Millionen-ProjektRekordbau Hochmoselbrücke – Schandfleck oder Highlight?

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Die Hochmoselbrücke am ersten Tag nach der Verkehrsfreigabe.

Die Hochmoselbrücke am ersten Tag nach der Verkehrsfreigabe.

  • Reportage über ein ebenso gigantisches wie umstrittenes Bauprojekt.

Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, seit Deutschlands spektakulärstes und gewaltigstes Viadukt dieses Jahrtausends vollendet wurde: die Hochmoselbrücke, atemberaubend tief geht es hinab, sie ist höher als der Kölner Dom, und sie war zeitweise so heftig umstritten wie der BER-Hauptstadt-Airport oder Stuttgart 21.

Inzwischen verschwand sie sang- und klanglos aus den Schlagzeilen und fristet zunehmend ihr Dasein als abgelegener Geheimtipp. Die größte Stadt der Gegend ist Wittlich mit 19.000 Einwohnern. Irgendwo zwischen Vulkaneifel und Hunsrück endet die Strecke praktisch im Nichts. Aus der Autobahn 60 schrumpft sie zur Bundesstraße 50, von Kilometer zu Kilometer immer schmaler in Richtung Naturpark Saar-Hunsrück. Sie endet schließlich in einem kleinen Kreisverkehr unweit der mittelalterlichen Ruine „Stumpfer Turm“, Betreten verboten. Allerdings fehlt bisher absehbar jeder Anschluss zum Autobahnnetz in Richtung Rhein-Main-Gebiet, so dass auf der Hochmoselbrücke kaum Betrieb herrscht. Noch eine Viertelstunde dauert von hier die Fahrt über die Hunsrückhöhenstraße zum sogenannten „Flughafen Frankfurt-Hahn“, der von der Schließung bedroht ist.

Wie viele Fahrzeuge die hochfliegende Moselstrecke tatsächlich befahren, bleibt ein Geheimnis. Das Bundesverkehrsministerium verschob den Termin der turnusmäßigen Zählung kurzerhand ins Jahr 2021. Vermutlich wären die Nutzungszahlen frustrierend gering gewesen, zumal die Brücke mit ihren Zufahrten fast eine halbe Milliarde Euro teurer wurde. Das lag an den schwierigen Verankerungen zur Absicherung des steilen Ürziger Moselhangs, um die Rutschfestigkeit der Gründungspfähle zu vergrößern. 

Vor der offiziellen Eröffnung begehen Tausende Besucher im Nebel beim Bürgerfest die Hochmoselbrücke.

Vor der offiziellen Eröffnung begehen Tausende Besucher im Nebel beim Bürgerfest die Hochmoselbrücke.

Techniker lobten den Bau als ingenieurtechnische Meisterleistung. Über acht Jahre war das Projekt die größte Brückenbaustelle Europas. Seit dem 21. November 2019 ist sie mit 1,7 Kilometern Länge und 158 Metern Höhe als zweithöchste Brücke Deutschlands in Betrieb, nur übertroffen von der Kochertalbrücke bei Schwäbisch Hall (Autobahn 6, 1100 Meter lang, 185 Meter hoch, eröffnet 1979). Unübertroffen ist freilich der rheinland-pfälzische Aufwand für die Ökologie, insbesondere für den Schutz wilder Tiere. In kurzen Abständen überqueren aufwendige Grünbrücken die Fahrbahnen. Offenbar funktioniert der Wildwechsel hervorragend. Die Tiere rund um die Moselregion haben gelernt, den Asphalt zu meiden.

Das Landschaftsbild wirkt zwar aus menschlicher Sicht etwas steril, aber hohe Zäune verhindern plattgefahrene Kadaver. Praktisch unsichtbar bleibt nicht nur die Natur, sondern auch das liebliche Moseltal von oben: Fußgänger und Fahrräder dürfen die Hochbrücke nicht befahren, während Autoinsassen dank der Milchglasseitenscheiben kaum in Richtung Tiefe abgelenkt werden. Selbst bei herrlichstem Wetter währt allzu kurz das Gefühl, die malerische Weinlandschaft zu überschweben. Sie lässt sich nur erahnen. Die Abfahrt zum „Moselblick“ mit WC und Parkplatz bleibt versperrt.

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So touristisch reizvoll diese Anlage knapp unterhalb der Brücke sein mag – man muss noch viele Monate Geduld üben. Da es kein normaler Parkplatz werden soll, wurde europaweit zur Gestaltung ein Realisierungswettbewerb ausgeschrieben. Als erster Preisträger bekam der Krefelder Landschaftsarchitekt René Rheims den Zuschlag. Dafür wird zurzeit ein „Erlebnisweg“ vorbereitet, ein tausend Meter langer Steg an der Hangkante mit aufwendiger Stahlkonstruktion, dazu eine Grillhütte mit Bolzplatz und Spielmöglichkeiten. Rund fünf Millionen Euro soll die außergewöhnliche Hunsrück-Rastanlage für 48 Autos und zehn Busse kosten. „Wir sind baulich schon dabei und schreiben munter weiter aus“, verspricht Birgit Küppers, Sprecherin des Landesbetriebs Mobilität Rheinland-Pfalz aus Koblenz, Baubeginn voraussichtlich ab 2021. Es könnte also noch ein, zwei Jahre dauern, bevor die durchgekreuzten „Moselblick“-Schilder entfernt werden können.

Idyllische Winzerorte

So bleibt künftig weiterhin nur der Weg ins Tal selbst, um auf die Brücke zu sehen. Ist sie nun ein Schandfleck für das idyllische Moseltal oder ein echtes Highlight? Darüber lässt sich streiten. Wegen der verschlungenen engen Flussschleifen erblicken Reisende in beiden Richtungen erst kurz vor dem Ziel einen langgezogenen schmalen Strich über den Bergen. Die idyllischen Winzerorte wie Ürzig liegen derart weit oben, dass man die Brücke von dort kaum wahrnimmt.

Selbst die Grünen gaben schließlich der Landesregierung ihren Segen, die Proteste wurden leiser. Inzwischen ist das abgelegene Viadukt fast wieder vergessen. Gleichwohl wirkt es architektonisch bestechend elegant im Kontrast zwischen den Riesling-Rebstock-Hängen. Mag der allzu aufwendige Bau sündhaft überteuert gewesen sein, ohne der strukturschwachen Region entsprechend zu nutzen, aber ein Ausflug an die Grenzen des Machbaren lohnt sich unbedingt.  

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