Cold CasesNRW baut Datenbank für ungeklärte Mordfälle auf

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Mai 1987: Ermittler am Tatort in Lohmar

Düsseldorf – Das Grab von Claudia O. ist stets perfekt gepflegt. Am 9. Mai 1987 war die damals 23-Jahre alte Gastwirtstochter in Lohmar erdrosselt in ihrem Badezimmer aufgefunden worden. Der Fall erschütterte die Menschen, auch weil der Täter nicht ermittelt werden konnte. Nach 30 Jahren aber scheint es jetzt, als bleibe der Mord doch nicht ungesühnt. Durch die verbesserte Analysetechnik bei der Auswertung der DNA-Spuren wurde der heute 61-jährige Detlef M. als dringend Tatverdächtiger ermittelt. Die Profiler des Landeskriminalamts (LKA) in Düsseldorf hatten sich den „kalten Fall“ („Cold Case“) zusammen mit den Ermittlern aus Bonn noch einmal vorgenommen.

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Andreas Müller, Chef des Profiler-Teams im Düsseldorfer LKA

Die Aufklärungsquote von Kapitalverbrechen ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Delikten bemerkenswert hoch. Laut Statistik konnten im Jahr 2016 genau 93,2 Prozent aller Fälle geklärt werden. Der Fortschritt in der Kriminaltechnik fördert fast in allen Fällen verwertbare Spuren zu Tage. Inzwischen müssen sich auch jene Täter, die jahrzehntelang unentdeckt blieben, darauf einstellen, dass die Polizei doch noch vor der Tür steht.

„Wir sind dabei, eine Cold-Case-Datenbank einzurichten“, sagt Andreas Müller, Chef des Profiler-Teams im Düsseldorfer LKA, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Wir wollen erstmals alle Fälle, die in der Vergangenheit nicht aufgeklärt wurden, zusammenstellen und systematisch abarbeiten. Geplant ist, dass wir bis in die 70er Jahre zurückgehen. Wir gehen davon aus, dass zunächst 900 Fälle in die Datenbank aufgenommen werden.“

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Das Grab von Claudia O. auf dem Friedhof  in Wahlscheid

Zunächst werden Fälle mit DNA-Spuren untersucht

Das LKA will dabei gezielt zunächst jene Alt-Fälle untersuchen, bei denen DNA-Material gefunden wurde. „Wir müssen eine Prioritätenliste erstellen“, sagt Chefprofiler Müller. Im Focus stehen Delikte, bei denen zum Beispiel mehrere unterschiedliche DNA-Spuren an der Leiche gesichert wurden. „Wir nutzen unser Instrument der »Operativen Fallanalyse« (OFA), um das Spurenensemble dahingehend zu deuten, zu welchem Zeitpunkt der Tat die Spuren entstanden sind, welche vom Täter stammen dürften und welche Rückschlüsse zum Tathergang und zur Motivlage zu ziehen sind.“

Früher benötigten die Kriminaltechniker mehrere Hautschuppen, um einen DNA-Strang identifizieren zu können. Heute reicht dafür ein einziger Zellkern aus. Es kann sich also für die Ermittler durchaus lohnen, einen alten Pullover noch mal auf Spuren anzusehen. Die Aufklärung von alten Fällen ist laut Müller ein Schwerpunkt im Aufgabengebiet des LKA. In der Landesoberbehörde ist das Know How für kriminaltechnische und erkennungsdienstliche Untersuchungen gebündelt. Die Profiler sind langjährige Kripo-Ermittler, die sich über viele Jahre mit Sexual- und Tötungsdelikten befasst haben.

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Mai 1987: Ermittler am Tatort in Lohmar

Diese Erfahrung bringt das Team jetzt mit ein, wenn es um die Suche nach den Tätern geht, die bislang davonkamen. Die Zeiten, in denen nicht erwischte Mörder ruhig schlafen konnten, dürften in NRW vorbei sein. NRW-Innenminister Herbert Reul sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Mord verjährt nicht. Wir sind es nicht nur den Opfern schuldig, solche Verbrechen zu sühnen. Deshalb ist die Cold-Case-Datenbank ein wichtiges Signal: Diese Akten werden nicht einfach geschlossen.“ Der CDU-Politiker ist sicher: „Irgendwann fassen wir die Täter.“

Kripo: Mordermittler sind völlig überlastet

Bei der Kripo kommt der Vorstoß des LKA gut an. Oliver Huth, stellvertretender Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, die Mordermittler in den Polizeibehörden seien völlig überlastet mit aktuellen Vorgängen und müssten sich zum Teil gar mit gefährlichen Körperverletzungen befassen. „Da bleibt den Kollegen keine Zeit, sich mit alten Fällen zu befassen“, so Huth. Auf den Tischen türmten sich jeden Tag neue Akten. „Da fragt keiner: »So, was machen wir denn heute mal?«“, sagt der Gewerkschafter.

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Doppelmörder Detlef M. 1988 beim Prozess in Arnsberg

Die Mordkommissionen, die nach einem Leichenfund gebildet werden, würden meist nach ein paar Wochen wieder aufgelöst, wenn es keine heiße Spur gibt. „Aus den Augen heißt aber nicht immer auch aus dem Sinn“, betont Huth. „Wenn Mordfälle nicht aufgeklärt werden können, ist das nicht nur für die Angehörigen, sondern auch für die Fahnder eine große Belastung.“

Der mutmaßliche Mörder von Claudia O. sitzt schon seit langem in der JVA-Rheinbach ein. Er hatte 1988, ein Jahr nach dem Tod der jungen Frau, eines der spektakulärsten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte begangen. Detlef M. tötete einen 15 Monate alten Jungen und dessen Großmutter und täuschte eine Entführung vor. Dafür wurde er wegen zweifachen Mordes, Entführung, Erpressung und schweren Raubes zu lebenslanger Haft verurteilt.

M. hatte sich auf seine mögliche Haftentlassung vorbereitet. Daraus wird wohl nichts. Das Siegburger Amtsgericht erließ auf Grundlage der neuen Erkenntnisse einen Haftbefehl.

DNA-Analysen lieferten 2017 fast 4900 Treffer

Einbrüche, Tötungsdelikte: Die Kriminaltechnik des NRW-Landeskriminalamtes hat 2017 fast 4900 Treffer bei der Untersuchung von DNA-Spuren erzielt und so einen wichtigen Beitrag zur Verbrechensbekämpfung geleistet. Die Trefferzahl ging zwar im Vergleich zum Vorjahr um rund 1600 zurück, doch die überdurchschnittlich hohe Zahl von damals sei hauptsächlich durch einen Rückstau von Analysen aus dem Jahr zuvor zustande gekommen, sagte ein Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA).

In fast 4000 Fällen stießen die Techniker auf bestehende Personendatensätze – vielfach „alte Bekannte“ der Justiz. Unter anderem konnten so Tötungsdelikte aufgeklärt werden. Der überwiegende Teil der Treffer seien Einbrüche gewesen.

Im Jahr 2016 hatten die Techniker mit 6548 Treffern einen Rekord seit der Einführung der DNA-Analysedatei 1998 erzielt. 2015 gab es 4772 Treffer, ein Jahr zuvor werteten die Kriminalisten 4907 DNA-Spuren erfolgreich aus.

Ein erfolgreicher DNA-Abgleich mit bereits bekannten Daten führe nicht zwangsläufig zu einem Täter, sagte LKA-Sprecher Frank Scheulen. Im Vorjahr ließen sich in 996 Fällen, die die Techniker als „Spur-Spur“-Treffer bezeichnen, Verbrechen zunächst nur einem unbekannten Täter zuordnen. Es wurden aber Tatserien oder -muster erkannt.

Mit der Auswertung von Spuren sind im Landeskriminalamt NRW 260 Wissenschaftler und Techniker beschäftigt. 2017 gingen in den Laboren 46 000 Untersuchungsanträge ein, damit verbunden waren 120 000 Asservate. In der bundesweiten DNA-Analyse-Datei sind rund 1,2 Millionen Datensätze gespeichert, aus NRW stammen 264 247 Informationen. Darunter sind die „genetischen Fingerabdrücke“ von mehr als 193 000 Menschen und mehr als 70 800 Spurendaten. (dpa)

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