Nach Attacke auf Bonner SynagogeBürger halten gesamtes Wochenende lang Mahnwache

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Eine Scheibe über der Tür zur Bonner Synagoge weist Sprünge auf. Vor den Synagogen in Bonn und Münster sind am Dienstagabend israelische Flaggen angezündet worden.

Bonn – Samstagnachmittag, Bonn-Gronau. In einer kleinen Sackgasse am Rande des ehemaligen Regierungsviertels sitzt ein Mann mit Anglerhut und Wachsjacke bei Nieselregen auf einem Plastikstuhl und schützt die Demokratie. Das, sagt er selbst, sei es, was er hier tut.

Hinter ihm die braune, schwere Tür der Synagoge, darüber die Glasfront, die einen blauen Davidstern einrahmt. Nur wenige Zentimeter darunter die zersplitterte Scheibe. Am vergangenen Dienstagabend war’s, als ein Anwohner mehrere junge Erwachsene dabei beobachtete, wie sie Steine auf die Synagoge warfen, danach auf dem schmalen Gehweg gegenüber eine israelische Fahne anzündeten und wegrannten.

„Da“ sagt der Mann, zeigt auf die Straße. Auf dem Asphalt sieht man auch Tage später noch die Polizeimarkierungen, Halbkreise in rot und weiß. Dort sollen die Täter gestanden haben. Mittlerweile sind drei Männer gefasst, sie legten laut Informationen dieser Zeitung ein Geständnis ab.

Keine Positionierung im Nahost-Konflikt

„Ich bin nicht hier, um die Synagoge vor weiteren Angreifern zu verteidigen“, sagt der Mann. „Das macht die Polizei. Ich bin auch nicht hier, um irgendeine politische Position im Nahost-Konflikt zum Ausdruck zu bringen. Ich bin hier, um der jüdischen Gemeinde zu zeigen, dass ich an ihrer Seite stehe. Dass sie in Deutschland ihren Glauben unbehelligt ausleben können muss.“

Der Mann heißt Roland Benarey. Er ist einer von vielen Menschen, Bonner Bürgern, die sich seit Freitag vor der Synagoge versammeln, abwechselnd, um durch das, was sie eine „Sitz-Mahnwache“ nennen, ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen.

Benarey sagt, er sei selbst in Israel geboren, jüdisch, aber nur bedingt Teil der Gemeinde, denn: „Mein Hebräisch ist sehr schlecht, ich kann dem Gottesdienst kaum folgen.“ Neben ihm steht eine Frau mit Brille, kurzen Haaren und dicker Jacke, Katharina Fuchs-Bodde.

Eigentlich, sagt sie, würde sie so einen Samstag mit ihren Kindern verbringen, 7 und 10 Jahre alt, aber als sie von dieser Aktion hörte, da habe sie ihnen erklärt, dass es jetzt einfach wichtig sei, dass sie dort hinfahre. Einfach, um dort zu sein. „Es ist etwas kleines, das für etwas großes steht“, sagt Fuchs-Bodde.

Und so verbringen sie, die sich vorher nicht kannten, noch nie gesehen hatten, nun den Nachmittag zusammen vor der Synagoge. Reden, schauen, sind einfach dort.

Ein Passant bleibt stehen. Er sei selbst Jude und wolle, sagt er, nur mal schauen, ob die Synagoge noch steht. Keine Sorge, hier wird aufgepasst. Auf der anderen Straßenseite schiebt eine Frau einen Kinderwagen vorbei, ruft: „Danke, dass Sie da sind!“ Nennt ihre Adresse. „Ist gleich um die Ecke, falls Sie einen Kaffee brauchen oder mal auf Toilette müssen.“

150 Unterstützer in nur zwei Tagen

Begonnen hatte die Sache mit Rolf Rau. Rau, ebenfalls Bonner Bürger und nach eigener Angabe „Atheist“, sah am Mittwoch einen Fernsehbeitrag zu dem antisemitischen Angriff. Die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde ließ sich darin nur von hinten filmen, offenbar aus Furcht vor weiteren Attacken.

„Das hat mich sehr bedrückt“, sagt Rau am Telefon. „Eine Frau, die unter uns lebt in Bonn und sich nicht mehr traut, ihr Gesicht zu zeigen.“ Er habe darüber nachgedacht, was er nun tun könne.

Am Freitag dann, um 9 Uhr, kam er mit einem Holzstuhl zur Synagoge. Mit der Ankündigung, dort so lange zu sitzen, bis ihn jemand ablöst. Zwölfeinhalb Stunden blieb er dort.

Hatte sich ein Buch mitgenommen, die Biographie von Mahatma Gandhi. Schaffte es allerdings nur, vier Seiten zu lesen. „Weil die ganze Zeit Menschen stehen blieben, plauderten, wissen wollten, was ich da tue.“

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Am Freitagabend dann meldeten sich die ersten, die mitmachen, ihn ablösen wollten. Am Samstag musste er sich eine transportierbare Ladestation fürs Handy mitnehmen, so oft wurde er angerufen. Mittlerweile hätten sich 150 Unterstützer bei ihm gemeldet. „Ich gehe nur noch sporadisch vorbei, um ein bisschen zu quatschen. Aber laufen tut es von allein. Wir sind lückenlos und dauerhaft besetzt.“

Aktion schwappt auf andere Städte über

Menschen, alt und jung und aller möglichen Herkünfte und Religionen, hätten am Wochenende Blumen gebracht, Kekse, Wein. Mittlerweile habe er mitbekommen, dass auch Bürger aus anderen Städten seine Aktion übernehmen wollen, etwa in Wuppertal.

„Ich weiß aber noch nicht, ob wir hier über Sonntagabend hinaus weitermachen“, sagt Rau. „Müssen ja alle am Montag wieder arbeiten. Geht ja auch um Qualität, nicht um Quantität. Und ich denke, wir haben erreicht, was wir wollten: Zeigen, dass die jüdische Gemeinde nicht allein ist.“

Seinen Stuhl, sagt Rau, will er aber vor der Synagoge stehen lassen. Nur, falls sich auch am Montag noch jemand darauf setzen will.

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