. Zum Ende der Dekade werden die Deutschen im Durchschnitt deutlich älter sein als heute. 19 Millionen Bundesbürger, also fast jeder Vierte, werden dann über 67 sein. Die Ausgaben für Renten-, Pflege- und Krankenversicherung werden dramatisch steigen. Hier sind schon zu Beginn des neuen Jahrzehnts mutige Schritte gefordert. Einer davon: Deutschland muss sich noch viel stärker als Einwanderungsland verstehen und positionieren als heute.

Mehr Mut ist auch bei der Digitalisierung geboten. Die Arbeitswelt wird sich durch Automatisierung weiter radikal verändern. Algorithmen und künstliche Intelligenz wird es nicht nur in Fabriken geben, sondern auch in Kliniken, Verwaltungen und Großraumbüros. Für viele Unternehmen wird der Mut überlebenswichtig sein, sich grundlegend zu verändern und in Innovationen, Weiterbildung und neue digitale Geschäftsmodelle zu investieren.

Neue Ehrlichkeit notwendig

Gegen die Klimakrise ist bislang bei weitem nicht genug getan worden. Notwendig ist eine neue Ehrlichkeit im politischen Handeln, auch in Deutschland. Die Bürgerinnen und Bürger werden die stärkeren Belastungen der Klimapolitik zu spüren bekommen. Dafür gilt es, mit offenem Visier zu streiten und nicht vor Leugnern des Klimawandels einzuknicken.

Im Herbst 2020 stehen auch Kommunalwahlen in NRW an. Fast alle größeren Kommunen kämpfen mit überfüllten Straßen, mit Luftverschmutzung und Wohnungsnot. Hier sind neue Ideen für urbanes Leben und kreative Mobilitätslösungen gefragt. In Köln ist leider die Mängelliste schon traditionell lang: zu wenige Schulen, fehlender Wohnraum, Sanierungsstau bei Verkehrsinfrastruktur und Museen. Umso mehr ist den politisch Verantwortlichen eine gehörige Portion zusätzlicher Mut zu wünschen, die Probleme endlich zügig, ideologiefrei und lösungsorientiert anzugehen.

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Es liegt aber auch eine große Chance im kommunalen NRW-Wahljahr: Die Spitzenpolitiker in den Städten und Gemeinden – in Köln allen voran OB Henriette Reker und ihr noch namenloser Herausforderer von der SPD – müssen sich den Bürgerinnen und Bürgern stellen und mit ihnen reden. Keine Wahlkampf-Show ist gefragt, sondern ehrlicher Austausch. Auch dieser echte Dialog erfordert Mut – einen Mut, der notwendig ist, um eine weiter wachsende Entfremdung zwischen Politik und Bürger zu verhindern und die Kluft zu überwinden, die sich in den letzten Jahren vertieft hat. Die Menschen wollen eine Politik, die Entscheidungen trifft, diese vernünftig erklärt, Verantwortung übernimmt und glaubwürdig bleibt. Daran wird sich auch 2020 nichts ändern.

Nur wer Mut hat, kann es besser machen! Das sollte schließlich auch für uns alle im Kleinen gelten. Mut bedeutet, Ängste zu überwinden. Ein erster Schritt wäre es, wenn wir uns dazu aufrafften, unsere Filterblasen und Komfortzonen zu verlassen. Und stattdessen offen aufeinander zugehen, miteinander reden und einander zuhören.

Denn nichts ist einfacher als das Gespräch: in der Familie, im Büro, im Karnevals- oder Sportverein. Mehr Mut zum Dialog ist im Alltag ein kleiner, aber wichtiger Beitrag dafür, dass wir in einer offenen und freien Demokratie leben.

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