Neue Schulministerin Dorothee Feller„Ich will den Schulfrieden in NRW wahren“

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Feller OBERMANN 220722

NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller will Lehrkräfte und Eltern entlasten nach aufreibenden Pandemie-Jahren.

Frau Feller, das Schulministerium gilt als schwieriges Terrain. Teilen Sie als neue Bildungsministerin von Nordrhein-Westfalen diese Einschätzung? Dorothee Feller: Es ist vor allem ein wichtiges Terrain. Wir tragen Verantwortung für die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen und damit für die Zukunft unserer Gesellschaft. Herausfordernd ist diese Aufgabe vielleicht insofern als es in Nordrhein-Westfalen fast 18 Millionen Schulexperten und -expertinnen gibt (lacht): Wir waren schließlich alle mal in der Schule und haben eine Vorstellung davon, wie es da laufen sollte. Umso wichtiger ist, dass wir mit allen am Schulleben Beteiligten im engen Austausch bleiben.

Sie waren Regierungspräsidentin in Münster, sind also gewissermaßen fachfremd, hatten aber in dieser Funktion durchaus Berührung mit dem Thema Schule.

Schule ist in unseren Bezirksregierungen eine große Abteilung, und gerade in den letzten Jahren habe ich dort ganz persönlich und bewusst einen Schwerpunkt gesetzt, zuletzt etwa mit einer Konferenz für bessere Bildungschancen sozioökonomisch benachteiligter Jugendlicher – ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt.

Sie gelten als Verwaltungsspezialistin, als eines der Hauptanliegen als neue Bildungsministerin von NRW haben Sie die Wahrung des Schulfriedens genannt. Sind Sie die personifizierte Absage an ideologische Kämpfe auf dem Gebiet der Schulpolitik oder auch nur an pädagogische Großkonzepte?

Die Wahrung des Schulfriedens ist vor allem eine klare Absage an umfangreiche Schulstrukturdebatten, die viele Ressourcen in Anspruch nehmen. Gerade in den vergangenen zwei Jahren hat die Pandemie doch für einige Unruhe an unseren Schulen gesorgt. Aufgrund der dynamischen Entwicklung gab es immer wieder neue Regelungen und vieles, was vor Ort organisatorisch geschafft werden musste. Deshalb haben wir gesagt: Was unsere Schulen jetzt vor allem brauchen, ist Ruhe und Verlässlichkeit. Zugleich kümmern wir uns im Schulministerium natürlich intensiv um eine Vielzahl von Themen wie etwa die Unterrichtsversorgung oder die Digitalisierung der Schulen.

Enger Austausch

Die Pandemie ist leider nicht vorüber. Worauf müssen sich die Schülerinnen und Schüler und auch die Eltern einstellen, wenn der Unterricht nach den Ferien wieder beginnt?

Wir haben in den ersten Tagen der Regierungsarbeit einen Corona-Koordinierungsstab eingerichtet, an dem alle zuständigen Arbeitsbereiche aus unserem Haus beteiligt sind. Auch das Gesundheitsministerium war von Beginn an dabei. Das ist eine Erfahrung, die ich aus der Bezirksregierung mitgebracht habe. Wer einmal einen Krisenstab geleitet hat, weiß, wie wichtig es ist, Expertise aus allen möglichen Bereichen zu nutzen. Wir tauschen uns auch eng mit dem Familienministerium aus. Um einen guten und sicheren Schulstart zu ermöglichen, erarbeiten wir zurzeit ein Konzept, wozu wir im Vorfeld bewusst Kontakt zu den verschiedenen Eltern-, Lehrer- und Schüler-Verbänden, mit den Schulleitungen und mit den kommunalen Spitzenverbänden suchen. Allein in dieser Woche habe ich dazu zahlreiche Gespräche geführt.

Bezieht das auch eine überarbeitete Kommunikationsstrategie im Blick auf die Schulen selbst ein?

Wir wollen und werden ganz bewusst zuerst die Schulen informieren und dann die Öffentlichkeit – und zwar frühzeitig. Dazu haben wir unter anderem die traditionelle Pressekonferenz zum Schuljahresauftakt auf Ende Juli vorgezogen, damit genug Vorlauf bleibt, sodass sich alle bestmöglich auf das neue Schuljahr vorbereiten können.

Gibt es schon konkrete Pläne, was zum Beispiel die Maskenpflicht oder Tests betrifft?

Ich habe mir wirklich vorgenommen, die Schulen zuerst zu informieren, damit sie das nicht erst aus der Presse erfahren. Zur Maskenpflicht kann ich sagen, dass es hierfür im Infektionsschutzgesetz des Bundes zurzeit bekanntermaßen keine Grundlage gibt.

„Ein Marathonlauf“

Corona umfasst auch Aspekte wie die Lernrückstände bei vielen Schülerinnen und Schülern. Gleichzeitig leidet das Land unter Lehrkräftemangel.

Das ist eine der größten Herausforderungen, die wir umgehend angehen werden. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir 10.000 zusätzliche Lehrpersonen an unsere Schulen bringen wollen. Das gelingt sicher nicht von heute auf morgen, das wird ein Marathonlauf. Was ich aber sagen kann: Es gibt bei uns keine Denkverbote und wir suchen bereits nach kurzfristigen und mittelfristigen Maßnahmen, um unsere Schulen schnellstmöglich mit zusätzlichem Personal zu unterstützen.

Der Lehrkräftemangel hängt ja auch damit zusammen, dass der Beruf für viele nicht attraktiv ist. Ist das allein eine Frage des Geldes? An diesem Punkt wollen Sie ja für eine gerechtere Bezahlung über die Schulformen hinweg sorgen.

Es ist im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Bezahlung nach A13 rasch in einem Stufenplan umsetzen wollen. Die Abstimmung mit dem Finanzministerium läuft bereits. Ich denke, dass damit eine deutliche Botschaft der Wertschätzung verbunden ist. Das alleine wird aber nicht reichen. Insgesamt müssen wir dem Beruf des Lehrers und der Lehrerin wieder einen höheren Stellenwert verschaffen. Dazu gehört, dass wir die Unterrichtsversorgung durch zusätzliches Personal sicherstellen. Damit entlasten wir auch die Lehrerinnen und Lehrer, die schon an unseren Schulen im Einsatz sind.

Qualität muss garantiert sein

Gehört zu den kurzfristigen Maßnahmen, den Seiteneinstieg zu erleichtern?

Sicherlich ist der Seiteneinstieg eine gute Möglichkeit, auch weil viele Seiteneinsteiger unsere Schulen mit den Erfahrungen aus ihrem vorherigen Berufsleben bereichern. Zugleich ist klar, dass auch beim Seiteneinstieg die Unterrichtsqualität gewährleistet sein muss. Es hat ja seinen Sinn, dass Lehrerinnen und Lehrer ein pädagogisches Studium absolviert haben. Langfristig setzen wir deshalb vor allem darauf, an den Universitäten mehr Lehrkräfte auszubilden.

Eine nicht leicht zu lösende Ausgabe für die Schulen scheint auch die Digitalisierung zu sein. Wie ist aus Ihrer Sicht der Stand?

Die Digitalisierung unserer Schulen hat in den letzten zweieinhalb Jahren auch durch die Unterstützung staatlicher Fördergelder einen großen Sprung nach vorne gemacht. Der Digitalpakt wird in Nordrhein-Westfalen sehr gut angenommen. Wir belegen sogar einen Spitzenplatz. Es gab darüber hinaus umfangreiche Förderprogramme zur Ausstattung der Lehrkräfte und der Schülerinnen und Schüler mit Endgeräten, die inzwischen fast vollständig abgerufen wurden. Zudem läuft ein Förderprogramm des Bundes für IT-Administration, denn die Schulen müssen ja weiterhin betreut werden, wenn sie die Technik einmal angeschafft haben. In all diesen Fragen sind wir weiterhin in Verhandlungen mit dem Bund, denn die Digitalisierung der Schulen bleibt eine Daueraufgabe – auch im Hinblick auf die Didaktik. Hierfür existieren bereits überzeugende Konzepte, aber damit die Schulen dauerhaft auf Höhe der Zeit unterrichten können, müssen diese Konzepte auch fortlaufend weiterentwickelt werden. Und wir müssen unsere Lehrkräfte kontinuierlich fortbilden.

An vielen Schulen gibt es aber immer noch kein WLan.

Es ist eine große und nicht immer leichte Aufgabe für die Schulträger, in den Schulen die Voraussetzungen zu schaffen, dass zeitgemäßer Unterricht stattfinden kann. Um sie hierbei zu unterstützen hat der Bund gemeinsam mit den Ländern den Digitalpakt aufgelegt. Eine andere Frage betrifft die digitalen Plattformen, über die unsere Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel Mails schreiben, ihren Schülerinnen und Schülern über eine Cloud Unterrichtsmaterial und Lernaufgaben bereitstellen oder Videokonferenzen durchführen können. Als Land stellen wir den Schulen Logineo NRW kostenlos zur Verfügung, und rund 60 Prozent der Schulen machen von diesem Angebot Gebrauch. Wir wollen Logineo NRW zeitnah evaluieren und prüfen, ob und in welcher Hinsicht wir es noch anwenderfreundlicher machen können. Wenn Schulen sich aber bereits für ein anderes System entschieden und sich daran gewöhnt haben, müssen sie nicht wechseln.

Freude getrübt

In Köln hat es in diesem Jahr große Aufregung um die Schulplatzvergabe gegeben. Das ist eine kommunale Angelegenheit, aber können Sie als Landesregierung nicht doch eingreifen?

Ich kann gut verstehen, dass bei vielen Schülerinnen, Schülern und Eltern die Freude auf den Wechsel an die weiterführende Schule getrübt war. Und auch unsere Schulleitungen hatten mit dem Anmeldeverfahren zu kämpfen. Für die Zukunft sollten wir hierfür eine andere Lösung finden. Das grundlegende Problem sind allerdings die fehlenden Schulplätze. Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben einer Stadt, in ihrer Rolle als Schulträger einen sogenannten Schulentwicklungsplan aufzustellen. Also: Wie viele Schulplätze brauche ich an welcher Schulform? Ein solcher Plan wird bestenfalls über die Stadtgrenze hinaus regional abgestimmt. Aus den guten Erfahrungen meiner bisherigen Tätigkeit kann ich sagen: Bei Bedarf stehen die Bezirksregierung gerne beratend und kompetent zur Seite.

Auch bei Schulbauten und Sanierung liegt vieles im Argen, und oft scheint es, als kämen die Kommunen nicht voran.

Wir leben in einer Zeit, in der das Bauen nicht einfach ist, das will ich gerne zugestehen. Das Material ist knapp und teuer, ebenso das Personal. Deshalb unterstützen Bund und Land die Kommunen mit erheblichen finanziellen Mitteln. Doch letztendlich bleibt es die Aufgabe der Schulträger, ihre Schulen so aufzustellen, dass sie ausreichend Platz für unsere Schülerinnen und Schüler bieten.

Die vergangene Legislaturperiode war stark von Corona bestimmt, aber es gab schon das eine oder andere Projekt jenseits des Krisenmanagements, zum Beispiel, per Schulgesetz den Schulen größere Selbständigkeit zuzubilligen. Ist das ein Weg, den sie weiter beschreiten?

Ich glaube, dass Schulen ihre jeweilige Situation vor Ort am besten einschätzen können. In der Corona-Krise hat man das etwa gesehen, wenn es um Vertretungsregelungen ging. Deshalb trauen wir den Schulen grundsätzlich ein gesundes Maß an Eigenverantwortlichkeit zu. Mehr Selbständigkeit heißt aber nicht, dass wir die Schulen alleine lassen. Es geht darum, dass sie in einem gewissen Rahmen eigene Entscheidungen treffen können – die Bezirksregierung oder das Land stehen aber immer gerne beratend zur Seite.

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Betrifft das auch den späteren Unterrichtsbeginn?

Das ist schon fast zu einem Sommer-Thema geworden! (lacht) Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir in dieser Frage durchaus offen sind. Ich habe bewusst gesagt, dass eine solche Entscheidung nur im größtmöglichen Einvernehmen aller vor Ort am Schulleben Beteiligten durch die Schulkonferenz getroffen werden kann, weil viele Aspekte eine Rolle spielen. Bekommen Familien morgens ein Betreuungsproblem? Wie wirkt sich ein veränderter Unterrichtsbeginn auf den öffentlichen Nahverkehr aus, wie auf benachbarte Schulen, mit denen zum Beispiel in der Oberstufe kooperiert wird? Man muss vieles bedenken, und deswegen halte ich es für richtig, die Frage vor Ort zu diskutieren. Dort ist sie richtig aufgehoben.

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