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Neue Studie enthülltDas sind die Motive von AfD-Wählern

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AfD Plakat dpa

Mit viel nackter Haut warb die AfD für die Bundestagswahl 2017.

Berlin – Wähler aus allen gesellschaftlichen Schichten haben im vergangenen September der Alternative für Deutschland ihre Stimme gegeben. Mit 12,6 Prozent der Stimmen zog sie als drittstärkste Kraft in den Bundestag ein, die Fraktion wird, sollte es zu einer neuen großen Koalition kommen, sogar Oppositionsführerin. Jüngsten Meinungsumfragen zufolge könnten die Rechtspopulisten derzeit ihren Stimmenanteil weiter ausbauen und nur knapp hinter der SPD landen – oder sie sogar überholen. Es wäre das Ende der Volkspartei SPD.

Die Motive, warum jemand AfD wählt, sind vielfältig. Da gibt es klassische Protestwähler, die es den etablierten Parteien und dem „System“ zeigen wollen, aber auch Wähler vom ganz rechten Rand. Da gibt es enttäuschte CDU-Anhänger, denen die Partei unter Angela Merkel zu weit in die Mitte gerückt ist und einstige Sozialdemokraten in der Industriearbeiterschaft, die sich von ihrer Partei nicht mehr vertreten fühlen.

Ablehnung von Zuwanderung ist ein wichtiges Motiv

Ein weiteres wichtiges Motiv, die AfD zu wählen, ist die Ablehnung von Zuwanderung. Die Partei profitiert aber auch stark von Ängsten vor einem sozialen Abstieg, und zwar in allen gesellschaftlichen Schichten, wie eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung mit dem Titel „Abstiegsängste in Deutschland“ zeigt, die dieser Zeitung vorliegt. Im Auftrag der Stiftung befragte das Meinungsforschungsinstitut Policy Matters Anfang 2017, also noch vor der Bundestagswahl, insgesamt 4.892 Personen.

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Knapp die Hälfte der Befragten befürchtet, ihren Lebensstandard auf Dauer nicht halten zu können. Genauso viele haben Angst, dass sich ihre finanzielle Situation im Alter verschlechtern könnte. Auffällig ist, dass sich gleichzeitig aber nur jeder Vierte konkret Sorgen um seinen Arbeitsplatz macht. Im Osten sind diese Ängste weiter verbreitet als im Westen. „Interessanterweise haben nicht nur Menschen Angst vor sozialem Abstieg, die davon in der realen Arbeitswelt tatsächlich bedroht sind, sondern auch Menschen, die sichere Jobs haben“, sagt Bettina Kohlrausch, Soziologin an der Universität Paderborn und Autorin der Studie, im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Abstiegsängste sind also nur zum Teil objektiv begründet.

Sorgen um ihre finanzielle Situation

Am stärksten ausgeprägt sind die Ängste bei Menschen, die über ein nur geringes Einkommen verfügen und sich selbst eher am unteren Rand der Gesellschaft sehen. Die große Mehrheit von ihnen macht sich Sorgen um ihre finanzielle Situation. Interessanterweise haben diese Angst auch viele Menschen, die sich am oberen Rand der Gesellschaft verorten und gut verdienen. Fast die Hälfte von ihnen macht sich ebenfalls große finanzielle Sorgen. Ähnliches gilt für die Befürchtung, den eigenen Lebensstandard nicht halten zu können. Der Befund ist auch für Bettina Kohlrausch überraschend und unerwartet.

Eine Erklärung dafür sei, dass Unsicherheit gerade am Arbeitsplatz entstehe. Die Erfahrung, ständigem Druck und einer immer größeren Arbeitsverdichtung ausgesetzt zu sein, beschäftige viele Menschen. „Arbeit ist ein zentraler Mechanismus in unserer Gesellschaft, und viele fühlen sich von der Digitalisierung und der Globalisierung bedroht“, sagt Kohlrausch. Das Gefühl, wegen dieser Entwicklung immer stärker die Kontrolle über den eigenen Arbeitsplatz und das eigene Leben insgesamt zu verlieren, ist in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden.

Diese Ängste entstehen also auch unabhängig von der eigenen Arbeitssituation. Vielmehr beruhen sie auf einer tiefgreifenden Verunsicherung durch eine sich verändernde Gesellschaft. Besonders die mittleren Einkommensschichten haben das Gefühl eines umfassenden Kontrollverlusts. 38,7 Prozent der Befragten in dieser Gruppe stimmen der Aussage zu „Was mit mir passiert, wird irgendwo draußen in der Welt entschieden.“ Offenbar führen gerade diese Ängste dazu, dass Menschen die AfD wählen. „Die AfD greift die soziale Verunsicherung sehr gekonnt auf“, sagt Kohlrausch und sieht hier auch die Politik gefordert. „Das ist ein großes Versagen der Politik“, kritisiert die Forscherin. „Sie muss den Menschen viel klarer sagen, dass die Digitalisierung und die Globalisierung eine große Herausforderung sind, die wir aber gestalten können.“

Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation

Die Ergebnisse erhärten die Befunde einer ersten Studie, die Bettina Kohlrausch zusammen mit anderen im vergangenen Jahr im Auftrag der Böckler-Stiftung durchführte. Schon damals war der wichtigste Grund, die AfD zu wählen, die Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation, unabhängig von der sozialen Lage.

Entscheidend war vielmehr die gefühlte Lebenslage. Die Forscher gingen auch der Frage nach, ob Gewerkschaftsmitglieder besonders anfällig für rechtspopulistisches Gedankengut sind. Denn in den Landtagswahlen zuvor hatten überdurchschnittlich viele Gewerkschaftsmitglieder der AfD ihre Stimme gegeben. Ein unmittelbarer Zusammenhang wurde damals nicht festgestellt. Wichtiger für die Wahlentscheidung sei, wie sicher das Arbeitsverhältnis sei und ob nach Tarif bezahlt werde.

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