Mörder und Sextalstraftäter auf freiem Fuß27.000 Haftbefehle nicht vollstreckt

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Biesenbach dpa

Peter Biesenbach (CDU), Justizminister von Nordrhein-Westfalen.

Köln – In NRW werden derzeit rund 27.298 Haftbefehle nicht vollstreckt. Das geht aus einem Bericht von NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) für den Rechtsausschuss hervor, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Darin heißt es, die Staatsanwaltschaften seien lediglich für die Ausschreibung zur Festnahme zuständig – nicht aber für die Fahndung. Dies sei eine „polizeiliche Kernaufgabe“.

Unter den Verdächtigen sich die auf freiem Fuß befinden, befinden sich der Vorlage zu Folge 526 mutmaßliche Sexualstraftäter, 292 Mordverdächtige, 298 mutmaßliche Totschläger und 42 Täter, die wegen Menschenhandel, Zwangsprostitution, Kinderhand und Geiselnahme gesucht werden.

Zum Teil seien die Verdächtigen im Ausland und könnten nur bei ihrer Widereinreise gefasst werden, schreibt das Justizministerium. In anderen Fällen sei die Nichtvollstreckung eines Haftbefehls eine „probate Sachbehandlung“, weil die Haft durch eine Geldstrafe abgewendet werden solle.

SPD kritisiert Biesenbach und Reul

Die Opposition im Düsseldorfer Landtag will sich mit solchen Erklärungen nicht zufrieden geben. „Unterm Strich gibt es in NRW fast 27.300 nicht vollstreckte Haftbefehle. Davon sind allein 590 Personen des Mordes oder des Totschlags verdächtig. Die laufen offen auf der Straße rum“, kritisiert Sven Wolf, Rechtsexperte der SPD-Landtagfraktion. Justizminister Biesenbach und NRW-Innenminister würden sich dafür gegenseitig die Verantwortung zuschieben. „Das ist unverantwortlich und hat mit Null-Toleranz nichts zu tun. Das erinnert eher an Räuber und Gendarm“, sagte Wolf. Bei der Landesregierung zeige sich „erneut viel Rhetorik und Inszenierung, aber wenig entschiedenes Handeln. Polizei und Justiz müssen der Vollstreckung von Haftbefehlen wegen schwerster Kapitalverbrechen allerhöchste Priorität beimessen und hier gezielt gemeinsam den Fahndungsdruck erhöhen.“

Fallzahlen bei offenen Haftbefehlen sind rückläufig

Christian Mangen, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, erklärte, die Erhebung nicht vollstreckter Haftbefehle sei immer nur eine Momentaufnahme. „Im Verhältnis zur letzten Erhebung weisen die aktuellen Zahlen des Innenministeriums einen Rückgang von 6,18 Prozent auf“, sagte Mangen unserer Zeitung.  Zudem seien wegen der Corona-Pandemie Haftstrafen von unter zwölf Monaten in NRW vorerst aufgeschoben worden.

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Die CDU sieht das ähnlich. „Die Zahlen zu nicht vollstreckten Haftbefehlen müssen differenziert betrachtet werden und sind keineswegs in ihrer Gesamtheit Indiz für Lücken in der Strafverfolgung“, sagte die Abgeordnete Angela Erwin. In den meisten Fällen handele es sich um sogenannte vorbeugende Haftbefehle, die sich auf straffällige Ausländer beziehen würden. „In diesen Fällen sind Abschiebungen aus der Haft in das Heimatland des Verurteilten erfolgt, verbunden mit der klaren Ansage, dass der Verurteilte im Falle der unerlaubten Wiedereinreise unverzüglich verhaftet wird und die Reststrafe absitzen muss.“

Die Grünen zeigen sich enttäuscht darüber, dass de Justizminister in der Sitzung des Rechtsausschusses keine Vorschläge geliefert habe, wie die hohen Zahlen von offenen Haftbefehlen mit Hilfe der Justiz gesenkt werden könnten. Rechtsexperte Stefan Engstfeld sagte:  "Das ist sicherlich nicht die richtige Herangehensweise, die Hände in den Schoß zu legen und mit dem Finger nur auf die Polizei zu zeigen."

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