Nachruf auf Wolfgang ClementEin Sozialdemokrat ohne Parteibuch

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Wolfgang Clement, ehemaliger Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit und ehemaliger Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist im Alter von 80 Jahren gestorben.

  • Wolfgang Clement war ein „Alpha-Alpha-Wolf“.
  • Er setzte als Superminister von Gerhard Schröder die Hartz-Reformen um.
  • Mit Folgen für die SPD – und auch für ihn selbst. Ein Nachruf.

Köln – Wer diesen Mann persönlich kannte, der weiß: Wenn Wolfgang Clement ein Ziel vor Augen hatte, dann konnte nichts ihn davon abhalten. Rein gar nichts. So muss es auch an jenem Samstag Ende August gewesen sein. Armin Laschet, Ministerpräsident von NRW und damit einer von Clements Nachfolgern, gab zum 74. Geburtstag des Landes ein Abendessen im Köln Sky, hoch über den Dächern der Stadt. Wolfgang Clement war als Ehrengast geladen. Er kam, auf einen Stock gestützt, von einer Krebskrankheit bereits schwer gezeichnet, und zeigte dennoch Haltung. Wacklig und erschreckend schmal, aber freundlich und zugewandt unterhielt er sich mit den Gästen und nahm zum Dinner am Tisch neben Laschet Platz. Nach einigen Stunden verließ der ehemalige NRW-Regierungschef und Ex-Bundeswirtschaftsminister die Veranstaltung ohne viel Aufhebens. Es war sein letzter öffentlicher Auftritt.

Als er am 7. Juli dieses Jahres 80 Jahre alt wurde, sagte sein Weggefährte, der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder: „Wolfgang Clement hat politisch viel bewegt, in Nordrhein-Westfalen ebenso wie auf Bundesebene.“ Er habe es Clement hoch angerechnet, dass dieser 2002 das Amt des NRW-Ministerpräsidenten aufgegeben und den Posten des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit angenommen habe. Die beiden wichtigsten politischen Stationen in Clements Leben hatte Schröder damit erwähnt.

Verfechter eines wirtschaftsnahen SPD-Kurses

Wolfgang Clement war ein manchmal aufbrausender Macher und ein oftmals auch ungeduldiger Modernisierer. Sein Nachfolger als Ministerpräsident, Peer Steinbrück, bezeichnete ihn einmal als „Alpha-Alpha-Wolf“. Die Umsetzung der Hartz-IV-Reformen ist untrennbar mit Clements Namen verbunden. Die Agenda 2010 verteidigte er noch, als schon längst immer mehr Sozialdemokraten die umstrittene Reform als Ursache für den Sinkflug der Partei ausmachten. Clement blieb bis zum Schluss überzeugter Verfechter eines wirtschaftsnahen Kurses der SPD.

Am 7. Juli 1940 wurde er in Bochum als Sohn eines Baumeisters geboren. Weil sein Vater es unbedingt wollte, studierte er Jura, wurde dann aber Journalist. Das Kölner SPD-Urgestein Hans-Jürgen Wischnewski („Ben Wisch“) fragte ihn 1981 im Namen des Parteivorsitzenden Willy Brandt, ob er Sprecher der SPD werden wolle. Daraufhin besuchte Clement den SPD-Landeschef und NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau und ließ sich von ihm beschreiben, „wie das ist, wenn man im Präsidium zusammensitzt mit Brandt, Schmidt und Wehner“.

Den Job des SPD-Vorstandssprechers machte Clement fast bis zum Ende des Bundestagswahlkampfs 1986/87. Doch dann sagte er seinem Parteichef Brandt und dem SPD-Kanzlerkandidaten Rau ins Gesicht, dass einer von ihnen zurücktreten müsse, da sie im Wahlkampf einen geradezu gegensätzlichen Kurs verfolgten – konfliktträchtig versus „Versöhnen statt spalten“. Als beide prompt ablehnten, warf er selbst hin und zog mit der Familie nach Hamburg, um dort Chefredakteur der „Hamburger Morgenpost“ zu werden. 1989 holte Rau ihn als Chef der Staatskanzlei nach Düsseldorf. Bald galt er als Kronprinz des NRW-Landesvaters. Zeitweise waren sie so eng miteinander, dass die beiden Familien gemeinsam Urlaub machten.

Später wurde Clement Landesminister für Wirtschaft und Verkehr und schließlich 1998 selbst Raus Nachfolger als Ministerpräsident.

Als Kind des Ruhrpotts dem Kohlebergbau verbunden

Er hatte große Pläne und wollte NRW zum „Bundesland Nr. 1“ machen. Der Journalist Clement rief die Medienindustrie zum Motor des Strukturwandels aus – mit mäßigem Erfolg. Zum Sinnbild einer illusorischen Hollywood-Träumerei wurde ein Oberhausener Trickfilmstudio, in das 50 Millionen Euro Fördergelder flossen und das am Ende 20 Leute beschäftigte. „Viele Baustellen und kein Richtfest“, spottete der ebenfalls aus NRW stammende CDU-Politiker Friedrich Merz, mit dem sich Clement im Übrigen gut verstand.

Egal ob als Regierungschef in Düsseldorf oder als Kabinettsmitglied in Berlin – stets blieb Clement als Kind des Ruhrpotts auch dem Kohlebergbau verbunden. Arbeitsmarkt- und Energiepolitik gehörten für ihn unweigerlich zusammen. Mit den Grünen, insbesondere der langjährigen NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn, lieferte er sich heftige Schlachten. Sein wirtschafts- und industriefreundlicher Kurs führte zum Dauerstreit mit dem grünen Koalitionspartner, sowohl in NRW als auch später auf Bundesebene.

Ein klassischer Sozialdemokrat war Clement nie. In seiner Zeit als Regierungschef in NRW setzte er gleich zu Beginn seiner Amtszeit ein symbolträchtiges Zeichen und zog mit der Staatskanzlei in das Düsseldorfer Stadttor-Haus. Das 80 Meter hohe gläserne Bauwerk sollte zum neuen Wahrzeichen des „modernen NRW“ und der Landeshauptstadt werden. Eine Machtdemonstration, die unter Sozialdemokraten heftig umstritten war. 2017 verlegte CDU-Mann Laschet seinen Regierungssitz dann wieder ins alte Landeshaus am Horionplatz, weil er dieses als bürgernäher und repräsentativer zugleich empfand.

Clement als „Superminister“

Als der Machtmensch Clement 2002 nach Berlin wechselte, forderte er die Zusammenlegung von Wirtschafts- und Arbeitsministerium und zudem die Zuständigkeit für die Energiepolitik. Schröder kam seinem Wunsch nach – und der Westfale Clement war fortan „Superminister“. Er prägte die damaligen Leitsätze der rot-grünen Wirtschafts- und Arbeitspolitik: „Sozial ist, was Arbeit schafft“ und „Fördern und Fordern“. Genau diese Leitsätze und die damit einhergehenden Erleichterungen bei der Befristung von Arbeitsverträgen sowie die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II waren es aber auch, die zu einer zunehmenden Entfremdung vom linken Parteiflügel der SPD führten.

Er habe etwas an den sozialwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland verändern wollen, sagte Clement im Rückblick. Bei aller Kritik gilt die Agenda 2010 als seine herausragende politische Leistung. Sie bescherte der deutschen Wirtschaft Boomjahre. Clement blieb auch nach Schröders Wahlniederlage 2005 bei seinen Ansichten. Dass die SPD in den folgenden Jahren zunehmend vom Reformkurs wieder abrückte, für den Schröder und er standen, das verbitterte ihn.

2008 kam es dann zum großen Knall: Unmittelbar vor der hessischen Landtagswahl warnte Clement vor den energiepolitischen Plänen der SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti. Dabei ging es vor allem um die von der SPD unterstützte Abschaltung der von RWE betriebenen Kernkraftwerke Biblis A und B. Das Verhalten Clements wurde von der SPD und den Grünen scharf kritisiert und als lobbyistische Parteinahme für RWE gegeißelt. Schließlich war Clement seit 2006 Aufsichtsratsmitglied der Konzerntochter RWE Power AG.

Die Folge war ein Parteiordnungsverfahren, das ausgerechnet ein SPD-Ortsverein aus Clements Heimatstadt Bochum vorangetrieben hatte. An dessen Ende stand eine Rüge des obersten Parteischiedsgerichts. Verärgert trat Clement daraufhin am 25. November 2008 aus der SPD aus. Er unterstützte zuletzt zwar Positionen der FDP, blieb aber, wie er sagte, ein „Sozialdemokrat ohne Parteibuch.“

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In einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, das 2008 während des Parteiausschlussverfahrens geführt wurde, beklagte sich Clement, der von 2006 bis 2009 auch Aufsichtsratsmitglied bei DuMont war, darüber, „dass das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Partei Willy Brandts so gering geschätzt wird“. Wenn sich die linke Mehrheit in der Partei durchsetzen werde, „dann wird sich die SPD immer mehr ideologisieren. Dann wird sie zu einer 25-Prozent-Partei.“ Wo er die SPD in fünf Jahren sehe, fragten ihn die Interviewer. Die Partei habe noch nicht ihre Rolle gefunden im Prozess der Globalisierung und laufe Gefahr, in einer Verteidigungshaltung zu verkrampfen, lautete Clements Antwort. Es gehe „heute um die Gestaltung der Zukunft in einer völlig veränderten Welt“.

Am Sonntag ist Wolfgang Clement zu Hause in Bonn gestorben. Er sei friedlich in seinem Bett eingeschlafen, ließ seine Familie mitteilen. Im Sommer war bekannt geworden, dass der ehemalige SPD-Politiker an Lungenkrebs litt. 

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