Kommentar zur FlüchtlingskriseDie Fehler des Föderalismus

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Zahlreiche Flüchtlinge in Berlin auf dem Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales.

Zahlreiche Flüchtlinge in Berlin auf dem Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales.

Großer Auflauf heute in Berlin: Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer wollen bedeutende Dinge zur Bewältigung der großen Zahl von Flüchtlingen beschließen. Keine Frage, das ist wichtig, es gibt viel zu regeln.

Eine ganz andere Frage aber lautet: Ist das noch die richtige Form, Probleme von nationaler Bedeutung zu bearbeiten? Eine föderale Struktur, die sich angesichts komplexer Aufgaben wie der Aufnahme, Verteilung, Überprüfung, Unterbringung, Integration Hunderttausender Menschen jeden Tag mehr als hinderlich denn als hilfreich erweist?

Die Alliierten haben nach dem Krieg aus gutem Grund dafür gesorgt, dass (West-)Deutschland ein föderaler Staat mit starken Ländern und einer nicht zu mächtigen Zentralregierung wurde. Das hat lange gut funktioniert. Inzwischen aber wissen wir, dass der Föderalismus nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch ist, und mit den Jahren haben sich vor allem negative Erfahrungen angehäuft.

Das Problem Bildungswesen

Nirgends ist das Scheitern der föderalen Ordnung so offensichtlich wie im Bildungswesen. In kaum einem Bereich ist das Grundgesetzgebot gleichwertiger Lebensverhältnisse so gestört wie in der elementaren Frage der Schulbildung.

Aber nichts verteidigen die Länder so verbissen wie ihre Kulturhoheit. Dass viele Menschen den Glauben in die Fähigkeit der Politik verloren haben, seit Jahren erkannte Miseren anzugehen, hat auch mit der beharrlichen Weigerung zu tun, den Bildungsföderalismus als Strukturproblem zu erkennen und damit endlich Schluss zu machen. Aber auch bei der inneren Sicherheit oder dem Gesundheitsschutz haben die Länder versagt.

Nichts belegt dies besser als das Fiasko um das über ein Jahrzehnt unentdeckt gebliebene Morden der Neonazibande NSU. Das war auch eine Folge des Wirrwarrs um Kompetenzen zwischen Bund und Ländern und der schlichten Unfähigkeit von Bundesländern, ihren Aufgaben ordentlich nachzukommen. Nicht viel Besseres weiß man über die Fähigkeit einzelner Länder zu einem kompetenten Krisenmanagement zum Beispiel bei Lebensmittelskandalen.

Balance nachhaltig gestört

Das hat viel damit zu tun, dass es eben keine gleichwertigen Lebensverhältnisse gibt, oder kurz und klar gesagt: dass es reiche und arme Länder gibt. Es mag aus Gründen der Identitätspflege klug gewesen sein, bei der Vereinigung Deutschlands vor 25 Jahren die föderale Ordnung einfach nach Osten auszudehnen. Die Balance der föderalen Struktur aber ist dadurch nachhaltig gestört worden.

Zu den alleine nicht lebensfähigen Ländern Bremen und Saarland kamen fünf weitere schwache hinzu, die bis heute den Anschluss an die westdeutsche Wirtschaftskraft nicht geschafft haben. Gleichzeitig ist der Kooperationsföderalismus der Bonner Republik offener Konkurrenz gewichen, bei der die wirtschaftlich starken Länder immer die Nase vorn haben.

Schauen wir auf die aktuellen Probleme der Flüchtlingskrise, so ist vollkommen klar, dass sie mit einer zentralen Kompetenz beim Bund und der Möglichkeit, die Mehrkosten der Kommunen direkt zu finanzieren, besser bewältigt werden könnten. Doch das wissen die Landesfürsten von Bodo Ramelow bis Horst Seehofer einhellig zu verhindern. Es gibt also viele gute Gründe, das Nachkriegsmodell Föderalismus den heutigen Herausforderungen anzupassen. Nationale Aufgaben wie innere Sicherheit, Umwelt, Gesundheit, Bildung und auch die Zuständigkeit für Flüchtlinge gehören in die Hände des Bundes, um einheitliche und professionelle Standards zu erreichen.

Es ist jetzt viel davon die Rede, dass die Zuwanderung so vieler Menschen Deutschland verändern werde. Das ist der richtige Anlass, auch die politische Struktur des Landes neu zu gestalten. Wann, wenn nicht jetzt?

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