Kommentar zur NRW-KoalitionAuf Schwarz-Grün warten viele Stolperfallen

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Wüst Neubaur

Hendrik Wüst und Mona Neubaur zu Beginn der Sondierungen im Mai.

Köln – Der Fahrplan steht: Am 28. Juni, nur sechs Wochen nach der Landtagswahl, soll Hendrik Wüst (CDU) als Regierungschef wiedergewählt werden. Schwarz-Grün in NRW kommt – und zwar im Eiltempo. Aus Kreisen von CDU und Grünen ist zu hören, dass auch die Eckpunkte des Koalitionsvertrags stehen. Es gibt demnach keine Hürden mehr, die nicht überwindbar erscheinen. Erstmals in der Geschichte des bevölkerungsreichsten Bundeslandes wird es ein schwarz-grünes Bündnis geben.

„In der Versöhnung von vermeintlichen Gegensätzen liegt die Kraft für unsere Zukunft“, heißt es im pathetischen Politsprech des Sondierungspapiers. Historisch gewachsene, ideologische Gräben sollen überwunden werden. Dass dies nun offenbar in rekordverdächtiger Geschwindigkeit gelingt, ist zunächst einmal verblüffend. Wie praxistauglich die ausverhandelten Vereinbarungen sind, muss sich aber erst noch zeigen.

Schwarz-Gelb in NRW ist abgewählt, die Ampel in Berlin hat bislang wenig Glanz entwickelt. Entsprechend hohe Erwartungen knüpfen die Bürgerinnen und Bürger jetzt an Schwarz-Grün. Wichtigstes Thema für die Menschen sind die hohen Energie- und Lebenshaltungskosten. Hier muss die kommende Regierung ihre Lenkungsmöglichkeiten nutzen, auch wenn die Effekte nicht immer unmittelbar greifen werden. Dazu zählt sicherlich der schnelle und massive Ausbau der erneuerbaren Energien, aber auch eine bereits angekündigte Innovationsoffensive für kleine und mittelständische Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität.

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Hendrik Wüsts Mantra

Die von Wüst schon fast mantrahaft beschworene Versöhnung von Ökonomie und Ökologie dürfte zum größten Prüfstein für CDU und Grüne werden. Laut Sondierungspapier wollen beide Parteien in den kommenden fünf Jahren mindestens 1000 zusätzliche Windkraftanlagen errichten und sämtliche für Photovoltaik geeigneten Flächen tatsächlich nutzen. Die pauschale 1000-Meter-Abstandsregelung zwischen Windrädern und Wohnbebauung soll fallen. Was auf dem Papier so schön einhellig klingt, birgt in der Umsetzung noch jede Menge Stolperstellen.

Zumal Schwarz-Grün aus Sicht der NRW-Wirtschaft nur die zweitbeste Lösung ist. An der schwarz-gelben Landesregierung der vergangenen fünf Jahre gab es seitens der Unternehmer kaum Kritik. Union und FDP waren ihre Wunschkonstellation. Dennoch hat Schwarz-Grün für die Arbeitgeber den einstigen Schrecken verloren, was auch die hohe Akzeptanz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zeigt.

Wirtschafts- und Klimaministerium wie in Berlin

In Düsseldorf läuft es nun – nach Berliner Vorbild – auf ein Wirtschafts- und Klimaministerium zu, das voraussichtlich von Grünen-Chefin Mona Neubaur geführt wird. Sie verfügt zwar über keinerlei parlamentarische und exekutive Erfahrung, gilt den Unternehmern aber als pragmatische Realo-Politikerin, mit der sie sich womöglich gut arrangieren können.

Neubaur wird von der NRW-Wirtschaft daran gemessen werden, dass sie investitionsfreundliche Rahmenbedingungen im Land erhält und die digitalen Transformationsprozesse vorantreibt. Dabei ist es zweifelsohne ein Startvorteil, dass einstige Grabenkämpfe - etwa um Tagebau oder Kohleausstieg - weitestgehend ausgeräumt sind und nicht neu ausgefochten werden müssen. Am Ausstiegsdatum 2030 für die Kohle zum Beispiel wollen sowohl CDU als auch Grüne festhalten.

Problemfeld Bildungspolitik

Schwarz-Grün wird aber auch auf anderen Problemfeldern zeigen müssen, dass das Bündnis neue und bessere Antworten hat als die Vorgängerregierung. Zum Beispiel in der Bildungspolitik: Hier ist es richtig, Grundschullehrer besser zu bezahlen und noch mehr Stellen zu schaffen.

Aber schon jetzt steht fest, dass die Schulpolitik auch im kommenden Herbst und Winter von der Pandemie überlagert werden dürfte. Dann wird sich zeigen, ob es möglich ist, einen sicheren Präsenzunterricht ohne die chaotischen Zustände der Vergangenheit zu organisieren. Sollte das nicht gelingen, könnte das Vertrauen der Bürger in einen Neustart mit Schwarz-Grün schnell verspielt sein.

Ideologische Feindbilder

Beim Thema Innere Sicherheit stellt sich die Frage, inwieweit die Grünen es zulassen werden, dass der bisherige Innenminister Herbert Reul (CDU) seinen Law-and-Order-Kurs fortsetzt. Hier könnte es für beide Partner mit am schwersten werden, ideologische Feindbilder zu überwinden.

Und auch in der Sozialpolitik muss das neue Bündnis neue Wege finden. Will Schwarz-Grün erfolgreich sein, darf es nicht als Bündnis der „Besserverdienenden“ wahrgenommen werden. Konzepte, Wohnraum bezahlbarer zu machen, stammten bislang aber vor allem aus der Feder der SPD. In der Verkehrspolitik wird es auf einen ausgewogenen Mix ankommen. Eine autofeindliche Politik hilft den Menschen auf dem Land, wo Lastenfahrräder oft noch exotische Gefährte sind, nicht weiter.

Regierungsbildung im Rekordtempo

Bleibt es beim Fahrplan zu Schwarz-Grün, ist das ein erster großer Erfolg des designierten Führungsduos Wüst/Neubaur. Allerdings liegt die Regierungsbildung im Rekordtempo auch daran, dass es keine ernsthaften Alternativen gibt. Die FPD hat bei einer theoretisch möglichen Ampel frühzeitig abgewinkt, und eine große Koalition will nun wirklich niemand.

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Wüst und Neubaur werden sich nun wohl Ende Juni als schwarz-grüne Gipfelstürmer feiern lassen können. Nach der Sommerpause warten die Mühen der Ebene. Prüfungen und Rückschläge auf dem Weg zur selbsternannten ersten klimaneutralen Industrieregion Europas wird es zur Genüge geben. Im Umgang mit den unausweichlichen Konflikten wird sich zeigen, ob Wüst und Neubaur ihre immer noch so verschiedenen Parteilager im Griff behalten können.

In der „Versöhnung von Gegensätzen“ liegt der große Reiz und eine große Zukunftschance für NRW. Aber auch eine ständige Gefahr für die Stabilität des Bündnisses.

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