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Nach Attac-UrteilEx-Verfassungsrichter sieht gemeinnütziges Engagement gefährdet

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Eine Fahne von Attac

Eine Fahne von Attac

Michael Bertrams war Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW. Er spricht über aktuelle Streitfälle sowie rechtspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen, in diesem Fall über das Urteil des Bundesfinanzhofes zur Organisation Attac.

Herr Bertrams, was ist gemeinnützig?

Alles, was dem Gemeinwohl dient. In steuerrechtlicher Perspektive versieht die Abgabenordnung 25 Förderungszwecke mit dem Prädikat „gemeinnützig“. Darunter fallen die Jugend- und Altenhilfe, Kunst und Kultur, der Denkmalschutz, Volksbildung, Natur- und Tierschutz, Rettung aus Lebensgefahr, Flüchtlings- und Gefangenenhilfe, Sport, Verbraucherschutz, Heimatpflege und Heimatkunde. Dahinter steht der Wunsch, zivilgesellschaftliches Engagement zu erhalten, das in vielen Fällen nur mit einem spendenfinanzierten Grundpolster möglich ist.

Die globalisierungskritische Bewegung Attac soll nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs nicht unter all diese Kategorien fallen.

Attac beschäftigt sich auf breiter Grundlage mit den Problemen der globalisierten Welt, verfolgt darüber hinaus aber auch sehr konkrete politische Zwecke. Diese nun hält der Bundesfinanzhof für nicht gemeinnützig im steuerrechtlichen Sinn. In der Begründung stehen wesentliche Sätze, die bislang kaum beachtet worden sind: „Politische Bildungsarbeit setzt ein Handeln in geistiger Offenheit voraus. Daher ist eine Tätigkeit, die darauf abzielt, die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen, nicht als politische Bildungsarbeit gemeinnützig.“ Das heißt: Ein gemeinnütziger Verein kann sich für den Tierschutz einsetzen. Wenn er aber zugunsten der Singvögel alle Katzen zum Abschuss freigegeben wissen will, wäre das ein Vereinsziel, das nicht mehr als gemeinnützig steuerlich begünstigt werden dürfte.

Wie soll sich ein Verein denn dann überhaupt noch gesellschaftspolitisch engagieren können? Man kann ja schlecht von ihm erwarten, dass er aus „geistiger Offenheit“ auch das Gegenteil dessen propagiert, was er für richtig hält.

Die Grenzen sind fließend. Wie der Bundesfinanzhof selbst einräumt, darf zum Beispiel zur Förderung des Umweltschutzes Einfluss auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung genommen werden. Aber man wird zugestehen müssen, dass – um wieder zu Attac zu kommen – der Kampf gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwar hohen Idealen folgen mag, aber doch gleichwohl zu einer tagespolitischen Frage mit einem eindeutigen Urteil über „richtig oder falsch?“ Stellung nimmt. Dass die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dem die Gemeinnützigkeit verweigert, ist nachvollziehbar. Aber hier scheiden sich in der Tat die Geister.

Ein Argument lautet, es solle verhindert werden, dass Parteien sich über politische Vereine Steuervorteile für ihre Arbeit verschaffen.

Das liegt tatsächlich exakt in der Konsequenz dieses Urteils. Ein politischer Verein, der linke, mittlere oder rechte Ziele unters Volk bringen und durchsetzen will, soll dafür keine steuerliche Begünstigung beanspruchen dürfen.

Wenn nun der Einsatz für konkrete Zwecke die Gemeinnützigkeit in Frage stellt, droht das Engagement insgesamt zu erlahmen.

Verliert eine so breit aufgestellte Organisation wie Attac, die mit spektakulären Aktionen die Öffentlichkeit sensibilisiert, den Status der Gemeinnützigkeit, dann entzieht man ihrem Wirken die finanzielle Basis. Diese Gefahr ist zweifellos gegeben.

Beschreiben Sie damit nicht selbst die Gefahr, dass missliebige Organisationen ausgehungert werden könnten?

Das ist aber keine Willkür der Finanzgerichte, sondern Folge einer stringenten Auslegung geltenden Rechts. Anders gesagt: Wenn man das anders geregelt wissen will, muss man das Gesetz ändern. Schaut man ins Gesetz, wird man zum Beispiel feststellen, dass im Katalog gemeinnütziger Zielsetzungen wichtige Bereiche fehlen wie etwa die Förderung des Klimaschutzes, das Eintreten für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit oder den Datenschutz . Wären das klar benannte gemeinnützige Ziele, müssten entsprechende Organisationen für den Status der Gemeinnützigkeit nicht mehr den Umweg über die „Volksbildung“ gehen. Nur gibt es eben sehr viele Organisationen, die von ihrer Grundausrichtung zweifelsfrei gemeinnützig sind, im Rahmen ihrer Arbeit aber auch bestimmte sehr konkrete Forderungen vertreten. Und da beginnt die Schwierigkeit des Abwägens.

Soll man sagen dürfen, der Verein ist zwar zu 90 Prozent gemeinnützig, aber wegen der anderen zehn Prozent verliert er die Anerkennung auf Gemeinnützigkeit insgesamt?

Ich finde, nein. Aber die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen fordern die ausschließliche Verfolgung gemeinnütziger Zwecke. Immerhin hat der Bundesfinanzhof den Fall jetzt an die Vorinstanz zur nochmaligen Prüfung zurückverwiesen.

Was raten Sie den Attac-Vertretern?

Es wird ja jetzt ein Gang vor das Bundesverfassungsgericht erwogen. Ich vermag allerdings nicht zu erkennen, wo genau Attac eine Verletzung von Grundrechten geltend machen könnte. Meines Erachtens ist der Gesetzgeber gefordert. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD tritt ja ein für eine Förderung der „Kultur des zivilgesellschaftlichen Engagements“ durch ein „verbessertes Gemeinnützigkeitsrecht“ ein. Das klingt gut und ist zweifellos förderungswürdig. Aber fassen Sie das mal in eine Gesetzesnorm, die zugleich eine konkrete Parteinahme wie die von Attac für ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine Finanztransaktionssteuer ausschließt! Viel Spaß!

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