Kommentar zur Vergabe von StudienplätzenAuswahl nach Abiturnote ist absurd

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Eröffnung der mündlichen Verhandlung in Sachen Numerus Clausus zum Studium der Humanmedizin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Versetzen wir uns kurz in die Lage eines Personalchefs eines großen Unternehmens, das attraktive Jobs anzubieten hat. Wäre es klug, die Stellen nur anhand der schriftlichen Unterlagen zu vergeben? Nein. Ein Personalchef, der so vorginge, müsste sich wohl selbst bald einen neuen Job suchen.

Doch genau so wird in Deutschland noch immer eine große Zahl von Studienplätzen vergeben. Es zählt: die Abiturnote. Der andere Weg zu einem Platz im Traumfach ist, absurd lang zu warten – bis zu 15 Semester, länger als das Studium selbst. Weil sie aus eigener Sicht keine reale Chance sehen, haben abgelehnte Bewerber für ein Medizinstudium Klage eingereicht. Das Bundesverfassungsgericht befasst sich mit der Sache.

Unabhängig von juristischen Finessen ist es überfällig, dass sich Politik und Hochschulen kritisch mit dem Numerus-clausus-Verfahren auseinandersetzen. Denn eine Auswahl in erster Linie anhand der Abiturnote ist in vielerlei Hinsicht weder fair noch sinnvoll.

Noten sind bedingt vergleichbar. Zwar haben sich im vergangenen Schuljahr die Bundesländer in einigen Fächern aus einem gemeinsamen Aufgabenpool für das Abitur bedient. Doch diese machen nur einen Teil der Prüfung aus. In jedem Jahr unterscheidet sich der durchschnittliche Abiturschnitt von Bundesland zu Bundesland.

Wird der Einser-Abiturient auch der bessere Arzt?

Das Leben lässt sich nicht in eine DIN-Norm pressen. Eigentlich sollte das kein Drama sein. Mit Abstand versteht manch ein Schüler vielleicht sogar, dass er besonders viel von dem Geschichtslehrer gelernt hat, der mit guten Noten geizte. Oder dass es ihn als Person weitergebracht hat, sich mit einem unfairen Lehrer auseinanderzusetzen. Allein: Wenn ein minimal schlechterer Schnitt entscheidet, ob jemand sein Traumstudium aufnehmen darf, werden Ungerechtigkeiten zur individuellen Katastrophe.

Vor allem aber gilt: Sehr gute Noten führen nicht automatisch zum besten Bewerber. Ein Spitzenabitur zeigt, dass sich jemand gut Inhalte aneignen und strukturiert arbeiten kann. Aber wird ein Einser-Abiturient auf jeden Fall ein besserer Arzt? Was ist mit kommunikativen Kompetenzen und der Fähigkeit zur Empathie? Sind sie aus Noten abzulesen? Ähnliche Überlegungen lassen sich für andere Fächer anstellen.

Eine Möglichkeit, Probleme bei der Studienplatzvergabe zu verringern, ist, dass der Staat in bestimmten Bereichen sein Angebot überprüft und mehr Studienplätze anbietet. Ein Medizinstudium ist teuer – aber Ärzte werden auch gebraucht. Auch in anderen Fächern gibt es an den Unis Engpässe. Dass Bildung Priorität haben soll, ist Teil einer jeden Wahlkampf- und Sonntagsrede. Gesucht sind: Antworten im Alltag.

Der einzelne Mensch muss im Blick sein

Unabhängig davon, dass in die Hochschulen investiert werden muss, ist klar: Die Studienplatz-Vergabe kann besser organisiert werden. Neben der Note sollten auf das Fach zugeschnittene Tests und persönliche Auswahlgespräche eine größere Rolle spielen. Es geht darum, den einzelnen Menschen in den zu Blick nehmen, zu schauen, ob er für ein bestimmtes Fach geeignet ist und Engagement mitbringt. Einbezogen werden sollte auch, ob jemand es aufgrund seiner Biografie besonders schwer hatte, ein Spitzenabitur zu machen. Schon die derzeitigen Regeln ermöglichen Universitäten, Tests und Gespräche bei vielen der umkämpften Plätze zumindest einzubeziehen – theoretisch. Praktisch scheuen viele Hochschulen den immensen Aufwand.

Eine neue Auswahlkultur würde auch Einser-Abiturienten schützen. Davor, sich vielleicht für das falsche Fach zu entscheiden – nur, weil die Note reicht. Aber im Einzelfall auch davor, am NC zu scheitern. Liegt dieser bei 1,0, müssen jene mit einem schwächeren 1,0-Abitur gegenüber denen zurückstehen, die ein paar Unterpunkte mehr gesammelt haben. Absurder geht es nicht mehr.

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