Missbrauchte Ordensfrau„Priester haben kein natürliches Verhältnis zu Sexualität“

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  • Wie soll die katholische Kirche mit Missbrauch umgehen? Der Papst hat Bischöfe aus aller Welt zu einem Gipfel nach Rom beordert.
  • Die Ex-Ordensfrau Doris Wagner wurde selbst von einem Priester vergewaltigt.
  • Ein Interview über härtere Strafen und das Recht auf Selbstbestimmung.

Frau Wagner, was erwarten Sie von dem Bischofstreffen in Rom, das Papst Franziskus angesichts des weltweiten Missbrauchsskandals einberufen hat? Doris Wagner: Der Papst selbst hat die Erwartungen ja schon denkbar weit heruntergeschraubt, und daran hat er recht getan. Ich glaube nicht, dass dieses Treffen zu irgendeinem Fortschritt im Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch führen wird. Dazu reichen die vier Tage nicht, und auch die Beratungen selbst müssten ganz anders laufen.

Wie denn? Und wie lange müssten die Beratungen dauern, wenn daraus nicht gleich ein Konzil werden soll?

Wieso eigentlich kein Konzil? Das Ausmaß der Krise, das in der Kirche offensichtlich immer noch nicht verstanden ist, würde wahrlich ein Konzil erfordern. Der Skandal des Missbrauchs ist ja nur ein, wenn auch ein besonders schmerzliches Symptom der aktuellen Krise. Und schon dafür wäre ein Konzil oder mindestens eine Synode die angemessene Reaktion.

Die beiden jüngsten Synoden zu Familie und Jugend haben keine erkennbare Reformdynamik entfaltet. Eher im Gegenteil: In Fragen der Sexualmoral haben sich eher die reaktionären Kräfte durchgesetzt.

Weil diese Synoden nach alter Väter Sitte von Bischöfen dominiert waren. In einer Synode zur Bekämpfung des Missbrauchs dagegen müssten Experten und Betroffene in mindestens gleicher Zahl und mit gleicher Entscheidungskompetenz vertreten sein. Es entsetzt mich, ehrlich gesagt, dass die Kirche in bestimmten Fragen der Sexualmoral – etwa der Homosexualität – für Respekt vor angeblichen kulturellen Besonderheiten plädiert. Strafrechtliche Verfolgung Homosexueller ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Genau wie sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen immer und überall ein Verbrechen ist. Gerade eine Weltkirche müsste hier unmissverständlich Position beziehen.

Ärgert es Sie, gerade vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Erfahrung mit sexuellem Missbrauch, dass erwachsene Frauen als Opfer bei dem Treffen in Rom keine Rolle spielen?

Sie haben ja jahrzehntelang keine Rolle gespielt, und das würde sich im Grunde sogar fortsetzen, wenn das Thema jetzt noch schnell auf die Agenda dieses Treffens käme. Die sexuelle Ausbeutung von Frauen in pastoralen Beziehungen muss gesondert und umfassend aufgearbeitet werden – und nicht mal so nebenbei. Dafür ist die Dramatik viel zu groß.

Was denken Sie, wie groß?

Ich wäre vermutlich mit meiner eigenen Missbrauchsgeschichte nicht an die Öffentlichkeit gegangen, wenn nicht klar wäre, wie erdrückend die Faktenlage insgesamt ist. Seit den 1990er Jahren sind Fälle aus mehreren Dutzend Ländern bekannt, zudem liegen auch Forschungsergebnisse vor.

Daraus nur eine Zahl aus den USA: Dort haben 30 Prozent der befragten Ordensfrauen angegeben, Opfer sexueller Übergriffe durch Priester geworden zu sein. Das alles ist in Rom längst bekannt, und schon deshalb erledigt sich alles Abwiegeln und Herunterspielen.

Welche Konsequenzen fordern Sie?

Vom Staat würde ich mir in Deutschland eine Gesetzgebung wünschen, die pastorale Beziehungen genauso behandelt wie psychotherapeutische. Es müsste klar sein, dass es in einem Seelsorge-Verhältnis keine sexuellen Beziehungen zwischen Seelsorgern, seien es Priester oder Laien, und Ratsuchenden oder Schutzbefohlenen geben darf. Selbst wenn diese eine solche sexuelle Beziehung für einvernehmlich halten sollten, verletzt sie das Berufsethos und müsste strafbewehrt sein.

Und mit Blick auf die Kirche?

Die Kirche weist Frauen – insbesondere Ordensfrauen – strukturell und theologisch die Rolle zu, für andere verfügbar zu sein und ihre eigenen Bedürfnisse hintenan zu stellen. Das ist das Einfallstor schlechthin für jede Form von Missbrauch. Hinzu kommt eine überkommene Moral, die Menschen auch nicht ansatzweise zu einer selbstbestimmten Sexualität befähigen will, sondern sexuelle Bedürfnisse entweder tabuisiert oder die sexuelle Praxis in völlig überzogener Weise verklärt.

Verklärt?

Ja sicher! Nicht selten behaupten Kirchenvertreter, Sexualität sei das größte Geschenk Gottes überhaupt, und nehmen gleichzeitig eine äußerst strenge Haltung zur Sexualität. Vorstellungen von Sündhaftigkeit einerseits und Entrücktheit andererseits - das ist eine Kombination, die Missbrauch bei Priestern und Ordensmännern begünstigt, weil ihre Gelübde ihnen kein entspanntes, natürliches Verhältnis zur eigenen Sexualität erlauben. Hier müssten echte Veränderungen ansetzen.

Welche Veränderungen?

Der Schlüsselbegriff lautet: Selbstbestimmung. Jeder Mensch soll in der Kirche über sein Handeln, sein Fühlen, seinen Glauben selbst bestimmen dürfen. Und jeder Versuch kirchlicher Autoritäten, dies auszuhebeln, ist ein Übergriff. Wer das bestreitet, verteidigt ein repressives System – mit allen schlimmen Folgen. Wer stattdessen Selbstbestimmung einmal als zentralen Wert anerkennt hat, kommt ganz selbstverständlich zu der Konsequenz, dass etwa Menschen, die nicht oder nicht mehr sexuell enthaltsam leben wollen, das auch nicht müssen.

Eine Kirche, die ihre Sexualitätsfixierung aufgeben und damit aufhören würde, die Sexualität der Menschen zu sanktionieren, würde damit etwas tun, was noch viel grundsätzlicher geboten ist: Aufhören, so zu tun, als gäbe es höhere Instanzen, die „gottgewollt“ über das Leben der Menschen entscheiden dürfen. Mit solchen irrigen Vorstellungen Schluss zu machen, wäre ein Weg hin zur „Freiheit der Kinder Gottes“. 

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