Kommentar zum UnionsstreitAngela Merkel wird sich als Kanzlerin nicht mehr erholen

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Angela Merkel bei ihrer ersten Regierungsbefragung im Bundestag.

Berlin – Dass die Bundesrepublik gerade die letzte Amtszeit von Angela Merkel als Kanzlerin erlebt, galt den meisten Deutschen bereits seit der Wahlnacht als abgemacht. DasTempo und die Heftigkeit des Krisenzustandes, mit denen die CSU ihren Asylstreit mit der CDU an diesem Donnerstag hinein eskalierte, kam dann allerdings doch überraschend selbst für die meisten Beteiligten.

Denn anders als etwa in den Zuspitzungen der Eurokrise gibt es in diesem Fall keinerlei äußeren Zeitdruck, der die CSU zu dieser Kompromisslosigkeit zwingt – es ist offensichtlich allein die bayerische Landtagswahl, derentwegen Parteichef Horst Seehofer und die Landesgruppe im Bundestag den Eindruck einer aufziehenden Regierungskrise provozierten. Sogar von der Auflösung der Fraktionsgemeinschaft oder gar Neuwahlen war plötzlich die Rede.

Zustimmung in 62 von 63 Fällen

Dabei hatte Merkel dem „Masterplan Migration“ des Bundesinnenministers – der diesen Job ganz offensichtlich seinem Parteiposten unterordnet – schon in 62 von 63 Punkten zugestimmt. Strittig ist nur, ob Asylsuchende an der Grenze zurück in ihr europäisches Erstaufnahme-Land zurückgeschickt werden sollen: eine Frage, die Merkel nicht in  einem nationalen Alleingang, sondern auf dem EU-Gipfel in zwei Wochen verhandeln will. Dass eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage mit Seehofers Ansatz endgültig scheitern könnte, gilt südlich des Weißwurstäquators offenbar als Petitesse.

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Hatte man in den vergangenen Wochen ohnehin den Eindruck, die bayrischen und ostdeutschen Teile der Union liegen inhaltlich längst näher bei der AfD als bei der Merkel-CDU, so platziert sich die CSU nun endgültig im anti-europäischen Lager.

Weitere Zweifel an der Koalition

An der Stabilität der Koalition muss man auch aus weiteren Gründen zweifeln: Selbst wenn CDU und CSU einen Kompromiss in der Grenzfrage fänden, dürfte der für die SPD schwer zu akzeptieren sein. Und die Angriffe der CSU-Granden kamen am Donnerstag einem offenen Misstrauensvotum gleich. Zudem steht Seehofers Drohung im Raum, als Minister gegen Merkels Weisungen zu handeln. All das hätte andere Kanzler längst dazu gebracht, die Vertrauensfrage im Parlament zu stellen – um für Ordnung oder zumindest für Klarheit zu sorgen.

Doch Merkel wäre nicht Merkel, wenn sie in so einer Situation die Nerven verlöre statt sich Zeit für eine Alternativlösung zu kaufen.  Und seit gestern weiß sie auch: Selbst in der eigenen Partei ist sie längst zu geschwächt, um Risiken einzugehen. Denn trotz teils bösartiger Angriffe auf Merkel aus der CSU stärkte ihr die eigene Fraktion nur scheinbar den Rücken: Indem sie ihr zwei Wochen Zeit für eine europäische Lösung einräumte, schlug sie sich nicht auf ihre Seite – sondern stellte der Kanzlerin ein Ultimatum. Wie auch immer der Streit um diesen konkreten Punkt ausgeht: von diesem Tag wird sich Merkel als Kanzlerin nicht mehr erholen.

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