Lamya Kaddor„Islamkritiker geben mich zum Abschuss frei“

Lesezeit 3 Minuten
Lamya Kaddor

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Autorin und Religionspädadogin.  1978 als Tochter syrischer Einwanderer in Ahlen geboren. Langjährige Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes.

Frau Kaddor, Sie haben sich aus Sicherheitsgründen vom Schuldienst beurlauben lassen. Was ist passiert?

Es gibt einen massiven Ansturm von Hassmails, Bedrohungen und übelsten Beschimpfungen gegen mich. Dazu kommen Blogeinträge von Intellektuellen in diesem Land, die meinen, mich unmöglich machen zu müssen. Jahrelang war ich die Vorzeigemuslimin und habe die Muslime kritisiert, habe vor dem Salafismus gewarnt, jetzt habe ich gewagt, auch einmal den Blick in die Mehrheitsgesellschaft zu werfen und auf Missstände hinzuweisen. Dafür werde ich jetzt zum Abschuss freigegeben.

Wen meinen Sie damit und was werfen die Ihnen vor?

Das sind Leute wie der Islamkritiker Henryk M. Broder und Regina Mönch in der „FAZ“ oder das Blog von Roland Tichy, die gegen mich schießen. Ich habe gesagt, dass Integration eine Bewegung von allen Seiten aufeinander zu bedeutet und dass somit alle Teile einer Bevölkerung eine Bringschuld haben. Ich führe sachliche Kritik auch an Missständen in unserer Gesellschaft an. Doch das führt inzwischen dazu, dass ernsthaft bezweifelt wird, dass ich studierte Islamwissenschaftlerin oder gar deutsche Staatsbürgerin bin.

Was hat deren Kritik mit ihrer Entscheidung von heute zu tun?

Die Hassmails, die ich bekomme, verweisen ausdrücklich auf diese Artikel. „Heil Hitler, Du bist Jüdin, man sollte Dich vergasen, Du Nutte“, heißt es da. „Wenn es dunkel wird, dann kommen wir Dich holen“. Da sind konkrete Morddrohungen darunter. Und immer wieder das Narrativ, ich hätte IS-Sympathisanten ausgebildet. Jeder sollte inzwischen wissen, dass diese ehemaligen Schüler bereits vor Jahren ihre Abschlüsse gemacht hatten, bevor sie nach Syrien gingen.

Sie nehmen das offenbar so ernst, dass Sie sich nicht mehr auf die Straße trauen?

Nein, das nicht. Soweit ist es nicht. Es geht ja nicht nur um meine Sicherheit. Ich unterrichte Kinder. Ich habe auch eine Verantwortung meinen Schülern und Kollegen gegenüber. Es kann mir doch keiner garantieren, dass dort nichts passiert in dieser aufgeheizten Stimmung, die wir derzeit erleben. Jeder weiß doch, wo ich arbeite. Ich habe daraus die Konsequenzen gezogen.

Gibt es eine neue Fremdenfeindlichkeit in diesem Land?

Fremdenfeindlichkeit ist nicht neu. Das gibt es in jeder Gesellschaft. Der Rassismus macht sich jetzt an den Muslimen fest. Doch mit den Pegida-Demonstrationen, mit dem Erstarken der AfD, mit der Debatte des SPD-Politikers Thilo Sarrazin um Kopftuchmädchen haben wir einen Dammbruch erlitten. Ich beobachte eine völlige Enthemmung. Und ich sage mir, wenn man schon mit mir, die sich permanent zum Rechtsstaat bekennt, die sich für das Miteinander einsetzt, gegen jegliche Form islamistischen Extremismus kämpft und dafür zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhielt, ein Problem hat – wie ergeht es dann den anderen sogenannten Fremden?

Ich bekomme jeden Tag Emails von Deutschrussen, von Menschen jüdischen Glaubens, von Deutsch-Italienern und anderen Deutschen mit ausländischer Abstammung, die sich über Anfeindungen beklagen. Es gibt diesen Rassismus in bestimmten Teilen der Gesellschaft. Das muss man auf größerer Ebene endlich diskutieren und offen ansprechen können. Wer nur den Islamismus problematisiert, so notwendig und wichtig das ist, misst mit zweierlei Maß. Fremdenfeindlichkeit muss genauso geächtet werden.

KStA abonnieren